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Der Angriff auf die Sparkassen

Im Wortlaut von Axel Troost,

Von Axel Troost und Martin Mathes

Es sprach schon etwas Verwunderung aus dem Befund der neoliberalen Vordenker des „Kronberger Kreises“: Eine deutliche Liberalisierungs- und Privatisierungsbewegung sei zwar bei Telekommunikation, Luftverkehr, Eisenbahn und Energieversorgung erkennbar, aber „in Deutschland bliebe ein wichtiger Bereich von dieser Entwicklung völlig unberührt, das öffentlichrechtliche Bankgewerbe“.1 Das war im Jahr 2001. Sechs Jahre später haben Liberalisierungsvorhaben auch den öffentlichen Bankensektor erreicht: Zwar wurde die Privatisierung der Landesbank Berlin (LBB)/Berliner Sparkasse als Folge eines EU-Beihilfeverfahrens gerade abgewendet. Aber: Mit der HSH Nordbank wurde bereits 2006 die erste Landesbank teilprivatisiert, und Hessen sowie Nordrhein-Westfalen liberalisieren ihre Landes-Sparkassengesetze.2

Nach wie vor aber haben öffentliche Kreditinstitute - Sparkassen und Landesbanken (vgl. den nachstehenden Kasten) - im bundesdeutschen Spar- und Kreditgeschäft mit einem Marktanteil von gut einem Drittel eine starke Position inne. Werden die Genossenschaftsbanken (wie Volks- und Raiffeisenbanken) hinzuaddiert, wird deutlich: Fast die Hälfte des bundesdeutschen Spar- und Kreditgeschäfts wird von Kreditinstituten betrieben, die sich nicht ausschließlich dem Sachzwang privatwirtschaftlicher Gewinnmaximierung unterwerfen müssen und die sich daher teilweise von den Rendite-Vorgaben der Finanzmärkte abkoppeln können. Die privaten Großbanken - als dritte große Anbietergruppe - kommen nur auf einen Marktanteil von rund einem Viertel.

Diese Struktur des bundesdeutschen Bankensystems hat aus Perspektive einer alternativen Wirtschaftspolitik folgende Konsequenzen.

Erstens ist die Versorgung mit Finanzdienstleistungen auch in strukturschwachen Regionen relativ gut. Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind in allen Landkreisen bzw. kreisfreien Städten präsent, während in jedem zehnten Landkreis keine Niederlassung einer privaten Großbank existiert.

Zweitens wird die wichtige gesamtwirtschaftliche Funktion des Bankensystems, die Bereitstellung von Finanzierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, für das Handwerk sowie für Selbstständige von Sparkassen und Genossenschaftsbanken verhältnismäßig gut erfüllt. So sank bei den Privatbanken zwischen 1992 und 2002 der Anteil der Unternehmens- und Privatkredite an der Bilanzsumme von 62 Prozent auf 41 Prozent, während er bei den Sparkassen 58 bzw. 60 Prozent betrug. Private Banken spielen seit Anfang der 90er Jahre „keine starke, statistisch signifikante Rolle bei der Kreditversorgung der Mehrheit junger, kleiner Unternehmen“. Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben dagegen „substanzielle, signifikant positive Einflüsse“.3 Die Kreditvergabe von Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist zudem weniger von konjunkturellen Faktoren oder von der Entwicklung der Aktienpreise abhängig als die von Privatbanken - und hat damit einen weniger destabilisierenden konjunkturellen Einfluss.

Drittens sind die Gewinnmargen im deutschen Kreditgeschäft im internationalen Vergleich niedrig. Die starke Stellung von Anbietern, die relativ unabhängig von betriebswirtschaftlich verengten Rendite-Erwartungen der Finanzmärkte sind, sorgt zusammen mit einer hohen Wettbewerbsintensität dafür, dass auch private Großbanken nur relativ niedrige Preise im Kreditgeschäft durchsetzen können und damit in diesem Geschäftsbereich vergleichsweise niedrige Renditen hinnehmen müssen - zum Vorteil der Bankkundinnen und -kunden wie auch der Volkswirtschaft.

Viertens sind Sparkassen und Landesbanken potentiell ein effizientes Instrument einer zielgerichteten alternativen regionalen Wirtschaftspolitik. Der Einfluss der (Kommunal-) Parlamente bei der Besetzung der Entscheidungsorgane öffentlicher Kreditinstitute könnte beispielsweise genutzt werden, um gezielt politisch eingebettete Schwerpunkte bei der Kreditvergabe zugunsten regional-, beschäftigungs- oder sozialpolitisch erwünschter Investitionen umzusetzen, natürlich unter Beachtung kreditwirtschaftlicher Rahmenerfordernisse.

Öffentliche Kreditinstitute zwischen Gemeinwohlverpflichtung, Marktzwängen und öffentlich finanzierter Misswirtschaft

Allerdings sind die öffentliche Trägerschaft bzw. öffentliches Eigentum allein noch kein hinreichendes Kriterium dafür, dass ein Kreditinstitut tatsächlich eine effiziente gemeinwohlorientierte Geschäftspolitik betreibt. Erst Recht ist es kein hinreichendes Kriterium dafür, dass es seine Spielräume für eine bewusst formulierte alternative Struktur- und Regionalpolitik nutzt. Ob es das tut, hängt vielmehr von den regionalen politischen Kräfteverhältnissen, den institutionellen Regelungen und den konkreten Rahmenbedingungen ab.

Sparkassen und Landesbanken ist für eine gemeinwohlorientierte Politik ein enger Rahmen gesetzt: Sie müssen sowohl im Kredit- als auch im Spargeschäft im Wettbewerb mit Privat- und Genossenschaftsbanken bestehen. Ferner müssen die Risiken im Kreditgeschäft so gemanagt werden, dass Vorgaben der Bankenaufsicht erfüllt werden und die Existenz des Kreditinstituts nicht gefährdet ist. Innerhalb dieses Spannungsfeldes droht sich eine immer stärker an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientierte Geschäftspolitik durchzusetzen.

Im Sparkassenbereich drückt sich diese Tendenz beispielsweise in den Zielen aus, die vom Dachverband der Sparkassen, dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV), proklamiert wurden und die die Sparkassen bis Ende 2007 erreicht haben sollen: 15 Prozent Eigenkapitalrendite und eine Kosten-Ertrags-Relation von 60 Prozent. Um dies zu gewährleisten, finden innerhalb des Sparkassenlagers verstärkt Fusionen oder Kooperationen statt, werden vor- und nachgelagerte Tätigkeiten ausgegliedert oder Filialnetze in strukturschwachen Regionen ausgedünnt. Zudem ist auch bei Sparkassen eine zunehmende Diskriminierung einkommensschwacher Haushalte bei der Kreditvergabe zu beobachten. Diese Entwicklung ist jedoch innerhalb der Sparkassengruppe durchaus umstritten. So forderte der derzeitige Geschäftsführende Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes bei der Vorstellung des betriebswirtschaftlich glänzenden Jahresergebnisses 2005, eine neue Balance herzustellen zwischen der Orientierung an betriebswirtschaftlichen Vorgaben und den Aufgaben, die nur eine Sparkasse erfüllen könne. Der öffentliche Auftrag müsse gemeinsam mit den Städten und Kreisen neu mit Leben gefüllt werden.4

Bei den Landesbanken ist die Hinwendung zu einer kommerziellen Geschäftspolitik besonders stark ausgeprägt. Ein Beispiel für eine besonders fragwürdige Geschäftspolitik liefert die NordLB, die zusammen mit privaten Unternehmen an einem Konsortium beteiligt ist, das eine Justizvollzugsanstalt als Public-Private-Partnership-Projekt baut und betreibt. Der Wegfall der staatlichen Haftungsgarantien im Jahr 2005 hat die Rahmenbedingungen ihres Geschäfts massiv verändert. Diskussionen über Fusionen, Kooperation oder Verbundkonzepte haben besonders hier Hochkonjunktur. Problematisch sind dabei vor allem Fusionen zwischen Sparkassen und Landesbanken, wie sie beispielsweise zwischen der WestLB und der Sparkasse Düsseldorf im Gespräch waren, nicht zuletzt um das Rating der WestLB zu verbessern. Solche vertikalen Fusionen bedrohen die Selbstständigkeit der Sparkassen wie auch ihre Bedeutung für die regionale Wirtschaftspolitik und werden daher von den meisten Sparkassen und Kommunen abgelehnt. Dennoch sind solche Verschmelzungen in einigen bedeutsamen Fällen bereits geschehen (so in Stuttgart, Frankfurt am Main und zum Teil in Sachsen). Krassester Ausdruck einer fragwürdigen Geschäftspolitik sind zweifellos Millionenverluste, die etliche Landesbanken durch hoch riskante Geschäfte ohne strukturpolitischen Nutzen erlitten haben und die letztlich durch die öffentliche Hand als Eigentümer ausgeglichen werden mussten. Aktuell ist die WestLB in den Schlagzeilen, weil sie bei Aktienspekulationen 250 Mio. Euro Verluste eingefahren haben soll. Bereits im Jahr 2003 verzeichnete die WestLB einen Verlust von 2,3 Mrd. Euro, der unter anderem auf Spekulationsgeschäfte und Kreditausfälle in Großbritannien zurückzuführen war. Die Berliner Landesbank brachte sich mit riskanten Immobiliengeschäften sogar an den Rand der Insolvenz, die nur durch Zahlungen des Landes Berlin in Höhe von bislang 2,6 Mrd. Euro verhindert werden konnte.

Privatisierung von Sparkassen und Landesbanken: Profiteure und Akteure

Auch wenn also öffentliche Trägerschaft bzw. Eigentum keine hinreichende Bedingung für eine gemeinwohlorientierte, alternative Geschäftspolitik ist, so ist dies doch eine notwendige Voraussetzung hierfür. Nur mit dieser Rechts- bzw. Eigentumsform kann eine effiziente gemeinwohlorientierte Kreditvergabe sichergestellt werden. Private, gewinnmaximierende Kreditinstitute können dies nicht, selbst wenn ihnen Auflagen für die Kreditvergabepolitik gemacht würden. Klare und durchsetzbare allgemeine Auflagen zur Kreditpolitik sind nämlich kaum definierbar. Und nur durch diese Rechts- bzw. Eigentumsform kann das Spar- und Kreditgeschäft - wie oben beschrieben - in einem gewissen Ausmaß von den Renditeerwartungen der Finanzmärkte abgekoppelt werden.

Daher überrascht es wenig, wenn öffentliche Kreditinstitute ins Visier von Privatisierungsbefürwortern geraten und wenn diese immer öfter fordern, gesetzliche Privatisierungshürden für Sparkassen niederzureißen (vgl. zur aktuellen Gesetzeslage nachfolgenden Kasten). Akteure sind hier neben dem Internationalen Währungsfonds, der in seinem Jahresbericht 2006 explizit Gesetzesänderungen zur Ermöglichung von Sparkassen-Privatisierungen fordert, und der marktorthodox-neoliberalen Wirtschaftswissenschaft vor allem die privaten Großbanken. Letztere haben ein handfestes ökonomisches Interesse an der Abschaffung öffentlicher Kreditinstitute, ihres Hauptwettbewerbers, durch Privatisierung. Für sie stellen öffentliche und genossenschaftliche Institute eine „dauerhafte Gewinnbremse“5 dar. In der offiziellen Argumentation der Privatbanken wird allerdings argumentiert, dass diese notwendige Umstrukturierungen in der bundesdeutschen Bankenlandschaft verhindern würden: In der Bundesrepublik existierten zu viele Kreditinstitute („Over-Banking“), was zu Ineffizienzen führe und die niedrigen Renditen begründe, so die Banken-Argumentation. In dieser Situation verhinderten Sparkassen, dass private Banken Marktanteile hinzukaufen und die notwendige Konsolidierung
stattfindet.

Diese Argumentation ist durch Fakten schwer belegbar. Selbst der sonst eher privatisierungsfreundliche Sachverständigenrat kommt zu dem Fazit, dass „sich aufgrund der heutigen Datenlage die Frage nach den Effizienzverlusten [durch das Nebeneinander von privaten, öffentlichen und genossenschaftlichen Kreditinstituten, Anm. d. Verf.] nicht eindeutig beantworten lässt“.6 Das Finanzdienstleistungsunternehmen Citigroup argumentiert sogar: Nicht die Sparkassen- und Genossenschafts-Verbünde seien Schuld an der Fragmentierung des deutschen Bankensystems, das Hauptproblem seien vielmehr die börsennotierten Banken selbst. Diese verfügten über zu kleine Filialnetze und seien überdies häufig an denselben Orten präsent. Die Diskussion über Sparkassen und Genossenschaftsbanken sei vielmehr „eine Ablenkung von der Notwendigkeit für die börsennotierten Banken, untereinander zu fusionieren“.7

Einen mächtigen Verbündeten haben die Privatisierungsbefürworter in der EU-Kommission gefunden. Dem eingangs zitierten verwunderten Befund des neoliberalen „Kronberger Kreises“ folgte auf dem Fuß die Erkenntnis, „dass man sich ohne den Druck aus Brüssel den entscheidenden Sprung nach vorn [zur Privatisierung der Sparkassen und Landesbanken, Anm. d. Verf.] kaum vorstellen kann“.8 In der Tat waren es in den letzten Jahren nicht selten Vorstöße aus Brüssel, die den öffentlichen Bankensektor geschwächt haben: Die von der EU durchgesetzte Abschaffung staatlicher Haftungsgarantien im Jahre 2005, der Streit um den „Sparkassen“-Bezeichnungsschutz 2006, die aktuelle Drohung mit einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren gegen die Sparkassen- und Genossenschaftsbanken-Verbünde sowie das Agieren der EU im Fall der LBB/Berliner Sparkasse sprechen eine deutliche Sprache.

Im Sparkassen-Bezeichnungsschutz des Kreditwesengesetzes sah die EUKommission einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit. Private Investoren könnten das gute Image und damit den Wert der Bezeichnung „Sparkasse“ nicht nutzen und würden so davon abgehalten, Sparkassen zu erwerben. Im Sommer letzten Jahres nahm die EU-Kommission ein ruhendes Vertragsverletzungsverfahren wieder auf und drohte mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Die daraufhin vom Bundesfinanzministerium vorgelegten ersten „Kompromissvorschläge“ sahen eine faktische Abschaffung des Bezeichnungsschutzes vor - obwohl das Ministerium offiziell stets betonte, dass seiner Auffassung nach der Bezeichnungsschutz mit dem EU-Recht vereinbar sei. Wegen dieser undurchsichtigen Verhandlungsstrategie intervenierten die Bundesländer und der Bundestag. Die Gewerkschaft Verdi sammelte binnen weniger Wochen unter Sparkassen- und Landesbankbeschäftigten 120 000 Unterschriften. Der Deutsche Landkreistag und der Präsident des Deutschen Städtetages, der Münchener Oberbürgermeister Christian Ude, verteidigten den Bezeichnungsschutz. Ende 2006 erzielten Finanzministerium und EU-Kommission dann eine Einigung: Das laufende Vertragsverletzungsverfahren wurde eingestellt. Im Falle der Berliner Sparkasse, deren Verkauf Mitte Juni vollzogen wurde, hätte auch ein anderer Käufer die Bezeichnung „Sparkasse“ nutzen dürfen.9 Die grundsätzliche Reichweite der Einigung ist umstritten: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück verwies darauf, dass die Frage des Bezeichnungsschutzes erneut zu diskutieren sei, wenn eine Sparkassenprivatisierung anstehe. Nach Auffassung des Interessenverbandes der Privatbanken, des Bundesverbandes deutscher Banken, hingegen gilt die Einigung nicht nur für die Berliner Sparkasse, sondern immer dann, wenn eine Kommune ihre Sparkasse privatisieren will. Mit dieser nicht ausgeräumten Unsicherheit hat die Bundesregierung in ihrer Auseinandersetzung mit der EU-Kommission die bundespolitische Hürde für Sparkassenprivatisierungen ins Wanken gebracht.

Wenige Wochen nach der Einigung im Streit über den Sparkassen-Bezeichnungsschutz - die eigentlich für vorläufige Ruhe im Streit mit Brüssel um öffentliche Kreditinstitute sorgen sollte - legte die EU-Kommission nach: Das Regionalprinzip der Sparkassen sowie die Kooperation im Sparkassenverbund - und ebenso die Verbundzusammenarbeit der Genossenschaftsbanken - könne den Eintritt neuer Marktteilnehmer verhindern und daher eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Die EU-Kommission kündigte deshalb an, die Einleitung eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens zu prüfen; gegenwärtig dauert diese Prüfung noch an. Kommt es tatsächlich zu einem solchen Verfahren, könnte dies schwerwiegende Folgen haben. Grundsätzlich besitzt die EU-Kommission in der Wettbewerbspolitik umfassende Befugnisse, zu denen der Erlass von Strafzahlungen oder das Nichtig-Erklären von wettbewerbsbeeinträchtigenden Absprachen gehören.

Der Verkauf der Berliner Sparkasse an den Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV)

Auch beim Verkauf der LBB/Berliner Sparkasse war die EU-Kommission ein zentraler Akteur:10 In den Jahren 2001 und 2002 hatte das Land Berlin Garantien für das Konglomerat landeseigener Banken übernommen, das durch riskante Immobiliengeschäfte ins Strudeln geraten war und zu dem auch die Berliner Sparkasse gehörte. Dies wurde von der EU-Kommission als Beihilfe betrachtet, die ihrer Zustimmung bedarf. Nach Verhandlungen zwischen er EU-Kommission, dem Land Berlin und dem Bund genehmigte die EUKommission im Jahr 2004 die Beihilfe rückwirkend. Ergebnis der Verhandlungen und Teil der Genehmigung war allerdings die Auflage, die LBB bis Ende 2007 „diskriminierungsfrei“ zu verkaufen; potentielle Käufer durften also nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden. Teil der LBB war und ist die Berliner Sparkasse. Zur Konkretisierung der Verkaufsauflage beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus daraufhin ein neues Berliner Sparkassengesetz. Darin wurde eine juristisch umstrittene Form der Umsetzung der Verkaufsauflage festgeschrieben: Das Gesetz erlaubte, dass sich die Sparkasse auch nach einem Verkauf an einen privaten gewinnorientierten Träger - beispielsweise eine private Großbank - „Berliner Sparkasse“ hätte nennen dürfen. Zugleich wäre der öffentliche Einfluss auf diese Bank minimal. Auch wären die Gewinne vollständig an den privaten Träger geflossen.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht wertete dieses Gesetz als Verstoß gegen das Kreditwesengesetz, nach dem eine Sparkasse öffentlichrechtlich sein muss, und forderte folglich eine Änderung des Berliner Sparkassengesetzes. Dieser Aufforderung kam das Land nicht nach. Stattdessen drängte Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Anfang 2006 die EU-Kommission, das damals ruhende Vertragsverletzungsverfahren wegen des Sparkassen- Bezeichnungsschutzes im Kreditwesengesetz weiter zu verfolgen. Sein Kalkül: Wenn private Käufer den Begriff „Berliner Sparkasse“ nutzen dürften, erhöhte sich der erzielbare Kaufpreis. Mit der juristisch umstrittenen Einigung zwischen EU-Kommission und Bundesregierung zum Sparkassen-Bezeichnungsschutz erhielt Sarrazin „Grünes Licht“ für die Umsetzung der gewagten Rechtskonstruktion des Berliner Sparkassengesetzes. Dessen Gemeinwohl-Vorgaben wurden unterdessen im Februar 2007 vom Berliner Abgeordnetenhaus ergänzt. Die Parlamentarier forderten den Senat auf, den Sparkassen-Käufer per Vertrag zum Angebot eines Girokontos für jedermann, zu einer langfristigen Arbeitsplatzgarantie für die Beschäftigten, zur Beibehaltung des Unternehmenssitzes in Berlin und zur flächendeckenden Filialpräsenz zu verpflichten. Zuvor hatte eine Gruppe von Initiativen angekündigt, solche und weiter gehende Gemeinwohl-Vorgaben per Volksbegehren im Berliner Sparkassengesetz verankern zu wollen. Die EU-Kommission reagierte auf den Parlamentsbeschluss mit der Behauptung, er verstoße gegen die „Diskriminierungsfreiheit“ - weil beispielsweise Käufer benachteiligt würden, die zur Realisierung von Effizienzgewinnen den Unternehmenssitz verlagern oder Beschäftigte entlassen wollen.

Vor diesem Hintergrund eröffnete der Berliner Senat die heiße Phase des Verkaufsprozesses. Drei Interessenten gaben Ende Mai verbindliche Gebote ab - die Commerzbank, die Landesbank Baden-Württemberg und der Sparkassen- Dachverband DSGV. Mitte Juni gab der Berliner Senat dem DSGV nach intensiven Verhandlungen den Zuschlag, der mit insgesamt über fünf Mrd. Euro das beste Gebot abgegeben hatte. Dadurch bleibt die LBB/Berliner Sparkasse innerhalb des Sparkassenverbundes und somit im Besitz der öffentlichen Hand. Eine materielle Privatisierung wurde verhindert - sofern die EU-Kommission nicht nachlegt: Laut Presseberichten prüft sie nach einer informellen Beschwerde des Interessenverbandes der Privatbanken die Einleitung eines Kartellverfahrens, weil es Absprachen zwischen dem DSGV und der Landesbank Baden-Württemberg gegeben haben soll.

Teilprivatisierung im Norden, Liberalisierungen in Hessen, NRW und Sachsen

Die institutionelle Verantwortlichkeit für die Privatisierungsentwicklung allein bei der EU-Kommission zu verorten, greift jedoch zu kurz. In den vergangenen Auseinandersetzungen mit Brüssel hat die jeweilige Bundesregierung zwar verbal die öffentlichen Institute verteidigt, faktisch aber halbherzig verhandelt und ist schließlich stets eingeknickt. Das wurde beim Streit um den Sparkassen-Bezeichnungsschutz deutlich, gilt aber auch für die Verhandlungen um die staatlichen Haftungsgarantien - die ließ die damalige rot-grüne Bundesregierung von Staatssekretär Caio Koch-Weser führen, der heute ein Gehalt von der Deutschen Bank bezieht. Und: Völlig unabhängig von EU-Verfahren wurden eine erste Landesbank teilprivatisiert und Landesgesetze geschaffen, die Sparkassen-Privatisierungen erleichtern - und die wiederum Vorlage für eine erneute EU-Intervention zur Schwächung des öffentlichen Bankensektors sein werden.

Im Sommer 2006 wurde mit der HSH Nordbank AG erstmalig eine Landesbank teilprivatisiert - mit möglichem „Pilotcharakter für andere Landesbanken“.11 Rechtlich war dies möglich, da die HSH Nordbank zuvor bereits in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war. Die WestLB, deren Besitzer das Land NRW und die NRW-Sparkassen sind, verkaufte ihren HSH-Nordbank-Anteil an eine Investorengruppe um den Finanzinvestor Flowers. Weder der Sparkassenverband in Schleswig-Holstein noch die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein haben von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Auch Sparkassen und Landesbanken scheinen also (Teil-) Privatisierungen im eigenen Lager nicht immer verhindern zu wollen oder zu können. Gleichzeitig deuten sich weitere Landesbank-Privatisierungen an: Die NRW-Landesregierung hat angekündigt, bis 2010 ihren Anteil an der WestLB AG verkaufen zu wollen. Sachsen wiederum plant, seine Landesbank von einer Anstalt öffentlichen Rechts in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln - denn: „Als AG sei die Sachsen LB beispielsweise interessanter für private Investoren, denen die Rechtsform Anstalt des öffentlichen Rechts fremd sei, hieß es in der sächsischen Landesregierung nahen Kreisen.“12

Liberalisierungstendenzen sind im Sparkassenbereich auch auf Länderebene festzustellen. In Hessen und Nordrhein-Westfalen sind Novellierungen der Landessparkassengesetze in der Diskussion. Im Kern soll die Bildung von Sparkassen-Stammkapital ermöglicht werden, was bislang ausschließlich in Rheinland-Pfalz möglich ist. Damit wird die Logik der bisherigen Organisationsform „Anstalt öffentlichen Rechts“ durchbrochen, die keine Eigentumstitel des Trägers vorsieht. Es werden Eigentumstitel geschaffen, die prinzipiell eine Handelbarkeit ermöglichen. „Die Bildung und Handelbarkeit von Stammkapital ist der erste Schritt zur Privatisierung von Sparkassen“, lautet daher das Fazit der Sparkassen-Personalräte in Hessen.13 Der Hessische Landtag hat Ende März mit den Stimmen von CDU und FDP eine entsprechende Novellierung des Landessparkassengesetzes beschlossen. Darin wird die Stammkapitalbildung ermöglicht, aber die Handelbarkeit im Wesentlichen auf Verkäufe innerhalb des öffentlichen Bankensektors beschränkt; Privatisierungen werden also (zunächst) nicht ermöglicht. Der nordrhein-westfälische Finanzminister, Helmut Linssen (CDU), hat Anfang Mai den Referentenentwurf für die Novellierung des dortigen Sparkassen-Gesetzes vorgelegt. Auch hier ist die Möglichkeit zur Bildung von Stammkapital - genannt Trägerkapital - vorgesehen, das jedoch nicht handelbar sein soll. In beiden Ländern protestierten Landessparkassenverbände, kommunale Spitzenverbände, Verdi sowie SPD, Grüne und Linkspartei bzw. WASG gegen die Gesetzesänderungen. Denn dass die vorgesehenen Beschränkungen der Handelbarkeit langfristig Bestand haben werden, ist fraglich: Eine Klage gegen diese Beschränkung unter Bezugnahme auf die EU-Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit scheint durchaus erfolgversprechend. Der zuständige EU-Binnenmarktkommissar betonte auf Vorabanfragen nach der Konformität des hessischen Gesetzentwurfes mit dem EU-Recht, dass er keine diesbezügliche Zusicherung geben könne. Auch in NRW befürchten viele Sparkassen, dass Finanzminister Linssen gezielt eine Bresche schlagen wolle und die EU dabei helfen solle, berichtete der WDR.14 Faktisch also werden der EU Vorlagen geliefert, die sie zum weiteren Aufbrechen des öffentlichen Bankensektors nutzen wird - unter Verweis auf ihre scheinbar neutrale Rolle als Hüterin der Marktfreiheit und auf die Sachzwänge der europäischen Verträge. Es droht indirekt eine Privatisierung, die den Landesregierungen auf direktem Wege nicht durchsetzbar erschien.

Die aktuellen Liberalisierungsvorhaben zeigen, dass politische Antworten darauf oft einfach zu skizzieren und gleichzeitig schwer umzusetzen sind: Die Novellierungen der Landes-Sparkassengesetze und die Teilprivatisierungen von Landesbanken erfordern ein breites Oppositionsbündnis, das die betreffenden Landespolitiker so unter Druck setzt, dass diese von den Vorhaben absehen. Es gibt keinen Sachzwang und gerade im Sparkassenbereich erst recht keine guten Gründe, die diese Liberalisierungsvorhaben sinnvoll und vermittelbar erscheinen lassen. Und sie werden gerade im Sparkassenbereich von Kommunen, Sparkassen und etlichen Kommunalpolitikern über alle Parteigrenzen hinweg abgelehnt.

Schwieriger sind die Antworten dagegen in den Auseinandersetzungen mit der EU-Kommission, konkret beim möglicherweise bevorstehenden wettbewerbsrechtlichen Verfahren gegen Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Dies ist nur oberflächlich eine juristische Angelegenheit mit klar geregelten Kompetenzen und Konsequenzen - auch wenn immer auf Artikel 295 des EGVertrages zu verweisen ist, nach dem die Eigentumsordnung Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist. Entscheidend ist aber der politische Durchsetzungswille der Mitgliedstaaten. Dies zeigt eine andere aktuelle Auseinandersetzung: Die EU-Wettbewerbskommissarin sah auch bei den bundesdeutschen Energiekonzernen wettbewerbsrechtliche Verstöße und forderte eine Zerschlagung der Konzerne in Netz- und Leistungsanbieter - nach Wochen intensiver Verhandlungen zwischen hoch motivierter Bundesregierung und EUKommission war diese Forderung vom Tisch.

So wichtig es ist, den öffentlichen Bankensektor zu verteidigen, insbesondere um Anbieter auf den Kreditmärkten zu erhalten, die sich teilweise von den betriebswirtschaftlich verengten Rendite-Vorgaben der Finanzmärkte abkoppeln können, darf darüber die Forderung nach einer Weiterentwicklung nicht vergessen werden. Hierzu gehört zunächst, die faktischen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten für die demokratisch bestimmten Vertreter in den Verwaltungsräten zu vergrößern. Besonders für den Landesbanken-Bereich gilt: Nur wenn öffentliche Banken eine effiziente Kreditpolitik betreiben, die gleichzeitig Gemeinwohlkriterien mitberücksichtigt, können sie Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, sich für öffentliche Kreditinstitute starkzumachen.

Sparkassen und Landesbanken: Strukturen und Aufgaben
Sparkassen sind als Anstalten öffentlichen Rechts organisiert und werden von Landkreisen bzw. kreisfreien Städten getragen. Ihr Geschäftsgebiet - und damit auch der Kreis potentieller Kreditnehmer - ist entsprechend räumlich begrenzt („Regionalprinzip“). Wichtigstes Entscheidungsgremium ist der Verwaltungsrat, dessen Mitglieder vom zuständigen Kommunalparlament sowie von den Beschäftigten bestimmt werden. Ziel der Geschäftstätigkeit ist nicht die Gewinnerwirtschaftung, sondern ein Gemeinwohlauftrag, der in den Landessparkassengesetzen festgeschrieben ist. Er konkretisiert sich beispielsweise darin, dass Sparkassen vornehmlich den Kreditbedarf mittelständischer Unternehmen befriedigen und in zehn Bundesländern ein Guthaben-Girokonto für jede Bürgerin und jeden Bürger anbieten müssen. Anfallende Gewinne dienen vor allem der Rücklagenbildung, da den Sparkassen von ihren Trägern kein Eigenkapital zur Verfügung gestellt wird. Der Rest wird für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung gestellt, entweder von den Sparkassen direkt oder indirekt über eine vorherige Ausschüttung an den Träger. Landesbanken sind ebenfalls als öffentlich-rechtliche Anstalten organisiert oder - wie die nordrhein-westfälische WestLB, die schleswig-holsteinische und hamburgische HSH Nordbank oder die LBB - als Aktiengesellschaften. Träger bzw. Anteilseigner sind üblicherweise ein oder mehrere Bundesländer, die Landes-Sparkassenorganisationen und andere Landesbanken. Idealtypisch übernehmen Landesbanken Aufgaben, die einzelne Sparkassen nicht leisten können - beispielsweise die Begleitung größerer Unternehmenskunden bei ihren Auslandsgeschäften - und fungieren als Sparkassenzentralbanken. Sie agieren aber auch als internationale Geschäftsbanken und betreiben zunehmend das Anlagegeschäft mit wohlhabenden Privatkundinnen und -kunden.

Gesetzliche Privatisierungshürden für Sparkassen
Eine Kommune kann derzeit - selbst wenn sie es wollte - nicht einfach eine Sparkasse privatisieren. Gesetzliche Hürden für eine Privatisierung existieren im Regelfall auf Landes- und Bundesebene: Die meisten Sparkassengesetze der Länder legen fest, dass Sparkassen Anstalten öffentlichen Rechts sind und von einem Kreis bzw. einer Stadt getragen werden. Eine Anstalt öffentlichen Rechts kann nicht an ein privatwirtschaftliches Unternehmen verkauft werden; dazu wäre als Zwischenschritt die Umwandlung beispielsweise in eine Aktiengesellschaft oder die Einführung von verkaufbarem Stammkapital nötig. Vor dem Hintergrund landesgesetzlicher Regelungen verhinderte 2004 die rot-rote Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns die Privatisierung der Stralsunder Sparkasse, die von der Kommunalpolitik beabsichtigt war. Das Kreditwesengesetz des Bundes - das infolge des EU-Vertragsverletzungsverfahrens im letzten Jahr allerdings aufgeweicht wurde - regelt, dass sich nur öffentlich-rechtliche Kreditinstitute „Sparkasse“ nennen dürfen. Selbst wenn ein Landessparkassengesetz also Privatisierungen zulassen würde, müsste sich eine privatisierte Sparkasse im Prinzip aufgrund von Bundesrecht umbenennen.

1) Jürgen B. Donges u.a., Privatisierung von Landesbanken und Sparkassen, Schriftenreihe des Frankfurter Instituts - Stiftung Marktwirtschaft und Politik 38, Bad Homburg 2001, S. 7.
2) Stets aktualisierte Informationen zu Entwicklungen im Sparkassen- und Landesbanken-Bereich finden sich unter www.axeltroost.de/topic/100.sparkasse.html.
3) Susanne Prantl, Matthias Almus, Jürgen Engeln und Dirk Engel, Bankintermediation bei der Kreditvergabe an junge oder kleine Unternehmen, ESY-Discussion paper 178, Mannheim 2006.
4) Vgl. „Handelsblatt“, 29.5.2006.
5) „Handelsblatt“, 31.5.2007.
6) Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2004/2005, Wiesbaden 2004, S. 294.
7) www.finanztreff.de/ftreff/news.htm?id=26621764&sektion=topthemen&dt=rdf.
8) Jürgen B. Donges u.a., a.a.O., S. 4.
9) Freilich ohne dass zu diesem Zugeständnis eine juristische Notwendigkeit bestand, vgl. Bundestagsdrucksache 16/2165, S. 12, und Bernhard Nagel, Die Veräußerung der Berliner Sparkasse und die Vereinbarkeitvon § 40 KWG mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Gutachten für die Hans Böckler Stiftung, Druckfassung, 3.11.2006.
10) Zu den Hintergründen des Verkaufsverfahrens vgl. Klaus Lederer, Der „Fall“ Sparkasse Berlin, in: „rls-Standpunkte“, 3/2007, sowie Benedict Ugarte Chacón, Der Verkauf der Berliner Sparkasse - Kritik und Alternativen. Studie im Auftrag der Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht, Berlin 2006.
11) „Financial Times Deutschland“ (FTD), 31.8.2006.
12) „FTD“, 3.1.2007.
13) Eine zusätzliche unmittelbare Folge der Einführung von Stammkapital ist, dass die Kommunen einen klarer definierten Renditeanspruch gegenüber der Sparkasse hätten, deren Träger sie sind. Problematisch wäre dies dann, wenn Sparkassen durch unangemessen hohe Ausschüttungen langfristig geschwächt werden. Auf das komplexe Verhältnis, die verschiedenen Interessenlagen und die unterschiedlich begründete demokratische Legitimation von Sparkasse, Verwaltungsrat, Kommunalverwaltung und Kommunalparlament bezüglich Entscheidungen zur Sparkassen-Gewinnverwendung kann hier nicht eingegangen werden.
14) Vgl. www.wdr.de/themen/politik/nrw03/sparkassen/070508.jhtml.

Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 7/07