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Nazi-Kriegsverbrecher auf der Anklagebank bei den Nürnberger Prozessen 1945 © picture alliance/Heritage-Images/Keystone ArchivesFoto: picture alliance/Heritage-Images/Keystone Archives

Der Schoß, aus dem das kroch, ist fruchtbar noch

Nachricht von Jan Korte,

Heute vor 90 Jahren, am 30. Januar 1933, ernannte Reichpräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und übertrug ihm damit die Führung einer Koalitionsregierung von NSDAP, DNVP und Stahlhelm. Das reaktionäre Bündnis von Nationalkonservativen und Faschisten hatte indes im Reichstag keine Mehrheit und regierte als Präsidialkabinett in Abhängigkeit vom Reichspräsidenten. Damit war Hindenburg einer der wichtigsten Wegbereiter des deutschen Faschismus. Vorausgegangen war der Machtübertragung die Reichstagswahl vom 6. November 1932, die mit erheblichen Stimmenverlusten der NSDAP und Gewinnen von KPD und DNVP endete.

Während die NSDAP zwei Millionen Stimmen weniger erhielt; ihr Anteil von 37,3 Prozent auf 33,1 Prozent sank und sie offensichtlich ihren Zenit überschritten hatte, waren die Arbeiterparteien SPD und KPD zusammengenommen wieder stärker als die Faschisten. Das konservative Elitenprojekt einer autoritären Diktatur und Abschaffung der Republik schien aus Sicht der politischen Rechten, der Monarchisten und einflussreicher Kapitalfraktionen Gefahr zu laufen zu scheitern. Hindenburg und Co. meinten handeln zu müssen und verbündeten sich mit den Faschisten. Darauf folgten mit staatlicher Rückendeckung der Terror der Nationalsozialisten und die gezielte Etablierung der Diktatur. Görings "Schießerlass" für die preußische Polizei am 17. Februar, der den rücksichtslosen Gebrauch der Schusswaffe gegen alle politischen Gegner ermöglichte, und die "Reichstagsbrandverordnung" vom 28. Februar 1933, mit der einen Tag nach dem Reichstagsbrand Hindenburg die verfassungsmäßigen Grundrechte der persönlichen Freiheit, der Meinungs-, Vereins- und Versammlungsfreiheit außer Kraft setzte, bildeten die gesetzlichen Grundlagen für die Errichtung der Diktatur. Binnen Wochen überzieht der NS-Terror mit Folter, Gefängnis und Konzentrationslagern das Land. Die KPD wird verboten, Juden werden bedroht und systematisch entrechtet, politische Gegner diffamiert.

Bis Ende April 1933 wurden ca. 25.000 Regimegegner in "Schutzhaft" genommen und aus der NS-"Volksgemeinschaft" ausgeschlossen. Trotzdem bekommt die NSDAP bei den unter völlig undemokratischen und irregulären Verhältnissen stattfindenden Reichstagswahlen am 5. März 1933 nur 43,9 Prozent und verfehlt damit die absolute Mehrheit deutlich. Erst nach der Annullierung der Mandate der KPD, deren Parteistrukturen brutal zerschlagen wurden und deren Kader in die Illegalität gehen mussten, konnte mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 durch NSDAP, DNVP sowie Zentrum, Bayerischer Volkspartei und Deutscher Staatspartei die Demokratie beendet werden. Wer heute den Verbrechen der Nazis gedenkt, muss auch diesen verhängnisvollen Tag vor 90 Jahren und seine Vorgeschichte mitdenken, denn die Erforschung von Ursachen und Herkunft des Faschismus sind notwendige Bestandteile jeder Erinnerungsarbeit.

Damit der Faschismus in Deutschland die Macht erhalten und diese im Laufe des Jahres 1933 festigen konnte, brauchte es dreierlei:
Erstens Steigbügelhalter von oben, die bereit und in der Lage waren, die Nazis mit finanziellen Mitteln auszustatten und in jene Machtpositionen zu hieven, die sie zur Durchsetzung ihrer Herrschaft benötigten. Zweitens eine rechte Massenbewegung, die der Menschenverachtung der Nazis zustimmte und sich von ihrer Herrschaft eigene Vorteile versprach, sowie drittens staatlich legitimierte Gewalt und Terror gegen politische Gegner:innen, um den organisierten Widerstand zu brechen und jede Opposition unmöglich zu machen.

Daran muss heute erinnert werden. Denn der Schoß, aus dem das kroch, ist fruchtbar noch. Und wie belastbar all das Gerede der Union von einer "Brandmauer nach rechts" tatsächlich ist, wird sich erst noch zeigen. Ihre Verantwortung für den Faschismus haben die Konservativen jedenfalls bis heute weder eingestanden, noch daraus glaubhafte Konsequenzen gezogen.