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»Die Systemfrage stellen«

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine in der Frankfurter Rundschau über linke Perspektiven

Herr Lafontaine, können Sie noch ruhig schlafen?

Warum sollte ich nicht?

Nun ja, die SPD kämpft neuerdings beherzt für einen Mindestlohn, mit Franz Müntefering ist der Sachwalter der Agenda 2010 abgetreten; die Grünen streiten wieder nach alter Väter Sitte um Auslandseinsätze und das Grundeinkommen. Wird es da einem aufrechten Linken nicht langsam mulmig um die eigene Partei?

Wir wollen Politik verändern und freuen uns, wenn in der SPD das Nachdenken darüber beginnt, was soziale Gerechtigkeit heute heißt und wenn die Grünen sich langsam wieder von den Kriegseinsätzen entfernen. Aber nach wie vor ist die Realität eine andere. Durch die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung wird die Politik der Umverteilung fortgesetzt. Den Unternehmen schenkt man so 12,5 Milliarden. Und die SPD stimmt nach wie vor für eine deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan.

Also kein Linksruck, nirgends?

Da berufe ich mich auf Kurt Beck: Von einem Linksruck zu sprechen ist hanebüchen.

Könnte ein ernstzunehmender Wandel links von der Mitte Ihrer Partei die Existenzgrundlage entziehen?

Der Neoliberalismus beherrscht heute das Denken. Fragen Sie mich in einigen Jahrzehnten wieder.

Kann Ihre Partei auf Dauer nur mit einem konservativen Sozialstaatsmodell überleben?

Das konservative Sozialstaatsmodell ist das der anderen Parteien. Die wollen zurück in den Sozialstaat des vorletzten Jahrhunderts. Wir haben ein zeitgemäßes Modell, das sagt, eine immer reicher werdende Gesellschaft kann sich eine gute Absicherung der Lebensrisiken bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit im Alter leisten.

Trotzdem hat die Linke noch immer kein endgültiges Programm. Mit welchen Themen wollen Sie mittelfristig punkten?

Wir haben viele Initiativen im Deutschen Bundestag eingebracht. Gerade erst haben wir beantragt, Managergehälter auf das 20-fache des geringsten Monatseinkommens in ihrem Betrieb zu begrenzen. Alle anderen Parteien haben diesen Antrag niedergestimmt, um einen Tag später mit großer Pressebegleitung dasselbe zu fordern. Wir wollen eine Besserstellung der Familien, insbesondere ein Rückkehrrecht der erziehenden Eltern in ihren Beruf. Bei den konkurrierenden Parteien ist die Bereitschaft dazu nicht vorhanden. Nicht mal die millionenfache Kinderarmut führt dazu, dass unsere Anträge zur finanziellen Besserstellung dieser Kinder im Bundestag eine Mehrheit findet.

Klingt nicht so, als würde Opponieren Spaß machen.

Spaß macht nur, wenn es gelingt, Politik zu verändern. Die bescheidenen Korrekturen beim Arbeitslosengeld, die es ohne die Linke nicht gäbe, sind ein Anfang.

Sie haben damit begonnen, die Grünen auf deren ureigenem Terrain, der Klima- und Energiepolitik, zu attackieren. Ist das nicht vermessen?

Nein. Die Grünen reden von grüner Marktwirtschaft. Das ist ein Placebo. Wir dagegen stellen die Systemfrage, beispielsweise in der Energiepolitik. Wir wollen die
Vergesellschaftung der Netze und die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Die Grünen glauben immer noch an die neoliberalen Dogmen.

Würden Sie die Grünen überhaupt als linke Konkurrenz akzeptieren?

Die Fairness gebietet es zu sagen, dass sich die Grünen in der Außenpolitik auf ihre Herkunft besinnen. Die Diskussionen über eine soziale Grundsicherung und Korrekturen bei Hartz IV zeigen, dass Teile der Grünen bereit sind, die gravierenden Fehlentscheidungen der Regierung Schröder-Fischer zu korrigieren.

Herr Lafontaine, die erste Halbzeit für Frau Merkel ist gerade abgepfiffen worden. Gibt es etwas, das sie der Kanzlerin zugutehalten würden?

In der Außenpolitik tritt sie im Gegensatz zur Vorgängerregierung leiser und diplomatischer auf. Aber leider befürwortet sie völkerrechtswidrige Kriege und setzt die
Umverteilungspolitik Schröders fort.

Wenn man sich den ideellen Arbeiterführer Rüttgers anschaut, die Frauenvorkämpferin von der Leyen, die sozialdemokratisch gewandete Kanzlerin Merkel: Wäre es für die Linke da nicht ratsam, gar nicht mehr mit der SPD zu kokettieren, sondern gleich mit der CDU zu koalieren?

Solche Spielchen überlassen wir den Grünen, Frau Merkel ist nun wirklich keine Braut für uns.

Frankfurter Rundschau, 23. November 2007, Interview: Jörg Schindler