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Die Spaltung überwinden

Im Wortlaut,

nd-Wirtschaftskolumne

Von Rudolf Hickel

Unlängst hat der mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnete US-Ökonom Joseph Stiglitz den unter Analysten und Prognostikern verbreiteten Spott zitiert: Zur Positivliste der Weltwirtschaft im Jahr 2011 zählt, dass es deutlicher besser als 2012 gewesen sein wird. Das gilt auch für Deutschland. Nach drei Prozent Zuwachs an produzierten Gütern und Dienstleistungen schrumpft nach offiziellen Prognosen das Wirtschaftswachstum im neuen Jahr auf bis zu einem halben Prozent. Dabei fällt auf, dass die regierungsfreundlichen Prognostiker den Abschwung zwar nicht leugnen können, jedoch eine Rezession geradezu inbrünstig ausschließen.

Dabei ist ein Abrutschen in eine Phase mit Produktionsverlusten gut vorstellbar. Bewertungen der gesamtwirtschaftlichen Risiken im neuen Jahr, die eine anhaltende Schrumpfung der Produktion ausschließen, sind nicht seriös. Denn, wenn es dazu käme, müsste über gegensteuernde Konjunkturmaßnahmen nachgedacht werden.

Das grundlegende Problem durch die massive Exportabhängigkeit verschafft sich auch 2012 Geltung. Nicht nur der Internationale Währungsfonds prophezeit für die Weltwirtschaft eine Rezession. Warum soll dann in Deutschland mit seiner Exportabhängigkeit der Abschwung kurz vor der Rezession Halt machen?

Zwei altbekannte Fehleinschätzungen werden wiederbelebt: Die dauerhafte Exportdynamik wird völlig überschätzt. Wenn jedoch auf den Weltmärkten die Nachfrage einbricht, dann schützt davor auch nicht die günstige internationale »Made-in-Germany«-Position. Aber auch für diesen Fall haben die makroökonomischen Gesundbeter eine Rettung parat. Es ist die hochgelobte Binnenwirtschaft. Genau so begründet das den Arbeitgebern nahestehende Institut der deutschen Wirtschaft den sanften Abschwung mit einem Stopp vor der Rezession.

Von einer gegenüber der Exportwirtschaft gestärkten Binnenwirtschaft kann jedoch keine Rede sein. 2011 sind bei einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent die private Konsumnachfrage und der öffentliche Konsum um ungefähr ein Prozent gestiegen. Ein entscheidender Grund für den im längerfristigen Trend eher stagnierenden privaten Konsum ist die enttäuschende Entwicklung der Masseneinkommen. Ausgeblendet wird in den Prognosen auch die vorangeschrittene Spaltung der Arbeitsmärkte. Niedriglöhner und prekär Beschäftigte werden nur noch unterhalb des Existenzminimums entlohnt. Immer noch geistert einer der dümmsten arbeitsmarktpolitischen Sprüche von Wolfgang Clement herum: Selbst ausbeuterische Billiglohnarbeit sei besser als Arbeitslosigkeit.

2012 muss das Jahr einer Entlohnungsoffensive werden. Die tariflichen Reallöhne sollten mindestens um gut drei Prozent im Rahmen der Arbeitsproduktivität wachsen. Dadurch würde wenigstens eine verteilungsneutrale Beteiligung der Beschäftigten an der ökonomischen Wertschöpfung erfolgen. Dazu kommt die Forderung nach Umverteilung zu Lasten der Gewinne. Gegen die Billiglohnausbeutung muss entschieden mit gesetzlichen Mindestlöhnen vorgegangen werden. Schließlich weist die Forderung, für den Teil unverzichtbarer Leiharbeit den Grundsatz gleicher Bezahlung wie bei Stammbeschäftigten durchzusetzen, in die richtige Richtung.

Neues Deutschland, 2. Januar 2012