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»Die Luft ist für niemanden sauberer geworden«

Kolumne von Sabine Leidig,

 

Von Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

In 29 Regionen in Deutschland drohen Strafzahlungen, weil die gesundheitsschädliche Stickoxidbelastung auf den Straßen dauerhaft viel zu hoch ist. Die Weltgesundheitsorganisation fordert darüber hinaus, dass diese Grenzwerte halbiert werden. Allein in Deutschland sterben (laut Europäischer Umweltagentur) etwa 10.000 Menschen vorzeitig, aufgrund der Stickoxide aus dem Straßenverkehr.

Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt. Aber anstatt den PKW-und LKW-Verkehr einzudämmen, hat die herrschende Verkehrspolitik auf technologische „Selbstheilung“ durch schadstoffärmere Fahrzeuge gesetzt und ein paar Umweltzonen eingerichtet, während die Gesamtzahl der Fahrzeuge weiter wächst. Und: spätestens seit 2011 ist bekannt, dass die neuen Autos zwar auf dem Prüfstand die strengeren Grenzwerte einhalten, in Wirklichkeit im Straßenverkehr aber meistens nicht. Die Abweichungen im realen Fahrbetrieb werden seit 1997 im Handbuch für Emissionsfaktoren berücksichtigt und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und andere haben wiederholt das Verkehrsministerium darüber informiert, dass Messergebnisse bei einzelnen Fahrzeugtypen den Verdacht der Manipulation nahelegen.

Geschehen ist nichts. Für die deutsche Bundesregierung galt und gilt: Die Interessen der deutschen Autoindustrie sind Chefsache: Merkel traf sich mit keinen Branchenchefs so häufig wie mit Winterkorn, Zetsche, Wissmann & Co. Und intervenierte persönlich, als in Brüssel deutlich strengere europaweite Grenzwerte festgelegt werden sollten. Im Verkehrsministerium wurden alle Hinweise auf Manipulationen ignoriert.

Damit haben die Verantwortlichen der großen Koalition das Ausmaß des Skandals anwachsen lassen. Die Regierung schaute sehenden Auges zu, wie die Autoindustrie tausendfache Körperverletzung mit Todesfolge beging; sie verspielte gute Gelegenheiten, Klima und Umwelt zu schützen, die Luft in den Städten sauberer und die Lebensqualität besser zu machen. Diese Unterwürfigkeit vor den Chefs der Autokonzerne und den Expansionsstrategien von VW gefährdet jetzt viele Tausend Arbeitsplätze.

Als im September 2015 der Abgasbetrug bei VW von den US-Behörden nachgewiesen wurde, schien die Empörung plötzlich groß. Verkehrsminister Dobrindt rief sogleich eine Untersuchungskommission ins Leben. Ergebnisse nach fast fünf Monate? Unbekannt. Immerhin wissen wir inzwischen (nachdem dies monatelang geheim gehalten worden war), wer überhaupt Mitglied der Kommission ist: Das ist neben Dobrindt selbst Staatssekretär Odenwald, zwei weitere Personen aus dem Verkehrsministerium und drei aus dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA): alle also aus Behörden, die erstens schon längst über die Manipulation von Abgaswerten Bescheid wussten und nichts, aber auch gar nichts unternommen hatten, dieser Praxis Einhalt zu gebieten. Einer einzige externe Person sitzt als „wissenschaftliche Begleitung“ in der Kommission: ein Professor von der TU München, der in der Vergangenheit für die Fahrzeugindustrie gearbeitet hat. Der Spiegel titelte zurecht: „Vor dieser Truppe muss VW keine Angst haben“.

Unabhängige Prüfungen, ließ inzwischen vor allem die DUH durchführen – und zwar in der Schweiz, weil es sich TüV oder DEKRA oder andere Prüfstellen in Deutschland nicht mit ihren Hauptauftraggebern (den großen Autoherstellern) nicht verderben wollen. So ist mittlerweile klar, dass nicht nur VW manipuliert. Bei Modellen von Daimler, BMW, Renault und Fiat wurden im realen Fahrbetrieb deutlich höhere Emissionen gemessen, als unter den Laborbedingungen für die Typenzulassung. Auch Dobrindts Kommission untersucht angeblich die Abgaswerte von bis zu 50 Fahrzeugtypen. Ergebnisse sind nicht veröffentlicht  - die Herren müssen sich wohl noch von der Autoindustrie beraten lassen, wie diese zu interpretieren sind.

Die Antworten auf Kleine Anfragen der Linksfraktion und der Grünen sind so gehalten, dass weder das Parlament, noch die interessierte und betroffene Bevölkerung wissen soll, was und wie getestet wird und was sich zukünftig ändern wird. Dass Minister Dobrindt von unangemeldeten Tests nach dem Vorbild von Dopingkontrollen redet, ist auch nur eine Nebelkerze. Solche Felduntersuchungen durch das Kraftfahrbundesamt (KBA) wurden bereits in der Vergangenheit durchgeführt, aber ohne die nötige Kompetenz – und ohne Ergebnis. Es scheint dass „das verspielte Vertrauen wiederherstellen“ (Dobrindt) meint, dass die Verantwortlichen in den Chefetagen der Autokonzerne nicht zittern müssen.

Unterdessen läuft der Rückruf der rund 2,4 Millionen Fahrzeuge, die nachweislich manipuliert sind, langsam an. Es geht dabei um nicht weniger als 17% der Diesel-Pkw auf Deutschlands Straßen! Unklar ist, wie die nachgerüsteten Fahrzeuge getestet werden, um die tatsächliche Einhaltung der Grenzwerte zu gewährleisten und welche Konsequenzen die Umrüstung auf andere Fahrzeugparameter wie Leistung und Verbrauch haben. Damit ist auch offen, ob sie danach überhaupt nennenswert weniger schädlich sind.

Bisher ist die Luft für niemanden sauberer geworden. Und von den vielen Forderungen aus unserem Antrag vom Oktober zu den notwendigen Konsequenzen aus dem Abgasskandal ist noch fast nichts umgesetzt – er ist nach wie vor ganz aktuell.