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Die Arbeitsatmosphäre der Probenbühne

Im Wortlaut,

Am Wochenende tagte das Kulturforum der LINKEN - Thema: Kulturelle Bildung. Für alle. Von Anfang an.

Auf der großen Bühne werden Produkte präsentiert von künstlerischer Arbeit. Sie fallen entweder durch beim Publikum oder treiben es zu höchstem Entzücken und massenhaftem Besuch. Doch das, was an Kunst gezeigt werden kann, muss zuvor einen exakten und fantasievollen Arbeitsprozess durchlaufen. Das Können aller Beteiligten wird auf einer Probebühne so lange studiert, bis es in die Öffentlichkeit kann, ja muss. Insofern sind Probebühnen auch ein idealer Ort für für den Austausch zwischen Politik und Kultur, mit dem klaren Ziel, Ergebnisse zu erlangen, die es ohne dieses Aufenandertreffen nicht gegeben hätte. Es muss ja nicht gleich ein Kunstwerk sein. Die Bundestagsfraktion der LINKEN hatte sich an diesem Wochenende bezeichnenderweise wieder eine Probebühne ausgesucht für die Tagung ihres Kulturforums. Künstler treffen auf Politiker. Das hat schon ein paar Mal ganz gut funktioniert. Vor etlichen Jahren auf der Probebühne des Berliner Ensembles, dann - nach langer, langer Pause - im vergangenen Jahr in der Neuen Bühne Senftenberg. Und am vergangenen Wochenende auf der Probebühne des Theaters an der Parkaue. Das Thema war so konkret wie vielseitig und ehrgeizig: Kulturelle Bildung. Für Alle. Von Anfang an.

Der Zugang zu kultureller Bildung für alle sollte eigentlich ein Grundrecht sein. Aber eben genau das muss man verteidigen und ausbauen. Die Verantwortung dafür liegt bei der Kulturpolitik, aber nicht nur dort. Der Parteiovorsitzende Lothar Bisky brachte es am Freitag in seinen Impulsbemerkungen gleich zu Beginn auf den Punkt: Es geht darum, »dass die kulturelle Infrastruktur in den Kommunen nicht weiter bröckelt; dass Schulen die kulturelle Bildung nicht nachrangig behandeln; dass die Beschäftigungssituation für Künstlerinnen, für Medienfachleute, die mit Kindern und Jugendlichen an Schulen, in Klubs zusammenarbeiten, sich verbessert …« Die Teilnehmer der Konferenz hatten sich nach Berlin aufgemacht, um die einfachste Investition zu nutzen, die es gibt, den Erfahrungsaustausch. Es kam so, wie Bisky es vorhergesehen hatte: Die Gespräche, die geplanten Foren bewegten sich »zwischen erfolgreicher Praxis und empfindlichen Leerstellen«. Diskutiert wurden eingangs die neuen Anforderungen, denen sich die Kulturpolitik im Bereich der kulturellen Bildung stellen muss. Ein Kurzprotokoll:

»Es kann überhaupt keine Bildung ohne Kultur geben. Was wir brauchen, ist ein Ressortübergreifender Zugang« (Thomas Flierl, Ex-Kultursenator von Berlin). »Kunst & Kultur wird oft als Magen-Darm-Frage behandelt, also als schwer verdaulich ... Als Künstler muss man auch oft sein eigener Kulturpolitiker sein« (Kay Wuschek, Intendant des Theaters an der Parkaue). »In Lichtenberg muss es gelingen, eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Jugend- und Kulturamt auf den Weg zu bringen« (Katrin Framke, Bezirksstadträtin für Kultur). »In den Kommunen gibt es fast keinen Anschaffungsetat für Büchereien mehr. Es brennt! Wenn nicht schnell etwas passiert, bricht die Basis der kukturellen Bildung weg« (Prof. Wolfgang Schneider, Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Uni Hildesheim. »Wissen ist Macht. Unwissen Ohnmacht ... Was kann die Gemeinschaft für die ›Kaspar Hausers‹ dieser Welt tun?« (Luc Jochimsen, kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der LINKEN). »›Das Wunder von Bernd‹ (Neumann) sind 400 Millionen Euro mehr für die Kultur« (Max Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Kulturrats). »Ohne das Internet hätten die Nachbarn rund um das Haus in Amsterdam, in dem Anne Frank versteckt war, nicht weltweit mobilisieren können, um die Kastanie im Hof zu retten, die Anne Frank den Lebensmut schenkte« (Lothar Bisky, auch medienpolitischer Sprecher der LINKEN-Bundestgsfraktion).

Keine Theorie ohne Praxis. Am Freitagabend besuchten die Kulturmenschen Büchners »Leonce und Lena« im Theater, inszeniert von Sascha Bunge, der eben noch auf dem Podium mit Klaus Spieler von der »Freiwilligen Selbstkontrolle Unterhaltungssoftware« über die neuen Medien stritt. Wohl eher aber mit ihm einer Meinung war, dass Spiel und Lernen einander nicht ausschließen müssen.

Am Sonnabend dann Ortswechsel an den Koppenplatz in Mitte in das Theaterhaus. Dort wirkt seit der Wende der »Förderband e.V.« Seine Gründungsunterstützer hießen Christa Wolf, Heiner Müller, Christoph Hein. Seine Bilanz für die Jugendbildungs- und Kulturarbeit in den letzten Jahren ist beeindruckend. Er kooperiert derzeit mit mehr als 100 kulturellen Einrichtungen und Initiativen. Seine Zukunft ist dennoch ungewiss.
Der Sonnabend des Kulturforums war der Tag der Praktiker. Es war für alle Anwesenden verblüffend zu erleben, wieviel Herzblut, wieviel Mühe auf Kultur- und Jugendbildung aufgebracht wird. Die Beispiele könnten unterschiedlicher nicht sein, haben jedoch alle ein Ziel: Kutur an junge Menschen zu bringen, die sie entweder nicht bezahlen können oder die ihnen längst nicht mehr im normalen Schulbetrieb angeboten wird. Es hat sich eine Besonderheit der kulturellen Bildung ausgeprägt die für freie Kommunikation, für die Aufhebung von Leistungsdruck steht, selbst wenn sie leistungsstark ist.

»Jedem Kind ein Instrument«, so heißt es in NRW. »TanzZeit« aus Berlin hat in gut zwei Jahren schon über 5000 Kinder aller Schichten an Schulen von Zehlendorf bis Neukölln erreichen können. »Helliwood:media« entwickelt IT-gestützte Bildungsangebote, so ein »Medientagebuch« für den Alltag von Computerkids. Die Kinder- und Jugend-Kunst-Galerie »Sonnensegel« hat sich in Brandenburg einer fantasiereichen Jugendbildungsarbeit verschrieben. Und die »Aktionstheatergruppe Halle« geht in die Schulen, um dort mit Kindern zu trommeln, auf Stelzen zu laufen und zu spielen. Mit einem Lehrstück über den Alltag einer ganz normalen Familie schafften sie es, die eher von der Theorie kommenden Teilnehmer des Forums zu spielfreudigen Menschen zu machen. Jeder erzählte an diesem Wochenende von seinen Schwierigkeiten. Aber auch immer wieder von seinen Erfolgen. Alle konnten etwas mit nach Hause nehmen: Da gibt es neben mir etliche andere, die sich abrackern. Und da gibt es eine Partei, der dieses Thema es wert war, eine zweitägige Konferenz abzuhalten. Eben weil Kultur keine Eintagsfliege sein darf. Weil sie als »freiwillige Aufgabe« mehr Aufgabe als freiwillig sein sollte.

Kulturelle Bildung steht für Offenheit, für Begegnung mit unbekannten uralten und modernen sinnlichen Welten - im Klang, in Farben, in der Bewegung, in Bildern, in Geschichten - und im Erfahrungsausstausch. Manchmal wird das, was man will, mit Schlagworten wie »Zukunftsperspektiven« - auch von Politikerinnen der LINKEN - gerne mal beschworen. Doch besser doppelt gemoppelt als gar nicht.

Wenn Diana Golze, bildungs- und jugendpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, in der Schlussrunde erzählt, dass sich mit der kulturellen Bildung jetzt sogar die Kinderkommission, ein Unterausschuss von dem für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, beschäftigt, da kann man Hoffnung schöpfen. Vielleicht wird es ja bald ein »Freiwilliges kulturelles Jahr« geben? Oder wenn Rosemarie Hein, langjährige Spitzenpolitikerin der LINKEN in Sachsen-Anhalt, darauf aufmerksam macht, dass Lösungen in der Stadt noch lange nicht welche für das Dorf sind, dann weiss man, dass sie sich auch darum kümmern wird. Ein »Fördergesetz für Jugendbildung« könnte sie sich noch vorstellen.

Fazit: Kulturelle Bildung wird oft noch als Luxus angesehen. An diesem Kulturwochenende der LINKEN stand sie im Mittelpunkt. Auf der Probebühne, in der Aula, bei vielen Gesprächen. Was kann man mehr wollen als so eine Arbeitsatmosphäre.

Von Hanno Harnisch

Neues Deutschland, 3. Dezember 2007