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Diesjähriger Friedenspreis als Auszeichnung und Mahnung

Im Wortlaut von Niema Movassat,

 

Von Niema Movassat, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

 

Mit der diesjährigen Verleihung des Aachener Friedenspreises gelingt dem Trägerkreis ein schwieriger Spagat. Er entzieht sich nicht der aktuellen Notwendigkeit, das Thema Migration ganz oben auf die Agenda zu setzen, und vergibt den Preis nach Marokko. Gleichzeitig erinnert er an den brutalen Krieg in der Zentralafrikanischen Republik, an dem das Medieninteresse hierzulande schon lange wieder versiegt ist.

Rakotonirina Mandimbihery Anjaralova, Lumbela Azarias Zacarias und Balorbey Théophilius Oklu sind einfache Studenten aus Oujda in Marokko. Sie helfen Flüchtlingen ohne Papiere, die der marokkanische Staat teilweise einfach in der Wüste in akuter Lebensgefahr aussetzt. Wenn auch das Versagen und die Unmenschlichkeit der europäischen Migrationspolitik eine politische Lösung erfordert, brauchen die Menschen im Augenblick vor allem konkrete Hilfe. Marokkanische Gesetze verbieten die Unterstützung von Flüchtlingen sogar. Die Solidarität der Preisträger mit den Schwächsten verdient deshalb umso mehr unseren Respekt. Auch bei uns brauchen wir Menschen, die sich mit Mitteln des zivilen Ungehorsams der inhumanen Migrationspolitik der Bundesregierung widersetzen.

In der zentralafrikanischen Republik versuchen die weiteren Preisträger Erzbischof Dieudonné Nzapalainga und Imam Oumar Kobine Layama, gemeinsam unter großem persönlichem Einsatz Frieden zu stiften. Christliche und islamische Rebellengruppen morden dort weiterhin mit großer Brutalität. Doch sind auch hier die Probleme nicht nur hausgemacht: Die Rolle Frankreichs und mehrerer Nachbarstaaten in der unübersichtlichen Lage im Land sind bis heute undurchsichtig. Die Preisträger überwinden dabei die vermeintliche religiöse Spaltung, die den Konflikt immer wieder anheizt.

Hier schließt sich der Kreis: Die fragwürdige Rolle der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich in einem der ärmsten Staaten der Welt, flüchtende Menschen Richtung Europa, ein reaktionäres monarchistisches Regime hält sie in Nordafrika im Auftrag der EU unter völliger Missachtung aller menschenrechtlicher Mindeststandards von der Weiterreise ab. Die Zusammenhänge sind überdeutlich: Jahrhundertelange totale Ausbeutung durch europäische Kolonialmächte hat weiten Teilen der Südhalbkugel eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung unmöglich gemacht – und den Grundstein gelegt für unseren heutigen Reichtum.

Postkoloniale Strukturen bestehen bis heute, und auf internationaler Bühne setzen die Industriestaaten ihre wirtschaftlichen Interessen ohne jede Rücksicht auf Kosten der ärmeren Staaten durch. Der Reichtum des globalen Nordens beruht auf der Ausbeutung der ärmsten Länder: Jährlich verlieren diese laut den Vereinten Nationen durch unfaire Handelsbedingungen 700 Milliarden US-Dollar – das Siebenfache der weltweiten Entwicklungshilfe! Das jetzige Weltwirtschaftssystem zementiert und verschärft bestehende Ungleichheiten.

Die Menschen, die vor den Konsequenzen fliehen, wollen unsere Regierungen nicht nach Europa lassen. Legale Fluchtwege gibt es nicht. Lieber lässt die EU Tausende im Meer ertrinken und baut Grenzzäune weiter aus. Fluchtursache sind häufig Kriege und andere humanitäre Katastrophen, an denen nicht selten europäische Wirtschaftsinteressen einen großen Anteil haben. Danke an Erzbischof Nzapalainga und Imam Layama, danke an Rakotonirina Mandimbihery Anjaralova, Lumbela Azarias Zacarias und Balorbey Théophilius Oklu, dass sie sich so mutig gegen das menschliche Elend engagieren, dass die Folge dieser Politik ist.

linksfraktion.de, 1. September 2015