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Deutsche Arroganz gegenüber Herero und Nama beenden

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Niema Movassat, für DIE LINKE Mitglied im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestags, über die Ziele seiner Reise vom 22. bis 29. August nach Namibia

Niema Movassat, für DIE LINKE  Mitglied im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestags, über die Ziele seiner Reise vom 22. bis 29. August nach Namibia
 

 

Sie fliegen auf Einladung des Fraktionsvorsitzenden der regierenden SWAPO Partei nach Namibia. Was ist der Anlass Ihrer Reise?

Niema Movassat: Erstens: Kaiserliche Truppen haben in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, zwischen 1904 bis 1908 an die 100 000 Herero und Nama systematisch ermordet.  Die Bundesrepublik weigert sich bis heute, dies als Völkermord anzuerkennen. Unsere Fraktion hat hierzu auf meine Initiative hin zum 22. namibischen Unabhängigkeitstag im März im Bundestag einen Antrag zur Abstimmung gestellt. DIE LINKE steht solidarisch an der Seite der Nachkommen der Opfer, mit denen ich während meiner Reise zu Gesprächen zusammenkommen werde. Außerdem werde ich auf diesjährigen Herero-Tag am 26. August eine Rede halten.
Zweitens: Peter Katjavivi, der Fraktionsvorsitzende der SWAPO, ist zugleich Vorsitzender der Namibisch-Deutschen Freundschaftsgruppe der namibischen Nationalversammlung. Diese möchte den Austausch zwischen unseren beiden Parlamenten intensivieren. Ich werde mit den namibischen Kolleginnen und Kollegen debattieren, wie ein regelmäßigerer Austausch aussehen kann und welche Themen hierbei in nächster Zukunft auf der Agenda stehen sollten.

Warum wurden ausgerechnet Sie eingeladen, auf dem Herero-Tag zu sprechen?

Deutschland weigert sich bis heute nicht nur, die im deutschen Namen begangenen Gräueltaten und Massaker als Völkermord anzuerkennen und sich für diesen bei den Nachfahren der Opfer zu entschuldigen, sondern auch über Wiedergutmachung nur zu nachzudenken. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, diese Mauer des Schweigens zu brechen. Das ist der Grund, warum ich als „Freund“ nach Namibia reise und mir die Ehre zuteil wird, dort eine Rede halten zu dürfen. Hüseyin Aydin war 2006 als Bundestagsabgeordneter der LINKEN der erste deutsche Abgeordnete, der zu diesem Anlass in Namibia öffentlich gesprochen hat. Bisher wurde kein Abgeordneter einer anderen Bundestagsfraktion eingeladen, weil es bei Ihnen kein starkes Engagement für die Sache der Herero und Nama gibt.

Erklären Sie doch kurz, warum der Bundestag diesen Völkermord anerkennen sollte.

Bisher hat sich kein deutscher Staat und keine deutsche Regierung seiner historischen, moralischen und juristischen Verantwortung voll gestellt. Zwar hat im Jahr 2004 die damalige Ministerin Wieczorek-Zeul während ihrer Namibia-Reise im Rahmen eines "Vater Unser" um Vergebung gebeten. Aber die damalige rot-grüne Regierung stufte dies als persönliche Entschuldigung ab und machte sich die Worte der eigenen Ministerin nicht zu Eigen. Dabei bezeichnen heute zahlreiche Wissenschaftlern, die UNO und verschiedenste Medien den deutschen Vernichtungsfeldzug als den erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Davor darf das deutsche Parlament nicht länger die Augen verschließen. Wenn keine deutsche Regierung den Mut hat, zur Deutschen Kolonialgeschichte zu stehen, dann muss der Deutsche Bundestag dieses wichtige Thema in die eigenen Hände nehmen. Ohne dass Deutschland im vollen Umfang Verantwortung für seine Vergangenheit übernimmt, wird es keine Versöhnung geben.

Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP vertreten die Ansicht, die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia seien gut und es bedürfe keiner Erklärung des Bundestags. Warum ist eine etwas höhere Pro-Kopf-Entwicklungshilfe, die Namibia im Vergleich zu den anderen Staaten Afrikas von Deutschland erhält, Ihrer Ansicht nach keine adäquate Antwort?

Die Auszahlung von Entwicklungsgeldern ist immer an strikte Bedingungen geknüpft und in der Regel entscheidet der Geldgeber, wie viel Geld er für welche Projekte zur Verfügung stellt. Häufig geschehen solche Geldzuweisungen auch ohne große Absprache mit den "Partnern". Das geldgebende Land ist dem "Partnerland" und erst recht der dortigen Bevölkerung nur sehr bedingt rechenschaftspflichtig. Schließlich entscheidet der Geldgeber in seinen Programmen meist selbst über sein Personal und die Beschaffung von Materialien. Letztlich fehlt es also an Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Wenn nun diese Entwicklungsgelder als Wiedergutmachung durchgehen sollen, dann ist das ein ziemlich neokoloniales Verständnis von Wiedergutmachung: Die Nachfahren der Täter von damals entschieden heute über die Verwendung der Wiedergutmachung. Ein solches Verfahren führt nicht zu einer wirklichen Versöhnung. Deshalb haben wir auch in unserem Antrag klargestellt: Bei Wiedergutmachung handelt es sich nicht um Hilfeleistung, sondern um einen Anspruch des Geschädigten, der sich aus der Anerkennung von erlittenem Unrecht ergibt.

In Namibia ist das Interesse an dem Völkermord der deutschen "Schutztruppe" noch immer ausgeprägt. Auffällig ist, dass nicht nur die Herero, Nama, und Damara als direkt Betroffene sich zu Wort melden, sondern neuerdings auch die vor allem von der Regierungspartei SWAPO vertretenen Ovambo, die von dem Völkermord nicht betroffen waren. Ein 2006 einstimmig angenommener Beschluss des namibischen Parlaments fordert Wiedergutmachung für den Völkermord. Wie könnte eine solche aussehen?

Das ist in der Tat keine so einfache Sache. Denn in dem Fall dieses Völkermords gibt es heute keine noch lebenden Überlebenden mehr. Außerdem wäre es sehr ungewiss, ob wirklich alle betroffenen Familien von Nachfahren von Opfern von individuell ausgezahlten Entschädigungsleistungen profitieren würden. Das gestaltet sich ja schon schwierig bei der Kompensation der Opfer des Naziregimes durch den Zwangsarbeiterfonds.
Für mich existiert aber definitiv ein Anspruch auf Wiedergutmachung. Details einer finanziellen Wiedergutmachung müssen aber politisch auf dem Verhandlungswege geklärt werden. Wir fordern die Einrichtung eines Strukturausgleichsfonds unter der Entscheidungshoheit der namibischen Seite, durch den ein Ausgleich der bis heute aus der deutschen Kolonialzeit fortdauernden Benachteiligungen der Nachfahren der Opfer des Völkermords hergestellt werden kann – etwa im Bereich Infrastruktur, Land und Schulen.
Für mich ist klar: Deutschland kann nicht entscheiden, wie und für was etwaige Wiedergutmachungsgelder zu verwenden sind. Es ist wirklich an der Zeit für Demut von deutscher Seite. Man hat die Herero und Nama jahrelang mit Arroganz behandelt. Wir brauchen ein Ende dieses unwürdigen Umgangs mit der Geschichte. Ein Verhandlungstisch, an dem alle Platz beteiligten offen diskutieren, wäre dafür ein wichtiger Schritt.

linksfraktion.de, 22. August 2012