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Foto: Rico Prauss

Der friedfertige Soldat

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,


Lothar Bisky, 17. August 1941 - 13. August 2013

 

 

Von Dietmar Bartsch


Heute, am 17. August, wäre Lothar Bisky 72 Jahre alt geworden. Wir hätten selbst in Wahlkampfzeiten die Muße für einen Whisky gefunden, ein bisschen über die Kampangen gelästert (die eigene wie die der Konkurrenz) und ganz sicher überlegt, wie es weiter gehen kann in der Partei und weiter gehen sollte im Land.

Am 13. August jedoch erreichte uns die erschütternde Nachricht vom Tod Lothar Biskys. Viele, die der LINKEN angehören oder nahe stehen, hat sie tief betroffen gemacht. Politikerinnen und Politiker und Medien unterschiedlicher Couleur äußern sich mit hohem Respekt. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg würdigte Lothar Bisky, der lange Zeit in Brandenburg gelebt und gearbeitet hat, mit einem einfühlsamen und achtungsvollen Beitrag, dem Porträt eines Mannes, für den Politik ohne Wärme und Geist, ohne Kultur und Dialog undenkbar war. Ich habe einen guten Freund verloren und kann nun Gedanken und Grüße zu seinem Geburtstag nur noch aufschreiben.

Lothar Bisky sei, so ist hier und da zu lesen, ein treuer Parteisoldat gewesen. Die Floskel läuft völlig ins Leere und stimmt zugleich. Der Wissenschaftler Lothar Bisky schulterte 1989/90 politische Verantwortung und warf sie, anderen Lebensplänen zum Trotz, nie wieder ab. „Dass er in die Politik ging, begriff ich, dass er dort blieb, nicht“, bekannte sein Schüler Andreas Dresen, der den Widerspruch sofort selbst auflöst: „Verflixterweise hing es mit dem Charakter zusammen: Er wollte verlässlich bleiben, auf keiner konjunkturellen Welle reiten.“ Ich wusste, wie sehr Lothar die Welt der Sitzungen und Beschlüsse, der Kampagnen und des Aktionismus oft gegen den Strich ging, und habe ihn doch wieder und wieder bedrängt, den Bettel nicht hinzuschmeißen. Weil wir ihn so dringend brauchten, ihn, der Unmögliches zuwege brachte: leise wachrütteln, streitend übereinkommen, beharrlich verändern. Nicht jede und jeder kam damit klar, so konnte Lothar Bisky denn auch mit seiner Klugheit irritieren und mit seiner Geradlinigkeit anecken. Wenn der dem Militärischen gänzlich Abholde tatsächlich ein Parteisoldat war, dann ein durch und durch friedfertiger, freundlicher und liebenswerter! Lothar selbst definierte sein Verhältnis zur Partei mit Goethe: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Er stellte sich immer den Problemen, doch nie selbst in den Vordergrund. Lothar Bisky, der Mann des Filmes, blieb auch in seinem politischen Leben eher Regisseur in einem Team, das er zum Mitdenken ermunterte und zum Widerspruch ermutigte.

Lothar Bisky war ein bemerkenswert bescheidener und uneitler Politiker. Gerade deshalb sind große Worte über ihn angebracht. Wir verdanken ihm in höchstem Maße, dass es heute in der Bundesrepublik Deutschland noch eine demokratisch-sozialistische Partei mit gesellschaftlichem Einfluss gibt. Auf dem außerordentlichen Parteitag im Dezember 1989 sprach Lothar Bisky gegenüber dem Volk der DDR die Entschuldigung für das von der SED begangene Unrecht aus. Als Landespolitiker in Brandenburg zeigte er, wie Klarheit und Toleranz, Sachstreit und gegenseitige Achtung auch im politischen Geschäft funktionieren und miteinander einhergehen können. Als Parteivorsitzender führte er die PDS erfolgreich im Überlebenskampf der 1990er Jahre und später – ab 2005  – zu einem neuen Aufbruch, hin zur Partei DIE LINKE. Nicht zuletzt war er ein überzeugter Europäer und Internationalist. Gemeinsam mit seinem gleichaltrigen Freund Fausto Bertinotti begründete er die Partei der Europäischen Linken, deren erste Vorsitzende die beiden waren. Das Zusammenführen der Linken in Deutschland und in Europa betrieb Lothar Bisky mit unglaublicher Konsequenz und Zielstrebigkeit. Zauderer und Skeptiker konnten da erleben, dass er extrem hartnäckig und äußerst ungeduldig sein konnte. Beißend spöttisch war er mitunter auch, doch nie verletzend. Reden zu halten war seine Sache nicht, aber zuhören wollte und konnte er – den ganz Jungen wie den Älteren,  den Freunden wie den politischen Kontrahenten. Ratschläge gab er zögerlich, weil gut überlegt,  und wenn alle in der Runde schon eine Position gefunden hatten, fragte Lothar noch einmal nach und wog die Argumente. An manchen seiner Prinzipien jedoch ließ er zu keiner Zeit wackeln. Was hat er sich gelegentlich über das „neue deutschland“, „seine“ Zeitung, geärgert! Aber dem Parteivorsitzenden und zeitweiligen nd-Herausgeber Lothar Bisky wäre es im Traum nicht eingefallen, der Redaktion dreinzureden. Weil ich oft erlebt habe, wie achtungsvoll er von seinen Studentinnen und Studenten an der Potsdamer Filmhochschule sprach, sei noch einmal Andreas Dresen zitiert, der zu dem Schluss gelangt, Bisky haben „zwanzig Jahre Politgaleere nicht verdorben, ich erkenne auch heute noch den alten, von uns Studenten geliebten, aufrechten, integeren Lothar Bisky.“

Als ich Lothar Bisky auf der legendären Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Alex hörte und kurz danach auf dem außerordentlichen Parteitag erlebte, ahnte ich nicht, dass ich bald darauf für lange Zeit mit ihm durch dick und dünn gehen würde. Ich kann bezeugen, dass es auch unter Politikern Freundschaften geben kann, denn mit Lothar verband mich eine solche. Sie war vor allem von Verlässlichkeit geprägt, womit Zweierlei gemeint ist: Was besprochen und vereinbart war, galt. Und: Der eine stellte sich immer und überall vor den anderen, Differenzen, die es natürlich auch gab, wurden unter vier Augen geklärt – manchmal sogar laut.

Ich mag noch nicht wahrhaben, dass Lothar nicht mehr unter uns ist, dass wir an seinem Geburtstag nicht voller Freude sondern in tiefer Trauer sind. Umso mehr möchte ich dich, Lothar, gerade heute hoch leben lassen. Und dir danken.

 

linksfraktion.de, 17. August 2013