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Der lange Prozess des Ankommens beginnt erst

Im Wortlaut von Katja Kipping, Petra Sitte,

Welcome2Stay in Leipzig: Blick in den Konferenzsaal

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Es kamen mehr Menschen als geplant, sagt Petra Sitte, im gemeinsamen Interview mit Katja Kipping zur Welcome2Stay-Konferenz am vergangenen Wochenende in Leipzig. "Es war ein sehr lebendiger Kongress mit einer tollen Atmosphäre", so die 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. "Zudem war uns wichtig, nicht nur über Geflüchtete, sondern mit ihnen zu sprechen", meint Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE. Und die Zusammenkuft sei erst der Anfang gewesen.

 

Welcome2Stay ist ein Bündnis, an dem neben der Bundestagsfraktion DIE LINKE zahlreiche VertreterInnen und AktivistInnen der Solidaritäts- und Willkommensbewegungen, aber auch Geflüchtete selbst beteiligt sind. Wie hat sich das Bündnis gebildet und mit welchem Ziel?

Katja Kipping: Im November 2015 veranstaltete die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag eine Konferenz für Fluchthelferinnen und Fluchthelfer. Bei dieser Konferenz wurde deutlich, dass es ein großes Interesse an politischem Austausch gibt. Und zudem die Aktiven vor einem Dilemma stehen, welches sich wie folgt beschreiben lässt: Der Neoliberalismus erschöpft seine Gegner. Während all die Vielen damit beschäftigt sind, Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten oder in den Kleiderkammern mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen, verschärfen die Regierenden das Asylrecht und nur wenige haben nebenher noch die Kraft, dagegen politisch zu kämpfen. Diese Erkenntnis und die Fraktionskonferenz gaben sozusagen den Impuls für ein breiteres Bündnis. An der Organisation waren unter anderem Attac, die RLS, die Fraktion, die Interventionistische Linke, das Komitee für Grundrechte, das LinXXnet aus Leipzig und andere lokale Initiativen beteiligt.

Neben den politischen Debatten und Workshops standen vor allem auch der gemeinschaftliche Faktor und das Zusammenkommen im Vordergrund. Wie haben Sie die Stimmung auf der Veranstaltung wahrgenommen?

Petra Sitte: Es war ein sehr lebendiger Kongress mit einer tollen Atmosphäre. Allen war klar, dass da auch etwas Neues entsteht. Es wuselten Kinder herum, viele Sprachen waren zu hören, eine positive Form von Vielfalt war überall greifbar. Es war ein spannendes Miteinander von geflüchteten Menschen, antirassistischen und Willkommensinitiativen, aber auch politischen „Profis“ – eine sehr produktive Atmosphäre. Weil so viele Menschen mehr kamen als geplant, musste auch improvisiert werden. Aber das hat niemanden gestört.

Zusammenkünfte und Konferenzen von Initiativen, die sich für Geflüchtete einsetzen, gibt es einige. Inwieweit war Welcome2Stay trotzdem anders?

Katja Kipping: Bei dieser Zusammenkunft wurde die Tagesordnung gemeinsam von allen Beteiligten entworfen. Zudem war uns wichtig, nicht nur über Geflüchtete, sondern mit ihnen zu sprechen. Hinzu kommt, dass es nicht einfach eine Konferenz war, sondern auch eine Zusammenkunft mit Kinderfest und Feier nach dem gemeinsamen Fastenbrechen am Abend. Zum besonderen Charme dieser Zusammenkunft gehörte eine Atmosphäre der Offenheit. Das konnte jede und jeder spüren, die auf dem Platz ankamen. In den Panels wurde deutlich, dass es inzwischen eine neue Qualität der Zusammenarbeit von Partei und Bewegung gibt – ganz im Sinne der Mosaik-Linken. Das ist auch ein Verdienst der Kontaktstelle Soziale Bewegungen!

Ähnlich wichtig wie Welcome2Stay selbst sind die Schlüsse, die anschließend daraus gezogen werden. Was haben Sie von der Konferenz mitgenommen?

Petra Sitte: Dass diese Community des Willkommens, die ja nicht mehr so im medialen Rampenlicht steht, Unterstützung aus der Politik weiterhin braucht und auch verdient hat. Das Engagement hat eine gewisse Routine bekommen, aber die Rahmenbedingungen – Ämter, Sozialträger, Bildungseinrichtungen – sind weiter unheimlich prekär. Viele denken ja, weil weniger Menschen neu ankommen, sei irgendetwas gelöst. Das Gegenteil ist der Fall: Bei denen, die es bis hierhergeschafft haben, beginnt jetzt erst der lange Prozess des Ankommens – ein anstrengender und aufwändiger Prozess für alle Beteiligten. Man hat nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung diese Aufgabe schon richtig begriffen hat. Und für die, die irgendwo zwischen den Fluchtländern und Europa gestrandet sind oder warten, ist gar nichts gelöst. Wir brauchen da politische Lösungen und ein Ende der unsäglichen Abschottungspolitik, die zu humanitären Katastrophen führt.

Ganz bewusst ist mit Leipzig ein Veranstaltungsort in einem der neuen Bundesländer ausgewählt worden, die ja zuletzt häufig in der Kritik standen. Welche Wirkung haben Sie sich davon versprochen?

Petra Sitte: Zum einen ist Leipzig in den neuen Ländern eine besondere Stadt mit einer aktiven antirassistischen Szene. So kam beispielsweise der Großteil der Aktivisten des „Convoy of Hope“, die im letzten Sommer Menschen aus Budapest geholt haben, aus dieser Region. Und diese Szene sollte durch das Welcome2Stay-Bündnis gestärkt und unterstützt werden. Viele jungen Menschen, auch in den ostdeutschen Städten, sind über die Ereignisse um Flucht und Migration zum ersten Mal politisch aktiv geworden, haben geholfen und sich für offene Grenzen für Menschen in Not eingesetzt. Und Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen, stehen im Osten massiv unter Druck durch Nazis. Das zeigen einzelne Übergriffe und Drohungen, aber auch die massiven Angriffe von größeren Nazi-Horden auf Leipzig-Connewitz. Die OrganisatorInnen wollten da ein Zeichen setzen.    

Welche konkreten politischen Schritte ergeben sich für LINKE Politik aus der Konferenz?

Katja Kipping: Bei Welcome2Stay war das Lager der Solidarität sichtbar. Und das, was da sichtbar war, war sehr ermutigend. Diese Zuversicht gilt es weiterzutragen. Die Zusammenkunft in Leipzig war erst ein Anfang, nun geht es weiter. Ein nächster Höhepunkt wird am ersten Septemberwochenende in Berlin stattfinden. So plant Blockupy am 2. September 2016 eine Aktion. Am 3. September findet die Demo von „Aufstehen gegen Rechts“ statt und am 4. September treffen sich alle, die über die nächsten Schritte von Welcome2Stay beraten wollen. Als LINKE werden wir uns dabei selbstverständlich einbringen.

Interview: Miguel Thomé

linksfraktion.de, 17. Juni 2016