Zum Hauptinhalt springen

»Die SPD muss sagen, Hartz ist demütigend«

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

BZ-Interview mit Gregor Gysi (Linke) über Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der SPD und die Frage einer gemeinsamen Präsidentschaftskandidatur

Freiburg. In Umfragen liegt die Partei stabil bei zweistelligen Werten, in der SPD reißt die Diskussion über den Umgang mit der "Linken" nicht ab. Wie sie ihrerseits mit der SPD umgeht und was sie politisch fordert, darüber sprach Gregor Gysi, Bundestagsfraktionschef einer Partei, die ungeachtet ihrer Wahlerfolge in etlichen Bundesländern weiterhin vom Verfassungsschutz observiert wird, mit Thomas Fricker.

Willkommen in Baden, Herr Gysi. Weiß der Verfassungsschutz, dass Sie hier sind?

Ich weiß es nicht. Sie müssen ihn fragen, und wenn er es nicht weiß, wäre es wohl ein Skandal ...

Aber womöglich stehen Sie ja ohnehin eher unter der Beobachtung der SPD. Die überlegt, inwieweit man mit Ihnen zusammenarbeitensoll. Würden Sie denn mit der SPD zusammenarbeiten?

Wir müssen das abhängig machen von Inhalten. Die Situation im Bundestag ist ja so: Wir haben vier neoliberale Fraktionen und eine Fraktion, die nicht neoliberal ist: wir. Ob ich den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan nehme, ob die Rente ab 67, ob Hartz IV - alles sind Themen, wo sich die anderen Fraktionen im Kern einig sind. Nur wir haben eine andere Auffassung. Wenn wir jetzt auch noch neoliberal würden, um auf die SPD zuzugehen, wären wir am selben Tag überflüssig. Deshalb muss - es tut mir leid das sagen zu müssen - die SPD größere Schritte auf uns zugehen, um wenigstens wieder sozialdemokratisch zu werden. Dann kann es eine Zusammenarbeit geben, sonst nicht. Wenn Sie mich fragen, ob ich das bis 2009 sehe, dann sage ich, ich halte das nicht für real.

Seit wann ist neoliberal, wer den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan befürwortet?

Der Einwand ist berechtigt, weil das Neoliberale im Kern ein ökonomisches Moment ist. Aber das Problem ist: International hat sich die westliche Welt wieder darauf versteift, auch ökonomische Begehren militärisch zu erreichen. Das hat schon etwas mit Neoliberalismus zu tun, nicht in erster Linie in Deutschland, sondern in den USA.

Wo ist denn in Afghanistan das ökonomische Motiv für den Einsatz der Schutztruppe? Was ist, wenn die Taliban weniger friedliebend sind als die Linke von Gysi und Lafontaine?

Also von den Taliban halten wir beide gleich viel: gar nichts. Aber Tatsache ist, dass sie früher von den USA aufgerüstet worden sind. Die USA haben mit den Taliban sehr gut zusammengearbeitet, als es um eine Öl-Pipeline durch Afghanistan ging. Erst seit dem Nein der Taliban zu dieser Pipeline und dem entsetzlichen Attentat vom 11. September haben wir eine andere Situation.

Lassen Sie uns zur Innenpolitik kommen. Ihre Partei hält sogar die Rente ab 60 für möglich. Wer soll das bezahlen?

Nein, das mit 60 ist Programmatik für die Zukunft. Aber wir fordern von der SPD, dass wir uns wieder auf eine Rente ab 65 verständigen. Faktisch ist die Verschiebung des Renteneintrittsalters nichts anderes als eine Kürzung der Rente um zwei Jahre.

Wieso? Zugleich werden die Menschen doch älter.

Das ist schön, aber der demographische Faktor ist für die Rentenhöhe gar nicht entscheidend. Entscheidend ist die Produktivität, und die steigt so, dass wir Armut im Alter nicht zulassen müssen. Allerdings müssen wir eine mutige Reform machen. Wir sollten sagen, alle Erwerbseinkommen in der nächsten Generation zahlen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Dann müssen wir die Beitragsbemessungsgrenzen aufheben. Auch für ein hohes Einkommen muss man einzahlen. Zugleich muss der Rentenanstieg abgeflacht werden, weil es eine solidarische Versicherung ist. Dann wäre alles bezahlbar. Nur hätte Herr Ackermann (Der Vorstandschef der Deutschen Bank) eben einen Prozentsatz seines gesamten Einkommens einzuzahlen. Das entlastete die Durchschnittsverdiener. Die Mitte der Gesellschaft wird bei uns immer geschröpft.

Die Frage ist, wo sie Mitte definieren? Selbst wenn man Ackermänner zur Kasse bitten würde, käme nicht so viel Geld zusammen, wie sie für ihre Pläne bräuchten. Das müssten Sie bei denen holen, die viel arbeiten, ordentlich verdienen, aber nicht reich sind. Die träfe die Anhebung der Bemessungsgrenze hart.

Nein umgekehrt. In dem Moment, in dem wir sagen, wir nehmen auch von den hohen Einkommen einen Beitrag, haben wir ein ganz anderes Einkommensvolumen. Wenn wir dann auch noch alle Erwerbstätigen mit einbeziehen, können wir den Beitragssatz senken. Das kommt vielen zugute.

SPD-Chef Beck findet diese Position indiskutabel. Bei welchen Inhalten der SPD geht es ihnen ebenso?

Die SPD muss endlich sagen, Hartz IV ist demütigend. Das geht nicht, wir wollen das überwinden. Außerdem muss die Partei weg davon, dass die Durchschnittsverdiener im Kern die Zeche bezahlen und dass sie sich davor fürchten, auch von den Vielverdienern und Vermögenden etwas zu nehmen. Die SPD muss die Gesundheitsreform wieder reformieren, und sie muss dazu beitragen, die Kinderarmut zu überwinden. Außerdem fordere ich, dass die SPD die Angleichung der Löhne, Arbeitszeiten und Renten in Ost und Westen mit durchsetzt.

Könnten Sie sich trotz allem eine informelle Koalition mit der SPD bei der Wahl des Staatsoberhauptes vorstellen?

Wir entscheiden das im September. Für ein gemeinsames Vorgehen gäbe es nur zwei Gründe. Entweder ist diese Wahl ein Signal für etwas, was danach passiert. Aber wenn die SPD mit uns zusammen eine Bundespräsidentin wählt, um ein paar Monate später nach der Bundestagswahl zu erklären, dass sie mit uns nichts zu tun haben will, dann ist das eine Täuschung, an der ich mich nicht beteiligen möchte. Oder wir fänden jemanden, der so ausgezeichnet ist, dass man sagt, die oder den nehmen wir, gleich woher sie oder er kommt.

Und so eine ist Gesine Schwan nicht?

Nicht ganz - vorsichtig formuliert. Frau Schwan ist eine eigenständige Persönlichkeit, aber sie tritt ziemlich parteipolitisch auf.

Ist das ihr letztes Wort?

Eins will ich Herrn Beck bestellen. Wenn er eine Kandidatin aufstellt und ernsthaft erwartet, dass wir sie mitwählen, dann muss er seinen Hörer in die Hand nehmen und Lothar Bisky und Oskar Lafontaine anrufen. Die Kraft sollte er haben.