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»Der Raffgier wurde gesetzlich Tür und Tor geöffnet«

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Linken-Chef Oskar Lafontaine präsentiert sich selbstbewusst - und hält gar ein Comeback als saarländischer Ministerpräsident für denkbar. Ein Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung über den Fall Zumwinkel, die Fehler des Finanzministers bei der IKB-Bank, Sektierer in seiner Partei und den Krieg in Afghanistan.

Wollen Sie auch die Stasi zurück, so wie die niedersächsische Linken-Abgeordnete Christel Wegner?

Das war eine spinnerte Äußerung. Unsere niedersächsische Linke und die Landtagsfraktion haben Wegner deshalb zur Niederlegung ihres Mandats aufgefordert. Damit ist für mich die Sache erledigt.

Selbst ihr Ko-Fraktionschef Gysi beklagt die vielen linken Sektierer im Westen. Gibt es bei Ihnen zu viele rote Schafe?

Dieses Problem hat doch jede Partei, die neu entsteht. Das kennen Sie doch von den Grünen. Bei denen sind ja ehemalige K-Gruppen-Mitglieder sogar zu Ministerehren gekommen. Der Zulauf in unsere Partei wird dieses Wehwehchen heilen. Im Saarland sind aus 130 schon 2000 Mitglieder geworden.

Auf den Listen der Linken finden sich trotzdem reichlich eigenartige Gestalten.

Mit dieser Einschätzung wäre ich vorsichtig. Ich kenne das Personal der anderen Parteien sehr gut. Es ist keineswegs so, dass unser Personal schlechter wäre als das der Konkurrenz.

Eigentlich müssen Sie doch dankbar sein, dass Frau Ypsilanti eine Zusammenarbeit mit Ihnen ablehnt. Der hessischer Linke-Landesverband ist doch gar nicht regierungsfähig.

Wir haben eine Reihe von Leuten, die ein Ministerium führen könnten. Außerdem handeln in Hessen nicht wir unglaubwürdig, sondern Frau Ypsilanti. Wer im Wahlkampf mit dem Mindestlohn wirbt, um dann der FDP eine Koalition anzubieten, ist dreist.

Die linke Mehrheit, die es in Deutschland rechnerisch gibt, kann nicht zum Tragen kommen, solange Sie aktiv sind, weil Sie für Ihre ehemalige Partei eine Unperson sind. Müssten Sie jetzt nicht den Weg freimachen und abtreten?

Ich habe meine ehemalige Partei so verstanden, dass sie nicht will, dass ich Mitglied einer Bundesregierung werde. Von dieser Sorge kann ich sie befreien: Ich muss im Fall des Falles nicht in eine Regierung eintreten. Ich kann der SPD aber nicht den Gefallen tun, mich aufs Altenteil zurückzuziehen.

Schmerzt es Sie eigentlich, dass Ihnen aus der SPD, deren Heros Sie einmal waren, nur noch Hass entgegenschlägt?

Ich bedauere das. Aber die Ursachen sind bekannt: Unter meiner Führung war die SPD eine Partei, die für Sozialstaat und Frieden stand. Jetzt steht sie für Sozialabbau und Krieg.

Von vielen Ost-Linken werden Sie ja nur akzeptiert, weil man nur Ihnen eine erfolgreiche Westausdehnung der Partei zutraut. Haben die wenigen Stimmen, die Ihre Partei in Hessen über die Fünf-Prozent-Hürde gebracht haben, Ihr politisches Überleben gerettet?

Der Traum unserer politischen Gegner, dass ich aus der Politik ausscheide, wird sich so schnell nicht erfüllen. Unsere Mitglieder und Wähler freuen sich auch über die hohe Zustimmung auf Bundesebene. Die Linke ist nicht nur in Hessen, sondern auch in Niedersachsen in den Landtag eingezogen. Wir dürfen keine ostdeutsche Regionalpartei bleiben - sonst würde das Projekt Neue Linke scheitern.

Wäre es mit der rechnerischen linken Mehrheit in Deutschland nicht sofort wieder vorbei, wenn sie irgendwo genutzt werden würde?

Nein, denn wir haben eine linke Mehrheit bei den Wählern. Mindestens zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sind für den Mindestlohn, ein höheres Rentenniveau, weniger Auslandseinsätze und eine stärkere Beteiligung am Wachstum. Diese linke Mehrheit wird im Bundestag aber nicht wirksam, weil das Parlament gegen die Mehrheit der Bevölkerung entscheidet.

Wenn die linke Mehrheit so groß wäre, müssten Sie ja Ergebnisse einfahren wie die CSU in Bayern.

Sie vergessen die Nichtwähler! Bei einigen Wahlen hat nicht einmal mehr jeder zweite Bürger seine Stimme abgegeben. Es gibt ein prinzipielles Misstrauen gegenüber Parteien. Zu Recht, weil sie oft nach der Wahl etwas anderes tun, als sie vorher versprochen haben. Von diesem Misstrauen sind auch wir Linke betroffen.

Was wollen Sie eigentlich politisch noch bewegen? Reicht es Ihnen wirklich, der "Mr. No" der deutschen Republik zu bleiben?

Selbst der BDI hat gerade erklärt, die Linke bestimme derzeit die Agenda der deutschen Politik. Die Korrekturen beim Arbeitslosengeld, bei der Zwangsverrentung, bei Hartz IV und dem Post-Mindestlohn gäbe es ohne uns nicht. Aber das reicht uns nicht. Im Mittelpunkt unserer Politik steht jetzt die Wiederherstellung der Rentenformel. Alle anderen Parteien haben die Rentenformel ja so zertrümmert, dass für Millionen Deutsche Armutsrenten programmiert sind. Ich sage Ihnen voraus: Die Rentenformel wird geändert werden.

Und die Beiträge steigen wieder ...

Nur für die Arbeitgeber! Für die Arbeitnehmer würde die Last kleiner. Derzeit müssen sich Arbeitnehmer zusätzlich privat versichern - ohne die hälftige Beteiligung der Arbeitgeber. Das ist doch der große Betrug Gerhard Schröders gewesen. Die Arbeitgeber müssen sich wieder stärker beteiligen. Das ist angesichts der Gewinnexplosion auch überfällig.

Die Linke fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,44 Euro. Ihr Parteifreund André Brie sagt, ein Friseur in Mecklenburg-Vorpommern könne das nicht bezahlen. Hat er da nicht recht?

Nein. Wenn auch in Mecklenburg-Vorpommern ein Mindestlohn gilt, kann der Mecklenburger seinem Friseur einen höheren Preis bezahlen. Im Gegenzug muss der Friseur seine Leute nicht mehr für vier Euro beschäftigen.

Das ist doch ein Nullsummenspiel.

Nein. In der Ökonomie dreht sich die Spirale entweder insgesamt nach unten oder nach oben. Und in Deutschland dreht sie sich bei Löhnen und Renten nach unten. Das muss sich ändern. Es gibt keine seriöse Untersuchung, die beweist, dass der Mindestlohn in der Summe wirtschaftliche Nachteile bringt.

Wenn Sie noch Bundesfinanzminister wären, würden Sie dann der IKB-Bank auch 1,2Milliarden Euro Steuergelder zu ihrer Rettung geben oder lieber Einlagen von 24Milliarden Euro absaufen lassen?

Man darf nicht Milliarden in eine Privatbank stecken, ohne zu wissen, wie hoch das Finanzloch eigentlich ist. Die jetzige Vorgehensweise der Bundesregierung ist nicht vertretbar. Die privaten Banken müssen zur Kasse gebeten werden.

Finanzminister Steinbrück argumentiert, eine Insolvenz könnte das Bankensystem erschüttern.

Ich glaube, Steinbrück malt die Risiken immer größer, je mehr Geld er in die IKB hineinpumpt. Tatsache ist, dass er die Verantwortung für das Fiasko trägt: Die Bankenaufsicht, die ihm unterstellt ist, hat nichts gemerkt. Sein Vertreter im Aufsichtsrat der IKB hat auch nichts gemerkt. Dabei stand in den Geschäftsberichten klipp und klar drin, dass die IKB mit Milliarden unverantwortlich spekuliert hat.

Sie sitzen im Verwaltungsrat der staatlichen KfW, die an der IKB beteiligt ist. Was haben Sie gemerkt?

Dass bis zum heutigen Tag keiner weiß, wie groß das Loch ist. In ein Fass ohne Boden steckt man kein Geld. Dieser marktwirtschaftlichen Position der Linken folgt die Mehrheit leider nicht.

Was symbolisiert für Sie der Fall Zumwinkel?

Dieser Fall zeigt, wie notwendig die Linke in Deutschland ist. Wir haben vorgeschlagen, die Managergehälter auf das Zwanzigfache des Arbeitnehmergehaltes zu reduzieren. Alle anderen Fraktionen im Bundestag haben dies abgelehnt. Wir haben vorgeschlagen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Abgelehnt. Wir haben vorgeschlagen, Aktienoptionen zu verbieten, damit Manager keine Chance haben, mit der Ankündigung von Entlassungen den Kurs und damit ihr Einkommen in die Höhe zu treiben. Abgelehnt.

Pardon, aber was hat das alles mit Steuerhinterziehung zu tun?

Leute, die mit Aktienoptionen bezahlt werden und immer größere Gewinne mitnehmen wollen, kennen irgendwann kein Maß mehr.

Das heißt, wenn Manager weniger verdienen, werden sie auch weniger gierig? Das ist doch absurd.

Wenn man gesetzlich der Bereicherung und der Raffgier Tür und Tor öffnet, darf man sich nicht wundern, wenn manche Manager die Gesetze überhaupt nicht mehr beachten.

Zur Außenpolitik. Wann ging es den Menschen in Afghanistan besser: Heute oder im September 2001 unter der Herrschaft der Taliban?

Es gab im vergangenen Jahr mehr als 6000 Todesopfer in Afghanistan. Die Tendenz ist steigend. Damit ist klar, dass die Afghanistan-Mission des Westens komplett gescheitert ist.

Wollen Sie damit sagen, die hat alle die Nato umgebracht?

Die 6000 Toten fragen nicht mehr, wer sie umgebracht hat.

Das heißt, aus Ihrer Sicht ging es den Afghanen 2001 besser als jetzt?

Wie kommen Sie darauf? 2001 lebten viele Menschen noch, die in den letzten Jahren Opfer dieses sinnlosen Krieges geworden sind.

So lange deutsche Truppen in Afghanistan stehen, gibt es keine Regierungsbeteiligung der Linken?

So ist es. Deutschland darf sich nicht an einem Krieg beteiligen, der die Genfer Konvention verletzt. Die gehört zum Völkerrecht. Und in Afghanistan wird sie verletzt, weil man bei einem Angriff einen Bauern auf dem Feld nicht von einem Taliban unterscheiden kann.

Die Ost-Linken, die aus der SED hervorgegangen sind, haben nicht gerade eine pazifistische Tradition.

Was soll diese olle Kamelle? Die Mauer ist 1989 gefallen. Die Linke steht in der Tradition Willy Brandts: Krieg ist nicht die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio.

Ein Rückzug aus Afghanistan würde die Sicherheit in Deutschland erhöhen?

Die Geheimdienste sagen, die Beteiligung am Krieg erhöhe die Terrorgefahr. Dann gilt logischerweise auch der Umkehrschluss.

Noch mal zur Zukunft der Linken: Ist die rot-rote Koalition im Land Berlin für Sie Vorbild oder abschreckendes Beispiel?

Unser Ziel ist mehr soziale Gerechtigkeit. Wo es Bündnisse gibt, die uns dem näher bringen, werden wir sie eingehen. Dabei dürfen wir aber keine Kompromisse machen, die wir unseren Wählern gegenüber nicht vertreten können. Es ist wichtig, dass man auch als kleinerer Partner am Ende nicht geschwächt aus der Koalition hervorgeht.

So wie Ihre Parteifreunde in Berlin. Also ist diese Koalition Mist?

Es wurden auch Fehler gemacht. Aber ohne die Linke in Berlin wäre die Sparkasse privatisiert, es gäbe kein Sozialticket, kein Kulturticket, die Gemeinschaftsschule käme nicht voran. Die Linke wird sich dann an Regierungen beteiligen, wenn die Politik stimmt. Das kann in Thüringen sein, das könnte im Saarland sein.

Und dann heißt der saarländische Ministerpräsident wieder Lafontaine?

Politische Beobachter schließen nicht aus, dass wir stärker als die SPD werden. Im Übrigen: Die Saarländer kennen meine Arbeit. Sie kaufen also die Katze nicht im Sack.

Interview: Peter Fahrenholz, Nico Fried, Robert Roßmann

Süddeutsche Zeitung, 18. Februar 2008