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Die Rede des Alterspräsidenten Stefan Heym

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Text von Luc Jochimsen zur Veranstaltung "Die Rede des Alterspräsidenten Stefan Heym" am 10. November 2013

Von Lukrezia Jochimsen, MdB der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag während der 16. und 17. Wahlperiode




Januar 1994. Ich bin Chefredakteurin Fernsehen des Hessischen Rundfunks. Nach sieben Jahren in Großbritannien bin ich mit der naiven Vorstellung in Frankfurt: In einem neuen, vereinten, anderen Land zu leben als in der früheren Bundesrepublik. Es ist Wahljahr und die Vorbereitungen für den Wahlkampf sind schon in vollem Gang: in der Politik, wie auch in den journalistischen Medien.

Mitte Februar 1994 gibt der Schriftsteller Stefan Heym auf einer Pressekonferenz in Berlin bekannt, dass er als Unabhängiger für die PDS kandidieren wird. Mich elektrisiert diese Ankündigung. Ich halte sie für ein Signal dieses anderen, neuen, vereinten Landes.
Stefan Heym kenne ich als Autor des Buches "5 Tage im Juni" und als den klugen Kommentator in Fernsehsendungen und "Spiegel"-Artikeln. Eine umfassende Kenntnis seines Lebens und seines Werkes habe ich nicht.

In der Runde der ARD-Chefredakteure nehme ich die Pressekonferenz mit der Bekanntgabe der Kandidatur für die PDS zum Anlass einen Kommentar in den Tagesthemen zu sprechen. Abscheu und Empörung in der Runde. Bemerkungen wie: "Dieser Heym ist ein ewiger Opportunist, immer mischt er sich da ein, wo er sich am meisten für sich versprechen kann." – "In amerikanischer Uniform wäre er nach seinem Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückgekehrt." – "Auslandsaufenthalt? – Sie meinen wohl Emigration?", gehe ich an diesem Punkt dazwischen. Keine Antwort. Und einstimmiges Nein zu einem Heym-Kommentar.

Wochen später versuche ich für die Wahlkampf-Portrait-Reihe ein Portrait von Stefan Heym vorzuschlagen. Wieder Abscheu und Empörung, wieder einstimmiges Nein. "Die PDS hat in dieser nationalen Wahlkampfreihe nichts zu suchen. Sie ist eine Regionalpartei des Ostens und wird sich sowieso von selbst erledigen." "Von selbst erledigen? Ja, je weniger man über sie berichtet, desto eher. Ist das Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Systems?“ Keine Antwort.

Diese Vorgeschichte im Sinn habe ich dann das Wahlergebnis erlebt und mir die Rede des Alterspräsidenten bei der Übertragung aus dem Reichstag angehört und angeschaut. Die Bilder parlamentarischer Unkultur haben mich seitdem verfolgt. Aufgetaucht sind sie wieder bei der Konstituierung des Bundestages 2005, als Lothar Bisky dreimal nicht zum Vizepräsidenten gewählt wurde. Ohne Angabe von Gründen. Motto: Unwählbar! Der Mann ist unwählbar, die Fraktion gehört nicht gleichbehandelt – und dies betraf in diesem Moment schließlich auch mich als Abgeordnete dieser Fraktion.

Die Rede des Alterspräsidenten Stefan Heym 1994, der Versuch die PDS und damit linke Politik jenseits der Sozialdemokratie zu delegitimieren – das war immer eine Geschichte für mich, die nie in Vergessenheit geriet. Als dann für das Jahr 2013 die Idee entwickelt wurde, Veranstaltungen zur Erinnerung an Stefan Heym zu organisieren, kam diese Geschichte wieder an die Oberfläche. Und deshalb habe ich mich dann für eine besondere Veranstaltung der Erinnerung eingesetzt. Mit Rita Süssmuth Gespräche geführt, mit Hansjörg Geiger, in den Tagebuch-Notizen Stefan Heyms nachgelesen, die mir Inge Heym freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, Zeitungsartikel durchforscht und schließlich ein Textbuch über die Intrige verfasst, mit der 1994 die Rede des designierten Alterspräsidenten verhindert werden sollte.

Ergebnis ist die Veranstaltung in drei Teilen: Lesung, Film der Rede, Diskussion mit den damals Beteiligten am 10. November im Theater im Palais, morgens um 11 Uhr.

linksfraktion.de, 4. November 2013