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Deutschlands Schutzschirm gegen Flüchtlinge

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

 

Von Ulla Jelpke

 

Bei der Debatte um die deutsche und europäische Asylpolitik weisen die Innenpolitiker der Koalition immer wieder darauf hin, dass die Bundesrepublik bereits heute eine große Zahl von Asylsuchenden aufnehme: 120.000 seien es im vergangenen Jahr gewesen, so der Bundesinnenminister Thomas de Maiziére in der vergangenen Woche im Bundestag, 200.000 würden in diesem Jahr erwartet. Andere EU-Staaten hätten deutlich weniger Asylsuchende zu verzeichnen: Italien 22.000, Frankreich 66.000, Großbritannien 30.000.

Doch die Zahlen des Innenministers sind irreführend. Denn 35.800 Asylsuchende sollten im vergangenen Jahr aus Deutschland in andere EU-Staaten zurückgeschoben werden. Grundlage dafür ist die Dublin III-Verordnung: Demnach müssen Asylsuchende im Land ihrer Ersteinreise in die EU das Asylverfahren betreiben. Kein anderer Staat profitiert davon so wie die Bundesrepublik.

In den Ersteinreiseländern werden die Asylsuchenden identifiziert, ihre Fingerabdrücke genommen und in das europäische Fingerabdruckdatensystem EURODAC eingespeist. Noch bevor das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge inhaltlich prüft, untersucht es den Reiseweg der Asylsuchenden – um sie nach Möglichkeit wieder loszuwerden. Das wissen auch die Asylsuchenden und ihre Unterstützer und vermeiden es deshalb, beispielsweise in Italien einen Asylantrag zu stellen oder überhaupt den Behörden dort in die Finger zu geraten. Die relativ niedrige Zahl der Asylanträge in Italien sagt also überhaupt nichts darüber aus, wie viele Schutzsuchende dort tatsächlich ankommen. Schon allein die Zahl der erfassten Bootsflüchtlinge in Italien liegt mit 42.925 für 2013 schon weit über der Zahl der Asylanträge. Und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres kamen weitere 63.000 Menschen über das Meer nach Lampedusa und Sizilien. Die meisten wollen in die Staaten West- und Nordeuropas weiterreisen, in denen es funktionierende Asylsysteme und eine annähernd menschenwürdige Versorgung gibt.

Es ist keine Frage, auch die Regierungen Italiens, Griechenlands, Ungarns oder Bulgariens sind verpflichtet, die EU-Richtlinien über den menschenrechtlich korrekten Umgang mit Asylsuchenden umzusetzen und einzuhalten. Zugleich dürfen die reichen Staaten West- und Nordeuropas sie mit den Asylsuchenden aus Asien und Afrika nicht allein lassen. Wenn Europa mit der vielbeschworenen Solidarität der Länder untereinander, aber auch mit den Geflüchteten ernst machen will, braucht es endlich einen grundlegenden Wandel des Asylsystems. Dazu gehört es, den Asylsuchenden die freie Wahl des Aufnahmestaates zu lassen und die unterschiedlichen finanziellen Belastungen über einen Solidarfonds auszugleichen – statt Schutzsuchende hin- und herzuschieben und schließlich in die aufenthaltsrechtliche Illegalität zu drängen.

linksfraktion.de, 12. Juni 2014