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»Die Politik hat zu wenig gegen Islam-Ängste getan«

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Im Tagesspiegel-Interview spricht Linksfraktionschef Gregor Gysi über den Anschlag auf das Satireblatt "Charlie Hebdo", "Pegida", die Taktik der Union – und eigene Versäumnisse.


 

 

Tagesspiegel: Herr Gysi, Sie waren gerade in Paris...

Gregor Gysi: Ja, zum ersten Mal in meinem Leben zu Weihnachten. Meine Tochter hat dort ein Praktikum gemacht. Und deshalb haben wir uns entschieden, dort zu feiern.

Kurz darauf gab es in Paris den barbarischen Anschlag auf das Satireblatt "Charlie Hebdo". Macht Ihnen das Angst?

Nein. Aber das liegt nicht daran, dass ich so mutig bin, sondern dass ich gut verdrängen kann. Wenn ich immer alles an mich heranließe, wäre ich in all meinen Handlungen beeinträchtigt.

Aber selbstverständlich macht mir dieser Anschlag große Sorgen.

57 Prozent der Bundesbürger empfinden den Islam als Bedrohung. Was sagen Sie diesen Menschen?

Diesen Menschen müssen alle etwas sagen: die Medien, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Kultur, die Wissenschaft. Die Hauptverantwortung aber liegt bei der Politik. Ihr werfe ich vor, viel zu wenig getan zu haben, um Ängste abzubauen oder gar nicht entstehen zu lassen – ohne mich und DIE LINKE von solcher Kritik auszunehmen. Wo Bürger mit Menschen islamischen Glaubens zusammenleben, gibt es diese Ängste ja auch kaum, sie sind eher abstrakt und beeinflusst durch Berichte über islamistische Gewalt aus anderen Ländern. Ich schlage daher eine groß angelegte Aufklärungskampagne vor. Rassisten und Ausländerfeinde dürfen keine Gelegenheit bekommen, Terroranschläge wie jetzt in Paris zu missbrauchen, um gegen friedliche Mitbürger anderer Herkunft zu hetzen.

Sie spielen auf die "Pegida"-Demonstrationen an. Worauf führen Sie denn das Erstarken dieser Bewegung speziell in Sachsen zurück? Hat das auch etwas mit der ostdeutschen Mentalität zu tun?

Zumindest bei den Älteren. Dort lebte man ja in einer eingeschlossenen Gesellschaft, kannte die Welt nur aus dem Fernsehen. Von einem Tag auf den anderen wurden diese DDR-Bürger dann nicht nur zu Deutschen, sondern gleich noch zu Europäern und Weltbürgern. Wenn sie das Geld hatten, konnten sie reisen. Und gleichzeitig erlebten sie, wie sich in ihrer Umgebung alles verfremdete, weil andere Kulturen, andere Menschen Einfluss bekamen. So entstanden Überforderungssituationen. Freiheit ist schön. Aber eben auch anstrengend.

DIE LINKE sieht sich im Osten als Volkspartei. Haben Sie versäumt, die Menschen dort mitzunehmen?

Es gelingt uns nicht immer. Unsere Mitglieder haben einen Altersdurchschnitt, der es uns erschwert, Jüngere zu erreichen

Sie haben als PDS für sich ja gern eine Kummerkasten-Rolle reklamiert.

Ja natürlich, weil es keine andere Hilfe gab. Wir haben die Menschen unterstützt, wenn es um Sozialhilfe ging, um Renten etcetera. So haben wir Schritt für Schritt unsere Akzeptanz im Osten erweitert. Jetzt aber wächst das Lager der Nichtwähler, und andere entscheiden sich für rechtsextreme Parteien oder die AfD, die gerade im Osten gute Ergebnisse bekommen hat. Kurzum: Es gibt im Osten andere Ursachen für Islamfeindlichkeit als im Westen. Aber wir müssen uns über eines im Klaren sein: Fast alle Funktionäre des Rechtsextremismus kommen immer aus dem Westen. Aus dem Osten kommt eher das Fußvolk. Das ärgert mich zusätzlich.

Noch mal zu Sachsen: Haben andere Parteien, insbesondere die CDU, dort gegenüber der AfD und der "Pegida" nicht klar genug Kante gezeigt?

Die CDU stellt seit 1990 in Sachsen allein oder zumindest führend die Regierung. Sie muss gegenüber diesen Bewegungen viel entschlossener auftreten. Sie trägt auch Verantwortung für die Kultur- und Bildungsfragen in Sachsen. Jetzt muss sie dringend überlegen, was sie alles versäumt hat, dass eine solche Haltung bei Menschen entstehen konnte. Hat sie Ängste abgebaut oder das Gegenteil davon getan, und sie sogar noch geschürt? Die CSU ist übrigens genauso: Sie denkt taktisch. Kreuzgefährlich. Deshalb mache ich der CDU in Sachsen auch Vorwürfe.

Geben Sie die Menschen, die für "Pegida" auf die Straße gehen, für DIE LINKE verloren?

So eng denke ich nicht. Ich muss sie nicht für DIE LINKE gewinnen, sondern für die demokratische Gesellschaft. Es geht darum, ein echtes Miteinander zu erreichen. Oder wollen wir die gesamte Welt spalten – da lebt der Islam und da leben die anderen?

Suchen Sie überhaupt das Gespräch mit "Pegida"? Oder sagen Sie, bei denen ist sowieso Hopfen und Malz verloren?

Mit den Funktionären, den Anführern, würde ich nicht reden. Das bringt nichts. Reden muss man aber mit den Mitläufern, und das werde ich auch tun.

Ist "Pegida" rechtextrem?

Sie sind auf jeden Fall nationalistisch und rassistisch. Jedenfalls die Organisatoren. Und die die mitlaufen, werden das immer von sich weisen. Aber sie unterstützen es zumindest indirekt.

Wenn Sie das jetzt zusammenfassen: Islamophobie, Übergriffe gegen Flüchtlinge, AfD, "Pegida" – was braut sich in Deutschland gerade zusammen?

Die Strukturkritik an der Gesellschaft geht im Augenblick nach rechts. Das macht mir Sorgen. Die Bundesrepublik hat immer Mittel gegen links gefunden und nie wirksame Mittel gegen rechts. Jetzt müssen wir den Druck auf CDU und CSU erhöhen, damit hier etwas geschieht, damit wir Grenzen setzen.

Rot-Rot-Grün im Bund – kann das 2017 noch was werden?

Ich habe SPD und Grünen Gespräche vorgeschlagen, und Herr Özdemir und Frau Fahimi haben das abgelehnt. Die sind beide durch ihre Verliebtheit in die Union vernebelt. Trotzdem wird jetzt deutlich: Es scheitert nicht an uns, es scheitert an ihnen. Und gerade die SPD steckt in einer schwierigen Situation: Sollte es 2017 noch einmal eine große Koalition geben, wird es eng für die Demokratie. Und wenn das 2021 ein weiteres Mal passierte, ist es eine Katastrophe.

Warum?

Wenn immer eine 80-prozentige Mehrheit herrscht, wird das Parlament Schritt für Schritt fast überflüssig.

Es gibt aber Zweifel an der Regierungsfähigkeit Ihrer Partei. Sie selbst haben den Fanatismus in den eigenen Reihen ja zu spüren bekommen. Sie wurden von Israel-Hassern bis auf die Bundestagstoilette verfolgt. Außerdem demonstrieren linke Abgeordnete mit Verschwörungstheoretikern wie Ken Jebsen.

Die Hasser kamen nicht aus der Fraktion. Als Vorsitzender bin ich für alle Mitglieder verantwortlich. Ich kann also nicht so parteiisch sein, dass ich sage, ich gehe mit 60 Prozent und 40 Prozent interessieren mich nicht. Wir sind eine pluralistische Partei und benötigen unterschiedliche Ansätze. Bestimmte Auseinandersetzungen müssen allerdings geführt werden. Und regierungsfähig sind wir. Was können denn die anderen mehr? Ich bitte Sie!

Im Herbst wählt die Linksfraktion im Bundestag eine neue Fraktionsspitze. Treten Sie wieder an?

Ich selber werde meine Entscheidung zu gegebener Zeit treffen. Gehen Sie mal davon aus, dass ich spätestens mit 90 den Fraktionsvorsitz abgeben werde.


Das Gespräch führten Matthias Meisner und Rainer Woratschka.

 

Der Tagesspiegel, 10. Januar 2015