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Deutsche Erben von Reagan und Bush

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Die Steuerpolitik der Bundesregierung zeigt: Die Koalition nimmt Reagan und die beiden Bushs zum Vorbild. Das sagt Herbert Schui, Ökonom und Fraktionsmitglied der Linken im Bundestag.

Der Koalitionsvertrag macht klar, was die Regierung von einer Steuersenkung erwartet: "Die steuerlichen Entlastungen schaffen die nachhaltige Grundlage für gesunde Staatsfinanzen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die strenge Begrenzung der Schulden nach der neuen Schuldenregel unserer Verfassung." Das heißt also: die Steuern senken und dadurch höhere Staatseinnahmen erzielen.

Das Bindeglied zwischen beidem ist ein höheres Wachstum als Folge von mehr wirtschaftlichem Elan: "Wir werden (…) die Motivation und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in unserem Land schnell und deutlich stärken, indem wir sofort damit beginnen, die Steuern zu senken" - so der Koalitionsvertrag weiter.

Höhere Staatsdefizite zur Finanzierung der Steuersenkungen scheiden demnach aus. Alles läuft nach Plan, wenn, ja wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel Recht hat mit ihrem prophetischen Satz: "Vertrauen, Zuversicht, Motivation. Sie lassen sich nicht in Prozente fassen. Ihre Wirkung ist aber immer weit größer, als die Statistiker sie jemals ermessen können." (Regierungserklärung vom 11. November 2009).

Und im Koalitionsvertrag heißt es: "Die Bürger empfinden … die Höhe der Steuer- und Abgabenlast als demotivierend..." Diese sozialpsychologischen Einsichten teilt die Bevölkerung nicht. Vielmehr kommt der Deutschlandtrend vom 7. Januar - möglicherweise lanciert, um der CDU beizustehen und die FDP zur Räson zu bringen - zum Ergebnis, dass 58 Prozent der Befragten die geplanten Steuerentlastungen in Höhe von rund 24 Milliarden Euro ablehnen. Und dabei ist die Ablehnung umso stärker, je höher das Einkommen beziehungsweise die Steuerlast. Abgelehnt wird eine Steuersenkung auch von 53 Prozent der FDP-Anhänger.

Die Vorstellung, dass weniger Steuern zu mehr Wachstum führen, ist seit den 80er Jahren als Laffer-Kurve bekannt. Laffer (damals Professor an der Universität Chicago) vertritt ein recht konservatives Milieu: Wie er in einem Aufsatz schreibt, ist seine Kurve 1974 bei einem Abendessen mit Donald Rumsfeld und Dick Cheney in Washington entstanden. (Rumsfeld gehörte damals an führender Stelle zur Mannschaft von Präsident Gerald Ford, Cheney war Rumsfelds Mitarbeiter.)

Gablers Wirtschaftslexikon (16. Auflage) kommentiert dazu: "Die Laffer-Kurve spielte im Rahmen der Reagonomics und der Angebotsökonomik eine Rolle als Begründung dafür, dass durch Senkung des Steuersatzes das Steueraufkommen und das Nationaleinkommen gesteigert werden könnten; die Realität hat dies widerlegt."

Reagans Begründung für sein Steuersenkungsprogramm von 1981 liest sich wie eine Passage aus Merkels Regierungserklärung oder aus dem Koalitionsvertrag: "Das Ziel der Regierung ist, die Stärke und Lebenskraft des amerikanischen Volkes zu verbessern, indem die Dominanz der Bundesregierung verringert wird, die Steuersätze gesenkt und die Ausgaben gekürzt werden."

Reagan senkt 1981 die Steuern bei einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 2,52 Prozent - nach minus 0,23 Prozent im Vorjahr. Dann aber zeigen die Budgetschätzungen, dass diese Steuersenkung nicht durchzuhalten ist. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft 1982 um 1,94 Prozent. Die erhofften Wirkungen des Programms bleiben aus.

Von 1982 an werden dann in zwei Schritten die Steuern wieder erhöht. Für Familien mit mittlerem Einkommen mit Kindern bedeutet das per Saldo höhere Abgaben und Steuern: Im Jahr 1980 zahlen sie 8,2 Prozent Einkommensteuer sowie 9,5 Prozent Sozialabgaben - diese payroll tax hat in den Folgejahren vermehrt den normalen Haushalt finanziert und nicht einzig die Sozialsysteme.

1988 beträgt die Einkommensteuer für diese Familien 6,6 Prozent, die payroll tax 11,8 Prozent. Insgesamt hat die Steuererhöhung von 1982 ein Drittel der Senkung von 1981 aufgefressen.

US- Präsident George Bush senior hat dann erneut die Steuern gesenkt und zur Finanzierung die Ausgaben der Sozialversicherung und die Gesundheitsleistungen (medicare) verringert. Aber damals wurden nicht nur Steuern und Abgaben für das Gros der abhängig Beschäftigten erhöht und die Sozialleistungen gekürzt: Auch die Löhne sind in dieser Zeit gefallen und der rechtliche Schutz der Beschäftigten hat sich erheblich verschlechtert.

Immerhin, Reagan wechselt den Kurs, als er sieht, dass seine Fiskalpolitik schief läuft. Anders die beiden Präsidenten Bush: Mit denselben Fakten konfrontiert, senken sie die Steuern für Unternehmen und hohe Einkommen weiter. Alle drei Präsidenten haben die Staatsverschuldung enorm in die Höhe getrieben.

Die Koalition in Deutschland hat sich mit ihrem Wachstumsbeschleunigungsgesetz und ihrem Koalitionsvertrag selbst umzingelt: Die beschlossenen Steuersenkungen kann sie kaum - wie Reagan - zum Teil rückgängig machen. Mehr Schulden, wie bei Vater und Sohn Bush, sind wegen der Schuldenbremse kaum möglich.

Deswegen will Finanzminister Wolfgang Schäuble die Sozialausgaben und andere staatliche Leistungen kürzen. (Wird die Bevölkerung das mit sich machen lassen? Könnte Schäuble nicht wenigstens mit seinen Erfahrungen als Innenminister die Steuerhinterziehung erfolgreich bekämpfen?)

Statt wie Reagan einen Teil der Steuersenkung wieder rückgängig zu machen, wird wahrscheinlich die Mehrwertsteuer erhöht. Weniger Unternehmens- und Einkommensteuer gibt es dann nur, soweit dies die Steuerschätzung im Mai zulässt. Das hat die Koalition in Berlin jetzt beschlossen.

Aber wie auch immer: Diese Regierung hat Reagan und die beiden Bushs zum Vorbild. Sie will den Rückschritt, die wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Moden der Reagan- und Bush-Zeit im Hinterhof Deutschland wieder aufleben lassen.

Von Herbert Schui

Frankfurter Rundschau, 19. Januar 2010