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»Die Menschen von Anfang an einbeziehen«

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Im INTERVIEW DER WOCHE spricht Gregor Gysi über die Lehren, die aus dem Debakel um den Flughafen Berlin Brandenburg (BER) gezogen werden müssen. Nie wieder dürfe es dazu kommen, "dass Menschen erst kurzfristig erfahren, dass sie erheblichem Fluglärm ausgesetzt" werden. Es müsse aufhören, dass sich die Politik in Hinterzimmern mit der Wirtschaft einige und dann versuche, diese Lösungen gegen alle Widerstände durchzupeitschen.
 

Berlin wollte mit dem Prestige-Flughafen Berlin Brandenburg hoch hinaus und ist durch die verpatzte Eröffnung zum 3. Juni hart auf dem Boden der Realität aufgeschlagen. Wie bewerten Sie die Notlandung?    Gregor Gysi: Besonders peinlich ist, dass die Verschiebung so kurzfristig erfolgt ist und dass es bereits die zweite Verschiebung ist. Hier drängt sich die Frage auf, warum man bei der ersten Verschiebung nicht vorsichtiger war und einen späteren Eröffnungstermin festgelegt hat. Zusammen mit der extrem kurzfristigen Verschiebung jetzt trägt das zum Eindruck bei, dass in der Flughafengesellschaft die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Nun drohen den Ländern Berlin, Brandenburg und dem Bund hohe Schadenersatzklagen, die letztlich vermutlich die Steuerzahler tragen müssen. Das ist der eigentliche Skandal.   Die Eröffnung musste zum zweiten Mal verschoben werden. Angeblich waren erhebliche Baumängel bereits seit 2010 bekannt. Wer trägt die politische Verantwortung und welche Konsequenzen müssen daraus gezogen werden?    Die politische Verantwortung trägt der Aufsichtsrat, in dem Berlin, Brandenburg und der Bund sitzen. Der Aufsichtsrat sollte sich auf die Aussagen der Geschäftsführung verlassen können. Und die hat noch am 20. April in der letzten Aufsichtsratssitzung behauptet, dass der Termin am 3. Juni zu halten sei. Auch die Firma, die die Controlling-Berichte verfasste, war zu dem Zeitpunkt noch der Auffassung, dass der Termin zu halten wäre. Wenn die Eröffnung nun erst Monate später erfolgen kann, dann liegt die Ursache offenkundig im mangelhaften Baumanagement. Und dafür ist die Geschäftsführung verantwortlich. Aber der Aufsichtsrat hat bei der Kontrolle versagt.   Seit der Planung des Flughafens begleitet ihn der Protest seiner Gegner. Es gab mehrfach Klagen, weitere Klagen drohen. Was läuft falsch in der Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten bei Großprojekten wie der neuen Landebahn Nord in Frankfurt, Stuttgart 21 oder dem Berliner Flughafen?    Bei all diesen Großprojekten wurde von oben herab den Menschen etwas vorgesetzt. Die Politik einigt sich in Hinterzimmern mit der Wirtschaft und versucht dann, diese Lösungen gegen alle Widerstände durchzupeitschen. Entscheidungen und ihre Hintergründe bleiben intransparent wie etwa die Erlaubnis von Nachtflügen, deren wirtschaftliche Bedeutung weder hinreichend belegt ist noch den Vorrang vor der Gesundheit der Menschen hat. Das lassen sich viele Menschen zum Glück nicht mehr gefallen.   Sind Politik und Parteien überfordert? Welche Lehren müssen daraus gezogen werden?   Politik und Parteien sind nicht überfordert, die anderen Parteien gehen nur nicht ausreichend auf die Wünsche und Bedenken der Menschen ein. Die Politik sollte endlich lernen, dass man die Menschen von Anfang an einbeziehen muss. Bereits die Entscheidung, ob ein neuer Flughafen oder ein neuer Bahnhof oder eine neue Landebahn gebaut wird, muss mit den Betroffenen gemeinsam gefällt werden.   Die Gegner des Großflughafens werden angesichts der Bauchlandung vielleicht etwas Schadenfreude empfinden. Ihre grundsätzliche Kritik an Flugrouten, Fluglärm und Nachtflügen dürfte das nicht ändern. Können Sie noch mit Hilfe aus der Politik rechnen?   Als Juniorpartner in Brandenburg kann DIE LINKE nicht alleine entscheiden. Immerhin konnten wir Nachbesserungen bei der Umsetzung der Lärmschutzmaßnahmen für die Anwohnerinnen und Anwohner durchsetzen. Allerdings sind diese noch nicht ausreichend. Die Bundesregierung und die SPD-Ministerpräsidenten waren allerdings nicht zu weiteren finanziellen Konzessionen bereit – müssen wegen der Verschiebung nun aber ein Vielfaches an Schadensersatz zahlen.   Hilfe gab es für lärmgeplagte Anwohnerinnen und Anwohner kürzlich nicht durch die Bundesregierung – die den Menschen das Blaue vom Himmel verspricht, dann aber untätig bleibt –, sondern vom Bundesverwaltungsgericht. Nach dem Urteil Anfang April zum Nachtflugverbot in Frankfurt gilt nun praktisch ein bundesweites gesetzliches Nachtflugverbot. Das gilt allerdings nicht für bestehende Regelungen an den Flughäfen, sondern nur bei zukünftigen Entscheidungen.   Die Berliner LINKE will das Volksbegehren für ein Nachtflugverbot von 22 – 6 Uhr am BER unterstützen. Wenn dieses erfolgreich ist, kann auch der Berliner Senat dieses starke Votum nicht einfach ignorieren.   DIE LINKE will auch das Luftverkehrsgesetz ändern. Warum?    In einem ersten Schritt haben wir, gerade mit Blick auf bestehende Regelungen, einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem nachts der Lärmschutz absoluten Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Airlines an kurzen Flugrouten bekommen soll. Mit einem neuen Antrag fordern wir eine gesetzliche Festlegung für ein bundesweit einheitliches Nachtflugverbot von 22.00 bis 6.00 Uhr anstelle der jetzigen von Flughafen zu Flughafen abweichenden Regelungen mit kürzeren Nachtruhen. Außerdem wollen wir, und das ist die mittlerweile auch von anderen Parteien anerkannte Lehre aus dem Chaos um den BER, ein neues Verfahren für die Festlegung von Flugrouten mit umfassender Bürgerbeteiligung – damit es nie wieder dazu kommt, dass Menschen erst kurzfristig erfahren, dass sie erheblichem Fluglärm ausgesetzt werden, wie es vielen Menschen in Berlin und Brandenburg nun zugemutet wird.

linksfraktion.de, 22. Mai 2012