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Sevim Dagdelen trifft Julian Assange im September 2012 in der Botschaft Ecuadors in London

»Die Überwachung war absolut«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen, Frankfurter Allgemeine Woche,

Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, sagt, Julian Assange sei ein Symbol der Freiheit. Ein Gespräch über Wikileaks, Trump und darüber, wer wen in der ecuadorianischen Botschaft in London ausspioniert hat

 

Frau Dagdelen, warum fordern Sie Freiheit für Julian Assange?

Julian Assange hat mit der Aufdeckung von US-Kriegsverbrechen Geschichte geschrieben. Assange ist zum Symbol der Freiheit und des Kampfes um investigativen Journalismus geworden. Statt seiner gehören diejenigen vor Gericht und hinter Gitter, die Kriegsverbrechen begangen oder zu verantworten haben. Jeder freiheitsliebende Mensch sollte dem, was Wikileaks geleistet hat, höchsten Respekt zollen, aber auch Julian Assange, der sich jetzt seit sieben Jahren für diese Arbeit aufopfert. Er verdient Anerkennung statt Kriminalisierung.

Sie wollten ihn in London besuchen. Dann gab es aber die Festnahme. Was war der Grund für Ihren Besuch?

Ich war zuletzt im Dezember bei Julian Assange, kurz vor Weihnachten. Er musste seit ungefähr einem Jahr unter schwersten Bedingungen leben. Das komplette Personal in der Botschaft wurde seit Anfang 2018 nach und nach ausgetauscht, und es war sehr rüde und unhöflich. Assange wurde isoliert, permanent bespitzelt und drangsaliert. Von der ecuadorianischen Regierung hatte er ein sieben Seiten langes Papier mit mehr als 40 Regularien bekommen, die er akribisch einhalten musste, damit ihm das Asyl nicht aberkannt wird. Gesundheitlich ging es ihm in den vergangenen Monaten zunehmend schlechter. Ich machte mir ernsthafte Sorgen. Zudem hatten sich die Anzeichen verdichtet, dass eine Auslieferung und Verhaftung unmittelbar bevorstehen würde. In der Befürchtung, dass die ecuadorianischen Behörden völkerrechtswidrig ihr Asyl aufkündigen könnten, hatte ich den neuen Besuchstermin beantragt.

Ecuadors Präsident Moreno spricht davon, dass Assange versucht habe, in der Botschaft ein Zentrum für Spionage einzurichten.

Morenos Anschuldigungen sind angesichts der Realität in der Botschaft nichts als eine dreiste Lüge. Moreno steht wegen der anhaltenden Korruptionsvorwürfe und wegen seiner Hörigkeit gegenüber Trump extrem unter Druck. Es ist beschämend, wie die Verantwortlichen in Ecuador jetzt versuchen, von ihrem Rechtsverstoß bei der Auslieferung mit einer massiven Schmutz- und Verleumdungskampagne gegen Assange abzulenken, und dabei die öffentliche Meinung über Assange vergiften. Als ich Julian Assange im Dezember besuchte, war ich entsetzt über das Ausmaß seiner Überwachung. Sie war absolut. Richtig ist also: Die Spionage in der Botschaft in London ging von der ecuadorianischen Regierung aus. Überall waren Kameras und Mikrofone angebracht. Es war nicht möglich, ein normales Gespräch zu führen. Dabei ist Assange ein anerkannter Flüchtling und kein Häftling gewesen. Dass Assange ausspioniert und Wikileaks mit dem Material erpresst wurde, hatte die Enthüllungsplattform einen Tag vor der Verhaftung öffentlich gemacht.

Haben Sie eine Erklärung, warum die ecuadorianische Regierung das getan hat?Seit dem Regierungswechsel gab es das Bemühen, Julian Assange aus der Botschaft in London zu ekeln. Das war das eigentliche Ziel. Julian Assange hat trotz der widrigen Umstände und unter wirklich schwierigen gesundheitlichen Bedingungen durchgehalten, weil er wusste, was auf dem Spiel steht. Nämlich die Auslieferung an die USA. Er hat immer gesagt, dass es um nichts anderes geht.

Was würde die Auslieferung bedeuten?

Ein Blick in die Anklage der US-Justiz genügt, um zu sehen, dass gerade der investigative Journalismus kriminalisiert werden soll. Wenn die USA damit durchkommen, ist dies praktisch das Aus für Quellenschutz und die Veröffentlichung brisanten Materials. Assange wird vorgeworfen, einem Informanten geholfen zu haben, ein Passwort zu knacken, dass er versucht habe, seine Quelle zu schützen und zudem verschlüsselt kommuniziert habe. Informanten- und Quellenschutz ist Grundlage journalistischer Arbeit. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass in den Schubladen der US-Justiz höchstwahrscheinlich weitere Anklagen liegen, auch wegen Geheimnisverrats beziehungsweise Spionage. Man muss davon ausgehen, dass Assange mit einer lebenslangen Haftstrafe oder gar der Todesstrafe bedroht ist.

Kritiker von Assange sagen, er sei kein Journalist. Sondern ein krimineller Hacker.

Diese Vorwürfe richten sich selbst. Wikileaks und Julian Assange sind mit zahlreichen Preisen für Journalismus ausgezeichnet worden und haben mit renommierten Medienhäusern weltweit kooperiert. Ohne ihre Arbeit hätte es die wichtigen Berichte über US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak, zu Folter und Guantánamo, Machenschaften von Geheimdiensten und Banken oder die NSA-Überwachung nicht gegeben. Diese großen Verdienste sollten nicht kriminalisiert werden. Wir müssen Whistleblower schützen. Das ist eine demokratische Pflicht.

Sie würden also auch einen Hackerangriff auf den Bundestag oder auf Ihre Partei gutheißen, wenn dadurch schwerwiegende Missstände aufgedeckt würden?

Darum geht es hier nicht. Geheimnisse sind das Gegenteil von Demokratie und Transparenz. Julian Assange und Wikileaks haben die Brutalität von Kriegen offengelegt, dass es eben keine sauberen Kriege mit Präzisionsschlägen gibt, dass US-Soldaten wahllos auf Zivilisten, darunter Reuters-Journalisten geschossen haben und die Verantwortlichen dieser Kriegsverbrechen nicht geahndet worden sind. Und jetzt soll ausgerechnet das Aufdecken von Kriegsverbrechen geahndet werden?

Was muss jetzt geschehen?

Julian Assange darf nicht an die USA ausgeliefert werden. Selbst Präsident Donald Trump hat Assange ja öffentlich schon mit dem Tode bedroht. Wenn einem aus offensichtlich politischen Gründen Straftaten angelastet werden, widerspricht eine Auslieferung allen Rechten. Ein demokratischer Rechtsstaat sollte diesem Auslieferungsersuchen der USA nicht folgen. Die EU und Deutschland müssen sich für den Schutz des Whistleblowers einsetzen. Ich fordere die Bundesregierung auf, Julian Assange politisches Asyl zu gewähren. Und wenn es gegen die Privatperson Assange Anschuldigungen gibt, Stichwort Schweden, dann müssen diese geklärt werden.

Die Fragen stellte Philip Eppelsheim.

Frankfurter Allgemeine Woche,