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Deutsche wollen linke Politik

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine im Interview der Woche auf Deutschlandfunk

Vorsitzender der Linksfraktion wirft Müntefering "intellektuelle Defizite" vor

Nach Einschätzung Oskar Lafontaines steht die Mehrheit der Deutschen politisch links. "Wir haben nur eine abgehobene Repräsentanz im Deutschen Bundestag, die immer gegen die Mehrheit der Bevölkerung abstimmt", sagte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.

Hans Joachim Wiese: Herr Lafontaine, vor genau einer Woche saß auf dem Stuhl, auf dem Sie jetzt Platz genommen haben, Ihr ehemaliger SPD-Genosse Franz Müntefering. Der Bundesarbeitsminister und Vizekanzler hatte weder für die Linkspartei noch für Sie persönlich allzu große Sympathie, um es mal zurückhaltend zu formulieren. Täuscht der Eindruck, dass bei den Sozialdemokraten offenbar immer noch viel Verbitterung über Sie wegen Ihres Verrats an der Partei herrscht, als Sie die Brocken seinerzeit fluchtartig hingeschmissen haben?

Oskar Lafontaine: Es ist tatsächlich so, dass ich noch sehr erzürnt bin über die Sozialdemokratie, weil sie ihre Prinzipien aufgegeben hat. Und wenn Sie gerade Müntefering ansprechen - er hatte die Rentenformel völlig zerstört. Das ist, wenn man so will, der größte Fehler, den er begangen hat. Ursprünglich war die Rente einmal so gestaltet in der Bundesrepublik, dass die Rentner einen angemessenen Lebensstandard hatten. Müntefering hat es zusammen mit anderen in den letzten Jahren fertig gebracht, dass viele Arbeitnehmer später eine Armutsrente haben werden, unterhalb des Sozialhilfeniveaus. Und da kann man schon sehr zornig sein, und insofern ist tatsächlich ein tiefer Graben zwischen denen, die diesen Sozialabbau zur Grundlage ihrer Politik machen und den Auffassungen, die ich habe.

Wiese: Nun hat Müntefering nicht nur gesagt, dass er Sie nicht sonderlich gut leiden kann, sondern auch Ihre Politik scharf kritisiert. Sie sei nicht zukunftsträchtig, sondern rückwärts gewandt. Die Linkspartei sei nicht handlungsfähig und Sie persönlich nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Lafontaine: Nun, ich habe viel länger Verantwortung als Herr Müntefering oder andere Großmäuler. Ich muss das mal in solcher Deutlichkeit sagen. Er war mal eine kurze Zeit Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen, eine sehr kurze Zeit Verkehrsminister, dann jetzt wieder Arbeitsminister eine kurze Zeit. Dass man dann den Mund so voll nimmt, das ist schon etwas erstaunlich. Ich selbst habe 25 Jahre Regierungsverantwortung getragen, und Herr Müntefering durfte auch an meiner Seite viele Wahlkämpfe bestreiten, bei denen wir als Sozialdemokratie damals noch sehr erfolgreich abgeschlossen haben, weil die Regierungspolitik auch sehr erfolgreich war. Heute kann man ja davon nicht mehr reden. Es ist ja nicht nur die Zerstörung der Rentenformel, die Müntefering mit anderen zu verantworten hat.

Hartz IV war eine ganz schlimme Fehlentscheidung für die die Sozialdemokratie, die man eher Sozialabbau-Partei Deutschland jetzt nennen müsste, steht. Dieser Hartz IV war eine Beraubung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Zahlen sind bekannt. Ein Durchschnittsverdiener hat, wenn er über 50 Jahre ist, beim normalen Arbeitsleben 60.000 einbezahlt - 60.000 Euro - und kriegt durch diese so genannte Hartz-IV-Reform nur noch 10.000 Euro zurück. Und dann kriegt er nur noch Hartz-IV-Geld - nur dann, wenn er vorher sein Vermögen verscherbelt, also den Bausparvertrag oder die Versicherung oder so. Das ist ein solch unglaubliche Entgleisung im Grunde genommen der deutschen Politik, dass man sich wundert, dass überhaupt solche Menschen noch zur Wahl gehen. Einige sind ja auch sehr verzweifelt. Das Zweite ist, dass Hartz IV die Rutschbahn der Löhne nach unten begründet hat. Wir haben in Deutschland ja mittlerweile ein Lohndumping, das ist ungeheuerlich. Es gibt Frauen, die arbeiten für 1,92 Euro in Hotels als Reinemachefrauen.

Und da stellt sich eben derjenige, der dies alles mit zu verantworten hat - Herr Müntefering - hin und riskiert eine große Lippe. Ich glaube, es sind hier wirklich intellektuelle Defizite, die man feststellen muss. Das ist bedauerlich, aber es ist auf der anderen Seite auch die Grundlage dafür, dass die SPD überhaupt keine Strategie hat. Und weil sie keine Strategie haben, beratschlagen sie jetzt, ob sie mit der FDP oder der CDU den Sozialabbau fortsetzen.

Wiese: Alles das, was Sie jetzt vorgetragen haben in Ihrer Kritik an der SPD und an Müntefering speziell, wird Ihnen als Populismus vorgeworfen. Sie seien ein Populist, Sie würden kritisieren, ohne selber Vorschläge vorzubringen, wie die Sache denn tatsächlich zu regeln sein könnte.

Lafontaine: Wir sind ja sehr pädagogisch als Linkspartei. Wir machen immer wieder Vorschläge, indem wir verweisen auf Länder, in denen diese Vorschläge Praxis sind. Ich will ein klassisches Beispiel geben, wo auch Herr Müntefering kläglichst versagt hat - das ist der Mindestlohn. Seitdem wir in den Wahlkampf gegangen sind als neue Gruppe, haben wir gesagt: Lasst uns in Deutschland einen Mindestlohn machen wie in Frankreich. Das ist ein konkreter Vorschlag, der ist praxisbewährt. Es ist nicht nur praxisbewährt in Frankreich, sondern auch in Großbritannien oder in den Niederlanden oder in Belgien, um nur einige Beispiele zu nennen. Aber die deutsche Politik ist - hier muss man natürlich auch Frau Merkel angreifen - nicht in der Lage, eben diesen Schutz vor dem Lohndumping, den die Menschen im Zeitalter der Globalisierung brauchen, zu gestalten, weil ideologische Grabenkämpfe und persönliches Unvermögen das bisher verhindert haben. Lasst diese ständigen Milliardengeschenke an Unternehmen sein, sondern senkt dafür den Einkommensteuertarif, das kommt Facharbeitern zugute und Kleinbetrieben, sage ich jetzt ganz bewusst. Dass die Vorschläge der Fachwelt bekannt sind - man greift sie nicht auf. Ich habe ebenfalls vorgeschlagen, nicht den Fehler zu machen, bei all den Milliardengeschenken an Großunternehmer, an Großkonzerne und Vermögende noch die Betriebe nach zehnjähriger Fortführung durch die Erben erbschaftssteuerfrei zu stellen, sondern beispielsweise den Belegschaften dann Anteilsscheine geben in Höhe der dann zu zahlenden Erbschaftssteuer. So machen wir laufend Vorschläge, aber unsere politischen Gegner sind ratlos. Und da sie ratlos sind und unsere Argumente nicht aufgreifen können oder widerlegen können, flüchten sie eben in pauschale Vorwürfe.

Wiese: Aber die Frage des Mindestlohns hat die SPD doch aufgegriffen, sie ist jetzt auch für den Mindestlohn. Und was die Unternehmenssteuerreform angeht, da sollen doch gleichzeitig Steuerschlupflöcher geschlossen werden und es sollen besonders hohe Erbschaften dann auch besonders hoch besteuert werden.

Lafontaine: Es geht nicht darum, dass irgend jemand verbal klappert. Die SPD ist sieben Jahre in der Regierung gewesen, und zwar nicht gehindert durch die CDU - ebenso wie die Grünen. Sie hätten also sieben Jahre Zeit gehabt, den Mindestlohn einzuführen, und insofern trifft sie der Vorwurf natürlich mit voller Wucht, denn es wird ja über Mindestlohn diskutiert mindestens seit dem Fall der Mauer, wo es ja direkt nach dem Fall der Mauer Ukrainer gab, die in Zelten beschäftigt wurden für einen Euro die Stunde. Also, das ist ein uraltes Thema. Nein, die SPD - die heutige SPD als Sozialabbaupartei Deutschlands - muss sich den Vorwurf machen, dass sie hier versagt hat.

Und zur Unternehmenssteuerreform: Ich zitiere jetzt mal die "Financial Times Deutschland", das ist ja nicht ein - ich sage jetzt mal - ein Untergrundblatt der linken Revolutionäre. Die sagte, diese Unternehmenssteuerreform ist falsch, sie setzt den Steuersenkungswettlauf wiederum in Gang. Unmittelbar nach dieser Ankündigung hier in Deutschland hat der britische Finanzminister angekündigt, jetzt müsse er auch runter. Dann hat zum Beispiel der französische Präsident angekündigt, jetzt müsse Frankreich also auch runter, und das geht dann immer so weiter. Das sind völlig überflüssige Geschenke an Konzerne, die ja jetzt ein Schweinegeld verdienen. Das wissen alle unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Und deswegen hatten wir vorgeschlagen, das ist der alternative Entwurf: Entlastet doch die Facharbeiter und entlastet doch die Kleinstbetriebe.

Und ein zweiter Punkt, wenn Sie schon die Unternehmenssteuerreform ansprechen: Man hat beschlossen, dass diejenigen, die Geld geerbt haben und eben Zinsen kriegen, dass die in Zukunft viel weniger Steuern zahlen müssen als diejenigen, die hart arbeiten. Also, wer Zinsen kriegt, der muss nur 25 Prozent auf den Verdienst zahlen, wo er gar nichts für tut, während also der Knochenarbeiter, wenn er ein höheres Facharbeitereinkommen hat, über 40 Prozent zahlen muss. Und da sieht man eben, dass die Sozialdemokratie völlig verwirrt ist, indem sie eben leistungslose Einkommen steuerlich viel, viel günstiger behandelt als beispielsweise das hart erarbeitete Einkommen.

Wiese: Herr Lafontaine, wo rührt dieser von Ihnen beschriebene Zustand der SPD eigentlich her? Ist die SPD so geworden, wie sie sie beschrieben haben, weil sie in der großen Koalition ist?

Lafontaine: Ich glaube, das eigentliche Phänomen, das sich aber nicht nur auf die SPD beschränkt, sondern das ein Problem mittlerweile unseres repräsentativen Systems ist, dass die Führung abgehoben ist. "Bastapolitik" war einmal ein Wort, und das Vorziehen der Bundestagswahl wurde von zwei oder drei Leuten entschieden. Dieses Abgehobensein führt dazu, dass Fehlentscheidungen sich häufen. Ich sage immer: Die Mitglieder der SPD sind viel klüger als ihre Führung. Hätte die SPD die Fehlentscheidungen Hartz IV oder die Zerstörung der Rentenformel oder die Missachtung des Völkerrechts durch Teilnahme an Kriegen einer Mitgliederentscheidung unterworfen, stünden sie heute um zehn Punkte besser da.

Wiese: Das heißt, ganz hoffnungslos sehen Sie die Lage der SPD nicht?

Lafontaine: Im Moment gibt es wenig Hoffnungsschimmer, denn die Führung lässt überhaupt nicht erkennen, dass sie etwa aus der Wahlniederlage in Bremen Lehren gezogen hätte. Man hat wieder Milliardengeschenke beschlossen an Unternehmen. Und die Führung rechtfertigt trotz der Todesopfer in Afghanistan einen Einsatz, von dem immer mehr Militärs sagen, er sei einfach nicht zu rechtfertigen. Es gibt einen amerikanischen Manager, der gesagt hat - Lee Iacocca, ein berühmter Manager - an die Adresse des Präsidenten Bush: "Ein Mann mit Charakter schickt nicht Soldaten in eine verlorene Sache und riskiert also nicht, dass sie ihr Leben verlieren." Ich könnte einen anderen zitieren - Erich Maria Remarque -, der also meine Jugend bestimmt hat mit seinen Romanen, der einmal gesagt hat: "Ich dachte immer, alle wären gegen Krieg" - sinngemäß -, "bis ich lernte, dass diejenigen für Krieg sind, die selbst nicht hingehen müssen". Darüber sollten die Verantwortlichen einmal nachdenken.

Wiese: Was müsste passieren, damit Sie auf die SPD wieder zugehen?

Lafontaine: Eine Veränderung der Politik, denn wir sind nicht so kindisch, wir als Linke, dass wir sagen: Die Nase von Herrn Müntefering passt uns nicht. Das ist völlig irrelevant für die Politik. Wir würden sagen, sobald jemand bereit ist, den Mindestlohn einzuführen, sobald jemand bereit ist, die unglaubliche Fehlentscheidung von Hartz IV zu korrigieren - die Grünen sind mittlerweile durch unsere Argumente dazu gekommen, zu sagen: Es sind ja große Fehler gewesen, die wir gemacht haben -, sobald jemand bereit ist, eben eine Steuerpolitik zu machen, die wirklich die Leistungsträger entlastet und nicht eben immer nur Milliardengeschenke an die Konzerne gibt und sobald man bereit ist, völkerrechtswidrige Kriege aufzugeben, sind wir in der Lage, sofort zusammenzuarbeiten. Aber wir werden niemals die Hand reichen zum Sozialabbau und zu völkerrechtswidrigen Kriegen.

Wiese: Was empfinden Sie denn persönlich, wenn Sie an die SPD denken, deren Vorsitzender Sie ja immerhin einmal waren - Mitleid, Trauer über ihre schlechten Umfragewerte und ihren Zustand, oder doch eher Schadenfreude?

Lafontaine: Ich fühle mich den Mitgliedern noch verbunden. Ich habe in einer "Stern"-Umfrage, die Forsa gemacht hat, zur großen Freude gelesen, dass der sozialdemokratische Geist an der Basis bei den Mitgliedern noch lebt, dass sie im Grunde genommen Politikvorstellungen haben, die wir als Linke auch haben. Aber ich empfinde Trauer, dass diese SPD von einer solch - ja, man muss es sagen - schwachen und unfähigen Führung geleitet wird.

Wiese: Gerade das wird im Moment bestritten. SPD-Chef Kurt Beck hat angeblich Führung bewiesen, indem er die Parteiführung strafft, indem er statt fünf nur noch drei Stellvertreter haben will zukünftig, darunter auch die als Linke geltende Andrea Nahles. Ist das nicht ein Hinweis auf einen Linksschwenk bei der SPD?

Lafontaine: Wenn ich das so interpretieren dürfte - also, ich möchte zunächst mal sagen, die Entscheidung, die Zahl der Stellvertreter von fünf auf drei zu reduzieren, sollte man nicht als großen Kraftakt darstellen. Das war schon deshalb kein großer Kraftakt, weil niemand in Deutschland wusste, wer die fünf Stellvertreter waren. Aber zur Sache: Ich würde es begrüßen, einen Linksruck - oder wie immer Sie das nennen wollen -, eine Öffnung nach links feststellen zu können. Ich kann das aber überhaupt nicht, denn Frau Nahles hat all den Fehlentscheidungen, von denen ich gesprochen habe, zugestimmt.

"Die Soldaten sind Opfer eine verfehlten Außenpolitik"
Wiese: Herr Lafontaine, Sie haben jetzt in Ihren Antworten schon das eine oder andere Mal außenpolitische Aspekte angesprochen. Außenpolitisch sind Sie gar verantwortungslos, sagte Müntefering, den wir schon mehrfach zitiert hatten. Viele andere sagen das auch, nicht zuletzt Ihre Gleichsetzung der deutschen Soldaten in Afghanistan mit Terroristen zeigen das ...

Lafontaine: ... stopp, diesen Unsinn wollen wir ja jetzt nicht wiederholen ...

Wiese: ... Sie sollten sich entschuldigen, so ist die Forderung. Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

Lafontaine: Ja. Es ist so, dass ich diejenigen, die in dieser verantwortungslosen Weise Soldaten in die Kriege schicken, darauf hingewiesen habe, dass sie selbst einen Terror-Begriff beschlossen haben im Deutschen Bundestag. Und der ist klar, die deutsche Sprache ist eindeutig. Ich habe vorgetragen, Terror ist, so der Deutsche Bundestag, wenn jemand rechtswidrig Gewalt anwendet, um politische Belange durchzusetzen. Ich habe dann fortgefahren: Also sind Bush und Blair Terrorristen, denn jeder weiß in aller Welt, dass sie rechtswidrig Gewalt anwenden im Irak und im großen Umfange Menschen dabei ums Leben kommen oder so. Wenn das kein Terror ist, dann weiß ich nicht, was Terror ist. Es ist ja interessant, dass meiner Feststellung, dass Bush und Blair Terroristen seien, bisher die genannten Lautsprecher nicht widersprochen haben. Das sollte man doch mal festhalten. Dann habe ich fortgefahren, in Afghanistan sind wir beteiligt an einer Mission, die Enduring Freedom heißt. Und diese Mission dient der Terrorbekämpfung. Aber bei dieser Kriegsführung, und das stellen die genannten Herren selbst fest, wird also nicht unterschieden zwischen Bauern, die auf dem Felde arbeiten, und Talibankämpfern. So kommen viele Menschen ums Leben. Ich habe das mehrfach im Bundestag ausgeführt. Das heißt also, hier werden die Genfer Konventionen verletzt, die ja die Kriegsparteien verpflichten, Zivilisten zu schonen, also unschuldige Bauern nicht einfach zu ermorden und umzubringen, oder Hochzeitsgesellschaften, oder Taufgesellschaften. Das wird ja auch diskutiert. Das ist dann nach der Definition Terror, und wenn wir dann Bilder liefern über Tornados beispielsweise, die also Grundlage für weitere Bombardierungen der NATO sind, dann sind wir involviert, wie ich das formuliert habe.

Nun will ich aber zu dieser ganzen Schäbigkeit etwas sagen. Ich habe Bush und Blair angegriffen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, die armen Soldaten im Irak, da sind ja über 3000 in den Tod geschickt worden, Amerikaner, als Terroristen zu bezeichnen. Und diese, wenn sie so wollen, schäbige Argumentationsbasis ist die Basis meiner Gegner. Ich kann noch eine persönliche Bemerkung hinten anfügen. Hitler war für mich ein schlimmer Terrorist. Mein Vater ist im Kriege gefallen. Es ist ja wohl niemand so unverschämt, mir zu unterstellen, dass ich meinen Vater als Terroristen bezeichnen würde.

Wiese: Und sie machen auch keinen Unterschied zwischen den deutschen Soldaten, die an der ISAF-Mission teilnehmen und denen, die an der Operation Enduring Freedom teilnehmen. Also Sie würden auch nicht sagen, dass dann die KSK-Soldaten, die Kommando-Spezialkräfte-Soldaten, dass die Terroristen sind?

Lafontaine: Ich muss noch mal darauf hinweisen, dass doch jedem Verantwortlichen klar sein muss, dass diejenigen die Entscheidungen rechtfertigen müssen, die sie treffen und nicht die Soldaten. Die Soldaten sind Opfer eine verfehlten Außenpolitik. Insofern ist es wirklich schäbig, erbärmlich und feige, dass sich Politiker hinter den Soldaten und den Opfern verstecken, und ausgerechnet die Politiker, die durch ihre Entscheidungen diese Opfer zu verantworten haben.

Wiese: Herr Lafontaine, in Bremen - wir haben es schon angesprochen - hat es die Linkspartei erstmals in ein westdeutsches Landesparlament geschafft. Bremen war schon einmal Vorreiter. Die Grünen starteten von dort aus ihren bundespolitischen Aufstieg. Kann Bremen auch für die Linke ein Startschuss sein?

Lafontaine: Das ist eine große Ermutigung für uns, denn wir sind zum ersten Mal in einen westdeutschen Landtag gewählt worden mit einem Ergebnis, das besser war, als wir es selbst erwartet haben. Wir haben im Anschluss daran etwa eine Umfrage gesehen, dass wir das auch in Hamburg schaffen können. Ja, das ist eine Ermutigung, denn das führt uns dem Ziel näher, die deutsche Politik in Bewegung zu bringen. Deshalb haben wir uns ja zusammen getan, um die Linke zu gründen. Und das gelingt ja auch.

Wir haben selbst schon darüber gesprochen, dass die Sozialdemokraten jetzt den Mindestlohn entdeckt haben. Ich kann sagen: Wunderbar, jetzt müssen sie ihn nur noch durchsetzen. Wir haben darüber gesprochen, dass die Grünen Hartz IV als falsch erkannt haben. Das begrüßen wir sehr. Und wir beobachten natürlich mit Interesse, wie sich jetzt die Grünen abzuseilen beginnen von der Operation Enduring Freedom und wie auch die so genannten Linken der SPD jetzt langsam anfangen nachzudenken, ob da vielleicht doch etwas falsch läuft. Insofern bringen wir die Politik in Bewegung und das möchten wir fortsetzen. Es gibt ja ein interessantes Phänomen: Die Auffassungen, die wir vertreten, werden oft von zwei Dritteln der Bevölkerung vertreten. Und die Entscheidungen des Bundestages, also der Volksvertretung, werden von zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt, ob das Rente ist, ob das Steuer ist, ob das Praxisgebühr ist, ob das die 'Entsendung der Bundeswehr ist - was immer Sie wollen. Immer entscheidet die so genannte Volksvertretung mit großer Mehrheit gegen das Volk. Deshalb wirft man ja unsereinem Populismus vor. Ich sage aber, ein gewählter Abgeordneter, der immer wieder mit seiner Stimme gegen die Bevölkerung abstimmt, und dann diejenigen, die sagen: "Das ist doch gar nicht nachvollziehbar, dass du immer gegen die Bevölkerung abstimmst" als Populisten beschimpft, ist selbst abgehoben und anmaßend. Ich verstehe eine solche Haltung nicht, dass ein Herr Meier oder eine Frau Müller, wenn sie auf einmal im Bundestag sitzen, abheben und meinen, sie wüssten alles so viel besser als Millionen anderer. Ich habe das nie verstanden.

Wiese: Im Saarland wird auch gewählt - 2009 nämlich - Ihrem Stammland. Mit welchen Chancen für Sie?

Lafontaine: Es gibt immer wieder Umfragen, die uns gute Chancen geben. Ich will die nicht alle zitieren. Unsere gemessene Basis war die letzte Bundestagswahl. Wir haben 18,5 Prozent erreicht. Das war ein großer Vertrauensbeweis. Und ich würde einmal einschätzen, dass das Vertrauen in unsere Politik heute ähnlich ist. Und wenn, wie gesagt, in zwei Jahren Wahlen sind, gehen wir von einem guten Ergebnis aus

Wiese: Und da werden sie auch als Spitzenkandidat dann antreten?

Lafontaine: Das habe ich erklärt. Das hat eine einfache Begründung. Die Saarländerinnen und Saarländer wissen, welche Politik ich über Jahre gemacht habe in den Zeiten der Verantwortung, weil ich ja immer die Verantwortung scheue, wie meine politischen Gegner sagen. In den 25 Jahren haben sie das kennen gelernt und haben mir oft das Vertrauen gegeben mit absoluten Mehrheiten. Und insofern habe ich gesagt, um dieses Vertrauen auch jetzt bei dieser Wahl wieder zur Grundlage unseres Wahlergebnisses zu machen, ich bin bereit, wieder für das Amt zu kandidieren, das ich mit größter Zustimmung der Bevölkerung 13 Jahre lang bekleidet habe, das Amt des Ministerpräsidenten.

Wiese: Ist klar. Und da könnten sie sich vorstellen, ebenfalls eine Art Startschuss abzugeben für eine rot-rote Koalition unter Ihrer Führung? Ginge das?

Lafontaine: Das kommt immer bei allen Ebenen, ob Gemeinde oder Land oder Bund, auf die Inhalte an. Wir haben nicht eben diese vordergründige Art, Politik zu machen wie: Aus den Entscheidungen der Vergangenheit mögen wir jetzt das und das nicht, oder wir haben Vorbehalte gegenüber Herrn Sowieso oder Frau Sowieso. Das ist nach unserer Auffassung kindisch, oder mein Kollege Gysi hat gesagt, das sei doch alles sehr drollig, wenn man sich hinstellt als erwachsener Politiker und sagt, mit denen da reden wir überhaupt nicht. Wir sagen, wenn die politischen Inhalte stimmen, und wir wollen ja Politik verändern, dann sind wir bereit, mit anderen zusammenzuarbeiten.

Wiese: Auch mit der SPD im Saarland?

Lafontaine: Selbstverständlich.

Wiese: Eie sieht es überhaupt mit der Linken derzeit aus? Am 16. Juli soll die offizielle Fusion vollzogen werden. Es wird dann zwei Vorsitzende geben, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky aller Voraussicht nach.

Lafontaine: Ja, also wir müssen abwarten, ob die Parteitagsdelegierten diese Vorschläge akzeptieren.

Wiese: Natürlich. Gehen wir mal davon aus, das wird der Fall sein. Dann haben wir den Wessi und dann haben wir den Ossi. Ist das nach wie vor eine gespaltene Partei in Ost und West?

Lafontaine: Es gibt natürlich unterschiedliche Kulturen, so darf ich das einmal sagen. Jemand, der im Osten groß wurde, hatte ein anderes Leben als jemand, der im Westen groß wurde. Das ist selbstverständlich. Aber der Fall der Mauer ist jetzt 18 Jahre her. Das müssen wir uns also auch in Erinnerung rufen. Also insofern hat sich doch vieles auch angenähert. Und das ist ja gerade auch das, was wir wollen. Wir wollen eine gemeinsame linke Stimme in ganz Deutschland sein. Und ich unterscheide nicht so sehr zwischen Ost und West, sondern ich unterscheide zwischen arm und reich, zwischen denen, die einen Arbeitsplatz haben und denen, die keinen haben, zwischen denen, die sehr schlecht bezahlt sind und denen, die sehr gut bezahlt sind, und denen, die kein Vermögen haben und denen, die ein Großvermögen haben. Und da ist das nicht mehr getrennt in Ost und in West.

Wiese: Und wie soll es danach weiter gehen? Welche Chancen rechnen Sie sich und Ihrer Partei für die Bundestagswahl 2009 aus?

Lafontaine: Es ist nach jetzigem Stand sicher, dass wir uns für die Bundestagswahl 2009 als neue Kraft etabliert haben. Ich glaube, das kann man heute schon sehen und sagen. Wie gut unser Ergebnis sein wird, das wäre vermessen, das heute bereits vorweg zu nehmen. Niemand kann die Ereignisse von zwei Jahren vorausahnen. Aber es gibt natürlich eine Grundlage, die sehr solide für uns ist. Die anderen Parteien, und das kann ja jeder der Hörerinnen und Hörer überprüfen, stehen für Lohnsenkung. Sie nennen das Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich. Sie stehen für Rentenkürzung, sie nennen das Rente mit 67. Und sie stehen für Sozialkürzungen in brutalem Umfange, sie nennen das Hartz IV und Agenda 2010 und was weiß ich. Und sie stehen dafür, dass Soldaten in völkerrechtliche Kriege gesandt werden, mit all den Folgen, die sie dann nicht verantworten wollen, wenn sie dann eintreten.

Und wir sind die einzige politische Kraft, die eine andere Politik will. Und die ist einfach für jeden verständlich zu formulieren. Wir wollen ein Lohnwachstum über die Preissteigerung, wie wollen ein Rentenwachstum über die Preissteigerung, und wir wollen einen Sozialstaat, der eben zum Beispiel auch Altersarmut vermeidet. Und wenn jemand sagt, das ist nicht möglich, allein finanziell, ist der schlicht und einfach nicht in der Lage, die Prozentrechnung anzuwenden. Wir brauchen nur die Steuern- und Abgabenquoten unserer Nachbarländer zu studieren oder auch die Wirtschafts- und Sozialpraxis Schwedens oder Dänemarks. Das können wir in Deutschland auch, und da ist das alles viel, viel besser geregelt. Und was die Außenpolitik angeht, muss Deutschland wieder zur Beachtung des Völkerrechts zurückkehren. Ich will einen Hinweis geben, der mich nach wie vor in Erstaunen versetzt: Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass wir in den Irak-Krieg verwickelt sind. Die Öffentlichkeit in Deutschland tut aber so, als ginge uns das alles nichts an. Das Bundesverwaltungsgericht hat gesagt, wer Flugplätze bereitstellt, von denen aus die Amerikaner operieren, und wer hier Führungseinrichtungen auf dem Territorium hat, von dem aus die Amerikaner operieren, ist beteiligt und bricht damit das Völkerrecht. Das stört unsere Kanzlerin nicht. Das stört die Regierung nicht. Für mich ist das alles nicht nachvollziehbar. Es muss eine Kraft in Deutschland geben. Die einzige Kraft ist die Linke, die sagt, Völkerrecht muss die Grundlage der Außenpolitik sein.

Wiese: Meinen sie jetzt mit "die Linke" Ihre Partei, oder sehen Sie in Deutschland künftig eine Art strukturelle linke Mehrheit, die es ja eigentlich schon sehr lange gibt, die nur nie an die Regierung gekommen ist, mit der Sie dann diese Politik durchsetzen können?

Lafontaine: Die strukturelle linke Mehrheit gibt es sicher in der Bevölkerung. Wenn Sie also beispielsweise die Rente mit 67 zur Abstimmung stellen würden, wofür wir plädieren, wir sind für den Ausbau der direkten Demokratie, dann brauche ich Ihnen das Ergebnis nicht zu sagen. Sie können es erraten. Oder wenn Sie die Frage aufwerfen, sollen wir die Mehrwertsteuer erhöhen oder sollen wir die Vermögenssteuer einführen oder den Spitzensteuersatz erhöhen, dann brauche ich nicht abstimmen zu lassen. Sie wissen, wie das dann ausgeht. Oder sind Sie für oder gegen die Praxisgebühr beispielsweise, oder sind Sie für oder gegen die Entsendung von Tornados nach Afghanistan? Das heißt, wir haben eine linke Mehrheit in der Bevölkerung, wir haben nur eine abgehobene Repräsentanz im Deutschen Bundestag, die immer gegen die Mehrheit der Bevölkerung abstimmt. Und insofern ist die Bevölkerung, wenn man so will, in ihrem Wollen nach meinem Verständnis politisch links, aber die Mehrheit der Repräsentanten entscheidet immer gegen diese Mehrheit de Bevölkerung.

Wiese: Herr Lafontaine, Sie sind jetzt 63 Jahre alt. Was treibt Sie an? Was wollen sie noch erreichen? Was wollen Sie noch werden?

Lafontaine: Früher hat man mir immer erzählt, mein Motiv, in die Politik zurückzukehren, sei die Ablösung des Kanzlers Gerhard Schröder gewesen. Wenn das mein Motiv gewesen wäre, hätte ich ja jetzt dann die Gelegenheit, meine Aufgaben aufzugeben. Insofern möchte ich doch darauf bestehen, dass mein zentrales Motiv aus meiner Biografie heraus kommt. Ich bin das Kind einer Kriegerwitwe. Wir waren froh, wenn wir zu essen hatten. So sage ich es einmal. Und aus dieser Erfahrung heraus kann ich mich nicht ausruhen in meinem Dasein als ehemaliger Ministerpräsident oder als Abgeordneter und zusehen, wie der Sozialabbau in Deutschland immer weiter voranschreitet. Ich glaube, dass das mein zentrales Motiv ist. Und nachdem ich gesehen habe, dass die konkurrierenden Parteien immer weiter nach rechts rücken nach meinem Verständnis, also immer mehr Sozialabbau beschließen und immer mehr Umverteilung beschließen, da habe ich eben gesagt, du musst einsteigen, damit wenigstens eine politische Kraft wieder entsteht, die dagegen hält.

Moderation: Hans Joachim Wiese

Deutschlandfunk, 27. Mai 2007