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Die kommunale Daseinsvorsorge schützen

Interview der Woche von Kerstin Kassner,

 

Kerstin Kassner, kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, im Interview der Woche über die Verschränkung von Bundes- und Kommunalpolitik, den Kommunal-TÜV der Fraktion, die Trinkwasserversorgung und den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge

 

Kommunalpolitik im Bundestag – wie passt das zusammen?

Kerstin Kassner: Zunächst möchte man meinen, dass Kommunalpolitik in erster Linie in den jeweiligen Bundesländern stattfindet. Aus meiner eigenen kommunalpolitischen Erfahrung, zunächst als Landrätin von Rügen und später als zweite stellvertretende Landrätin des neugeschaffenen Großkreises Vorpommern-Rügen, weiß ich natürlich, dass die Kommunen bis zu 90 Prozent der Gesetze ausführen müssen, die im Bundestag beschlossen werden. Außerdem beeinflussen die Entscheidungen des Bundestages im Steuerrecht in hohem Maße die kommunale Finanzlage, die objektiv betrachtet eher eine Finanzmisere ist. Wenn sich hier etwas verbessern soll, müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen auf Bundesebene geändert werden. Dafür bin ich als kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion angetreten.  

"Wer bestellt, bezahlt" – weshalb gilt diese Regel offenbar nicht in den Beziehungen zwischen Bund und Kommunen?

Das Konnexitätsprinzip wir häufig mit der Kurzformel "Wer bestellt, bezahlt“ umschrieben. Es ist mittlerweile in allen Flächenländern in den Landesverfassungen verankert und sollte natürlich auch im Verhältnis zwischen Bund und Kommune gelten. Die verantwortlichen Regierungsparteien – während der Planung SPD und Bündnis 90/Die Grünen und während des Bundestagsbeschlusses CDU/CSU und SPD als Große Koalition – haben sich bei der ersten Föderalismusreform allerdings dagegen entschieden, ein striktes Konnexitätsprinzip zugunsten der Kommunen in das Grundgesetz aufzunehmen. Stattdessen wurde das sogenannte Aufgabenübertragungsverbot in die Verfassung geschrieben. Das Problem hierbei ist, dass Aufgaben, die bereits vor 2006 auf die Kommunen übertragen wurden, nicht von diesem Verbot erfasst werden, so dass die Kommunen nicht ausreichend geschützt sind. Das trifft zum Beispiel im Bereich von Hartz IV sowie für die Erweiterung bestehender Aufgaben zu.

Ihre Fraktion hat als einzige im Bundestag einen "Kommunal-TÜV". Was ist das?

Die verschiedenen Bundesregierungen erlassen oft Gesetze, ohne deren Auswirkungen auf die kommunale Ebene zu berücksichtigen. Das ist einer der Hauptkritikpunkte, die wir immer wieder vorbringen. Deswegen ist es für uns ein Gebot der Glaubwürdigkeit, dass wir dies nicht nur bei anderen kritisieren, sondern auch bei unseren eigenen Anträgen und Gesetzesentwürfen die Folgen für die Kommunen vorher prüfen. Wenn die Kommunen durch Forderungen von uns mit höheren Ausgaben belastet werden, suchen wir nach Wegen, hierfür einen finanziellen Ausgleich zu schaffen. Verantwortlich hierfür ist die Kommunal-AG der Fraktion.

Das klingt ein bisschen abstrakt. Können Sie das an einem Beispiel aus der Praxis erklären?

Zu unseren Forderungen zählt ja zum Beispiel die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Bei Wegfall des Asylbewerberleistungsgesetzes würden die Menschen, die bisher in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes gefallen sind, in der Regel in den Anwendungsbereich des SGB II, also Hartz IV, fallen. Das würde zu höheren Ausgaben der Kommunen im Bereich Kosten der Unterkunft führen. Da wir den Kommunal-TÜV schon in der letzten Wahlperiode hatten, haben wir unsere Forderung nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes also ergänzt und sagen nun, dass der Bund die zusätzlichen Kosten ausgleichen muss, zum Beispiel durch Aufstockung des Bundesbeitrages für die Kosten der Unterkunft.

Gut, dass Ihre Fraktion darauf ein Auge hat. Aber was ist mit den drei anderen Fraktionen, die ja nun einmal über 90 Prozent der Sitze im Bundestag innehaben?

Es ist natürlich klar, dass wir mit unseren 8,6 Prozent nicht im Alleingang bestehende Gesetze ändern können. Es ist aber wichtig, dass wir hier Diskussionen anstoßen und gleichzeitig engen Kontakt zu den Akteuren des Bundestages, zum Beispiel zu kommunalen Amts- und MandatsträgerInnen sowie zu zivilgesellschaftlichen Akteuren halten, um deren Erfahrungen in die Debatten einzubringen. Als LINKE legen wir ohnehin stets Wert darauf, dass wir Veränderungen vor allem mit den Menschen, also auch unseren Wählerinnen und Wählern, zusammen erreichen. In der letzten Wahlperiode hat die Fraktion beispielsweise die europäische Bürgerinitiative "right2water" unterstützt, die maßgeblich daran beteiligt war, dass die kommunale Trinkwasserversorgung vor Liberalisierungsbestrebungen der EU geschützt wurde.

Welche Herausforderungen ergeben sich aus Ihrer Sicht in dieser Wahlperiode in Sachen Kommunalpolitik?

In diesem Rahmen lassen sich natürlich nur einige der Herausforderungen skizzieren. Der Bund muss sich in angemessener Weise an der Finanzierung gesamtstaatlicher Aufgaben beteiligen. Dies gilt insbesondere für den sozialen Bereich. Bei der versprochenen Übernahme der Kosten für die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung sehen wir noch keine Anzeichen, dass dies tatsächlich in dieser Wahlperiode geschehen wird. Und auch bei den Steuereinnahmen müssen die Kommunen stärker beteiligt werden. Wir werden hierzu unser Konzept der Gemeindewirtschaftssteuer in die Debatte einbringen. Ein weiterer Schwerpunkt wird vor dem Hintergrund des geplanten Freihandelsabkommens TTIP zwischen den USA und der EU sicher der Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge sein.

linksfraktion.de, 4. März 2014