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»Der Markt löst das Problem nicht, also ist die Politik gefordert«

Im Wortlaut,

Zum Thema Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit führt der Ausschuss für Arbeit und Soziales am 18. Mai im Bundestag eine Anhörung durch. Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) wird dort als Sachverständiger auftreten. Seine These: "Die Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird dem Problem nicht gerecht. So sollen nur 10.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, und die sind auch noch minderwertig, da nicht voll sozialversicherungspflichtig und auch nicht tariflich entlohnt", so Künkler im Interview.

Vielleicht können Sie zunächst kurz benennen, was die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen ist und was sie macht?

Martin Künkler: Wir vernetzten und unterstützen bundesweit örtliche Erwerbslosengruppen, Arbeitslosentreffs und Beratungsstellen, vor allem die rund 230 gewerkschaftlichen Basisgruppen.  Konkret bieten wir viele sozialrechtliche Informationen an. Wir wollen, dass Leistungsberechtige ihre Ansprüche gut kennen und auch durchsetzen können. Und wir organisieren politische Kampagnen und Aktionstage. Besonders erfolgreich war die Kinderkampagne, mit der Extraleistungen für Schulkinder aus Hartz IV-Haushalten in vielen Kommunen durchgesetzt werden konnten.

Seit Jahren sinkt die Arbeitslosigkeit, und die Beschäftigung wächst. Ist Langzeitarbeitslosigkeit wirklich noch ein so großes Problem?

Ehrlich gerechnet sind immer noch fast vier Millionen Menschen erwerbslos und davon über eine Millionen länger als ein Jahr. Die Zahl der Langzeiterwerbslosen stagniert auf hohem Niveau. Langzeiterwerbslose profitieren nicht von der günstigen Arbeitsmarktentwicklung. Der Markt löst das Problem also nicht, hier ist die Politik gefordert.  

Was ist bei dem Thema wichtig aus Sicht der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen?

Langzeiterwerbslos zu sein, bedeutet Ausgrenzung und oftmals auch ein Leben in Armut. Wir fordern zweierlei: Jede und jeder muss die Möglichkeit haben, an guter Arbeit teilzuhaben. Und die soziale Absicherung muss so verbessert werden, dass sie wirksam vor Armut schützt. In der aktuellen Debatte besteht zudem die Gefahr, dass Langzeiterwerbslosigkeit individualisiert wird. Fehlende Arbeitsplätze werden in individuelle Vermittlungshemmnisse umgedeutet.

Das Arbeitsministerium hat eine Initiative zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit angekündigt. DIE LINKE hat ein umfassendes Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit vorgelegt. Eine kurze Bewertung dazu Ihrerseits?

Das Konzept des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird dem Problem nicht gerecht. So sollen nur 10.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, und die sind auch noch minderwertig, da nicht voll sozialversicherungspflichtig und auch nicht tariflich entlohnt. Viele Vorschläge der LINKEN decken sich mit denen der Erwerbslosengruppen. Positiv ist, dass insgesamt mehr gute Arbeit geschaffen werden soll, geförderte Arbeit dem Normalarbeitsverhältnis entsprechen soll, die Rechte der Erwerbslosen gestärkt werden und die Regelsätze deutlich erhöht werden sollen.

Vor einigen Wochen hat ein Undercover-Report vom Team-Wallraff Missstände in den Jobcentern aufgedeckt. Vertreter der Regierung und Bundesagentur sagen, das ist ein Angriff auf die Beschäftigten und ihre Arbeit in den Jobcentern. Wie sehen Sie das?

Das ist doch Quatsch und soll berechtigte Kritik abwürgen. Die Jobcenter produzieren vielfach Murks, und das kritisieren wir deutlich. Dabei sehen wir die Beschäftigten in den Jobcentern nicht als Gegner, sondern als potentiell Verbündete. Das Hartz IV-Elend wirkt ja auf beiden Seiten des Schreibtischs. Die Missstände haben strukturelle Ursachen. Es fehlt an ausreichend qualifiziertem Personal, und die Jobcenter sind von oben fehlgesteuert, es gibt falsche Vorgaben zu Lasten der Leistungsbezieher.

Am 16. April gab es einen bundesweiten Aktionstag vor den Jobcentern, über den leider in der Presse kaum berichtet wurde. Er stand unter dem Motto "AufRecht bestehen". Worum ging es dabei? Und wie ist der Tag gelaufen?

Mit rund 30 Aktionen haben örtliche Erwerbslosengruppen bestehende Missstände in den Jobcentern angeprangert. Etwa die bürgerunfreundlichen Verfahren und die Tatsache, dass vielfach Leistungen zu Unrecht vorenthalten werden. Jeden Monat verurteilen die Sozialgerichte in über 4.000 Fällen die Jobcenter, höhere Leistungen auszuzahlen – Leistungen die vorher verweigert wurden. Das Motto "AufRecht bestehen" ist bewusst doppeldeutig: Damit sich etwas ändert, müssen noch mehr Menschen aufstehen und sich gemeinsam und aufrecht einmischen.

Die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen gibt Betroffenen, die sich organisieren wollen, Hilfestellung und stößt gemeinsame Initiativen an. Kann man die Koordinierungsstelle auch unterstützen, wenn man nicht erwerbslos ist?

In den örtlichen Erwerbslosengruppen sind in aller Regel alle aktiven Mitstreiter herzlich willkommen, unabhängig davon, ob sie selbst erwerbslos sind. Die Koordinierungsstelle selbst erhält zwar eine Grundfinanzierung von den DGB-Gewerkschaften, ist aber dringend auf weitere Förderer angewiesen. Man kann uns konkret unterstützen, indem man bei uns Mitglied wird oder Geld spendet. Näheres dazu steht im Netz unter www.erwerbslos.de.