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Digitalisierung der Arbeit sozial gestalten

Im Wortlaut von Halina Wawzyniak,

 Foto: Jochen Mittenzwey     Von Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE   Die Digitalisierung macht vor nichts Halt. Auch die Arbeitswelt beeinflusst und verändert sie nachhaltig. Durch E-Mails und Smartphones sind wir quasi rund um die Uhr erreichbar, neue Arbeitsfelder entstehen, alte Berufe verschwinden. Es ist ein Umbruch auf Raten, den aber letztlich jede und jeder schon jetzt zu spüren bekommt. Wie kann dieser Umbruch gestaltet werden, sodass er allen Menschen zugute kommt und niemanden ins Elend stürzt? Vor dieser Frage steht die gesamte Linke, sowohl als Bewegung als auch als Partei. Dabei ist es zunächst vollkommen unerheblich, wie viele Berufe genau betroffen sind, wie viele Arbeitsfelder durch die Digitalisierung tatsächlich wegfallen und wie viele im Gegenzug neu entstehen. Denn darüber gibt es reichlich diverse Ansichten. Fakt ist, dass sich die Arbeitswelt mitten in einem Veränderungsprozess befindet, der im Hier und Jetzt gestaltet werden muss. Überlässt die Linke in ihrer Gesamtheit dies anderen, wird sie sich eher früher als später den Vorwurf gefallen lassen müssen, mit dafür verantwortlich zu sein, dass immer weniger Menschen von ihrer Arbeit leben können.   Wir erleben derzeit eine beispiellose Entgrenzung von Arbeit und Privatleben. Was wir nicht im Büro schaffen, wird zu Hause erledigt. Wir sind für den Chef oder die Chefin quasi rund um die Uhr erreichbar. E-Mails rufen wir bereits auf dem Weg zur Arbeit ab. Es dürfte leicht einsichtig sein, dass eine solche Verquickung von Arbeit und Privatem den Menschen nicht gut tut. Es müssen also Regeln her, die diese Entgrenzung verunmöglichen. Doch welche sind das?  Ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit wäre mit Sicherheit ein Anfang. Für abhängig Beschäftigte wäre ein solches Recht hilfreich und durchsetzbar. Doch was passiert mit den zahlreichen Solo-Selbstständigen, den sogenannten Click- und Crowd-Workern, die per se von zu Hause aus arbeiten, ohne von irgendwelchen betrieblichen Mitbestimmungsrechten Gebrauch machen zu können? Hier müssen Regeln her, die eine Interessenvertretung und –durchsetzung sicherstellen.   Apropos Click-Working. Immer mehr Unternehmen lagern Arbeiten an Menschen aus, die selbstständig von zu Hause aus arbeiten. Dies ist nur möglich, weil das Internet eine enge Anbindung ermöglicht. Dabei lagern Unternehmen die Arbeit entweder direkt aus oder kaufen sie über Plattformen im Internet ein, auf denen Click-Worker ihre Arbeitskraft anbieten. Wenn man so will, ist dies die digitale Variante der Leiharbeit. Die Entlohnung fällt dabei aber denkbar gering aus, sodass viele Click-Worker in prekären Verhältnissen leben müssen. Noch mag die Gruppe solcher Selbstständiger klein sein, doch sie wächst stetig. Wie lassen sich also die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Gruppe verbessern? DIE LINKE diskutiert derzeit – analog zum Mindestlohn – ein sogenanntes Mindesthonorar für Selbständige. Katja Kipping und Dietmar Bartsch haben hierzu lesenswerte Beiträge geschrieben. Diese Debatte gilt es voranzubringen. Darüber hinaus sollte darüber nachgedacht werden, Internetplattformen, die Click-Working anbieten, ähnlich zu behandeln wie Leiharbeitsfirmen. Das würde – eine Forderung der LINKEN zu Leiharbeit aufgreifend – beispielsweise bedeuten, dass Click-Worker besser bezahlt werden müssten als die festangestellten Beschäftigten im Betrieb, der die Arbeit verleiht.    Die Digitalisierung erfordert aber auch, eine Debatte darüber zu beginnen, ob Erwerbsarbeit zur Bestreitung des Lebensunterhaltes überhaupt noch ein erstrebenswertes Ziel ist, oder ob wir die Gesellschaft nicht dahingehend umformen müssen, Arbeit als Selbstentfaltung zu begreifen. Denn wie gehen wir damit um, wenn in ein paar Jahrzehnten durch noch stärkere Automatisierung eventuell nicht mehr genug Arbeit für jede und jeden da ist? Über ein bedingungsloses Grundeinkommen wurde hier und da schon diskutiert, seitdem sind wir in der Debatte aber nicht weiter gekommen. Hier wünsche ich mir wieder mehr Elan von der LINKEN. Und die Erkenntnis, dass Digitalisierung nicht nur eine Gefahr darstellt, sondern auch die Chance bietet, eine Gesellschaft zu entwickeln, die sich von kapitalistischer Verwertungslogik verabschiedet.   linksfraktion.de, 3. Mai 2016