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»Die Jagd auf Gysi mach ich nicht mit«

Im Wortlaut von Bodo Ramelow,

Linke-Vize Ramelow empört sich, dass er bespitzelt wurde. Die noch immer ungeklärten DDR-Machenschaften von Fraktionschef Gysi will er damit jedoch nicht vergleichen.

Herr Ramelow, der Verfassungsschutz hat sie ausgespäht. Was bedeutet das für Sie?

Mir ist das unter die Haut gegangen. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass mich jemand beobachten würde. Viele bei uns in der Partei finden es ja einen Witz, warum man ausgerechnet mich, den Oberrealo, beobachtet hat.

Wie kam das?

Als der Fraktionsvorsitzende der CDU im Thüringer Landtag über einen angeblich linksradikalen Kollegen von mir herzog, wurden wir stutzig. Die Art, wie der sprach, das musste ein Griff in die Schmutzkiste des Geheindienstes sein. Also stellten wir als Fraktion einen Antrag auf Auskunft - und hatten drei Treffer. Unter anderem mich.

Warum fing der Verfassungsschutz an, Sie zu beobachten?

Als ich mich vor vielen Jahren mit einem Kommunisten solidarisch erklärte, mit dem Postbeamten Herbert Bastian, geriet ich ins Visier. Von da an wurde ich observiert - und dann machen die einfach immer weiter damit. Einmal in diesem Raster, immer drin. Das ist deren brutale Logik.

Wie denken Sie über die Leute, die sie ausgeforscht haben?

Ich empfinde für bestimmte Leute nur Verachtung. Innerlich ist das eine widerliche Geschichte. Wenn man im Rückblick die Art betrachtet, mit der sich diese Leute wichtig machen, wie sie sich ranschmiegen. Bei mir war einer dabei, der mal für die CSU, mal für die CDU und dann wieder für den Verfassungsschutz arbeitete. Und der entschied, wer ein Verfassungsfeind ist und wer nicht. Das ist unheimlich.

Hat ihr Erlebnis Auswirkungen auf das Verhältnis zu Gregor Gysi?

Nein. Warum sollte es eine Auswirkung haben?

Weil es hochwahrscheinlich ist, dass Gregor Gysi im Osten das trieb, was Sie im Westen als Opfer erlebten.

Da teile ich ihre Auffassung nicht. Was soll er denn zugeben? Dass er als Anwalt ins System involviert war? Hat er immer zugegeben. Und dass diese Funktion in einer Dikatur des Proletariats nicht mit unseren Rechtstaats-Maßstäben zu bemessen ist, da sind wir uns wohl einig, oder?

Sind die neuen Informationen aus der Havemann-Akte keine Indizien, die Sie neu nachdenken lassen?

Die Frage, ob Gregor Gysi IM oder nicht IM war, an einer Trabifahrt festzumachen, finde ich falsch. Die Fahrt ist unbestritten, dass der Gesprächsinhalt später in den Akten landete, ebenfalls. Aber es ist eben ein Aktenstück, das allenfalls eine Seite der Wirklichkeit zeigt. Die zentrale Frage ist doch, wann jemand abgeschöpft hat und wann er abgeschöpft wurde.

Wir erwarten nicht, dass sie persönlich beleidigt sind wegen Gysi. Aber wir fragen uns, ob Sie als Betroffener nicht geeignet wären, die Maßstäbe für ihre Partei und ihre Fraktion zu klären, in der Gregor Gysi den Vorsitz hat.

Es muss Aufklärung geben, das ist doch klar...

... des Falles Gysi?

Aufklärung der Strukturen, Aufklärung über das Abschöpfen. Wir müssen sicherstellen, dass auch künftig darüber geforscht werden kann.

Alle, die darüber forschen, ordnen Herrn Gysi als IM ein.

Es gibt Leute, die ihren Auftritt daraus ableiten, dass sie die Hohepriester der DDR-Opfer sind. Das geht mir auf die Nerven. Die totalitären Strukturen der DDR müsen Forschungsgegenstand bleiben, ja. Da darf man auch keine Akten zumachen. Aber die individuelle Jagd auf Herrn Gysi, da mache ich nicht mit. Die Akten sagen im individuellen Fall das eine und das andere. Ich kann das nicht beurteilen. Aber die Strukturen, die möchte ich verstehen.

Interview: Christian Füller und Kai Schliefer

taz, 30. Mai 2008