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Der Abzug aus Afghanistan steht dringend an

Interview der Woche von Stefan Liebich,

Laut Medienberichten wurde Osama bin Laden in der vergangenen Woche von US-Sondereinheiten in seinem Haus in Pakistan erschossen. Die Nachricht löste weltweit heftige Reaktionen aus – Jubelchöre ebenso wie Wutausbrüche und Hasstiraden. Eine zentral debattierte Frage ist die nach der Legitimität des Vorgehens. Ist es mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar? Stellt es nicht die Grundwerte demokratisch verfasster Staaten infrage? Mit bin Ladens Tod ändern sich aber auch die Grundlagen des sogenannten »Kriegs gegen den Terrorismus«. Müssen wir nicht jetzt erst recht so schnell wie möglich aus Afghanistan abziehen? Dazu äußert sich Stefan Liebich, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Interview der Woche.

  Die Nachricht, Osama bin Laden sei von amerikanischen Elitesoldaten in Pakistan erschossen worden, ist in der vergangenen Woche - wenn man das in diesem Zusammenhang so sagen darf - eingeschlagen wie eine Bombe. Es gab daraufhin Jubelchöre, die Zustimmung, aber auch Befremden und Entsetzen ausgelöst haben, und eine Menge Fragen. Zuvorderst die Frage danach, ob ein solches Vorgehen überhaupt eine rechtsstaatliche, völkerrechtliche Grundlage hat. Hat es das?   Die Terrorangriffe vom 11. September 2001 sind durch nichts zu rechtfertigen. Die dafür Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die USA sind jedoch eine rechtsstaatlich verfasste Demokratie, deren Prinzipen auch bei Terrorismus gelten - oder besser gesagt gelten sollten. Der "War on Terror" unter George W. Bush war die falsche Antwort auf die Anschläge von New York und Washington. Barack Obama korrigierte zunächst einige Entscheidungen Bushs, die Militärgerichtsverfahren sollte es nicht mehr geben und das Militärgefängnis Guantanamo geschlossen werden. Beides hat er inzwischen wieder zurückgenommen. Durch das Kommandounternehmen gegen bin Laden wurde wieder einmal rechtsförmiges Handeln durch Gewalt ersetzt. Nach den bisher bekannten Informationen kann ich keine akzeptable rechtliche Grundlage erkennen. Ein Gerichtsverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof wäre rechtlich sauber gewesen. Doch nicht einmal vor ein ordentliches US-Gericht - die USA erkennen den Internationalen Strafgerichtshof leider nicht an - wurde bin Laden gestellt.    Viele Menschen fragen sich natürlich auch, ob die pakistanische Regierung oder andere offizielle Stellen im Land wirklich über so viele Jahre nichts davon gewusst haben, dass sich bin Laden noch dazu an so prominenter Stelle in Pakistan aufhält. Welche Rolle spielt Pakistan dabei?   Das ist schwer zu beantworten, da wir uns da im Spekulativen bewegen. Klar ist, dass in Pakistan Militär und Geheimdienst das Sagen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand von denen über bin Ladens Anwesenheit im Bilde war.    Die USA behaupten, dass mit dem Tod bin Ladens nun die Jagd auf die Drahtzieher der Anschläge von vor zehn Jahren beendet sei. Glauben Sie auch, dass der »Krieg gegen den Terrorismus« jetzt wirklich seinem Ende entgegen geht?   Ich fürchte, dass es da keinen wirklichen Zusammenhang gibt. Al-Kaida ist vermutlich ein Netzwerk und keine hierarchische Organisation mit einer zentralen Führung in einer Kommandozentrale. Der Terrorismus muss aus meiner Sicht einerseits mit polizeilichen Mitteln und durch Strafverfolgung bekämpft werden. Man muss aber auch an die Wurzeln gehen, die den Nährboden für Unterstützung von Terrorismus bereiten, also Armut und Ungerechtigkeit. Terrorismus selbst wird jedoch von unserer Partei klipp und klar verurteilt, denn an der Tötung tausender unschuldiger Menschen gibt es nichts zu rechtfertigen und nichts zu relativieren. Ein Krieg als Antwort auf die schrecklichen Terroranschläge, wie sie George W. Bush gegeben hat, ist jedoch falsch, ist weder zu gewinnen noch sinnvoll.   In diesem Zusammenhang steht natürlich auch die Frage nach der Rechtfertigung des Krieges in Afghanistan. Der sollte ursprünglich doch dazu diesen, die Größen des Netzwerks Al-Kaida zu jagen und dem sogenannten islamistischen Terrorismus Basis und Rückzugsgebiet zu entziehen. Hat sich das mit bin Ladens Tod erfüllt? Sollte die NATO also jetzt aus Afghanistan abziehen?   Das ist für DIE LINKE eine klare Sache. Wir haben den "War on Terror" abgelehnt, weil man so den Kampf gegen Terrorismus nicht gewinnen kann. Im Gegenteil, Unsicherheit und Spannungen erhöhen sich. Wir waren und sind deshalb auch gegen Militäreinsätze zur Terroristenjagd und vor allem gegen den Krieg in Afghanistan. Die Zielstellungen des Kriegs haben sich über die Jahre gewandelt, das stellt die Befürworter des Krieges vor schwere argumentative Konflikte. Wir LINKEN haben allerdings nicht nur diese Art Terrorbekämpfungsversuch als untauglich angesehen und auf ihre Eskalationsgefahren hingewiesen, sondern wir haben eine generell ablehnende Haltung zur Vorstellung, das Kriegseinsätze der NATO - jenseits ihres eigentlichen Auftrages zur Territorialverteidigung - im Ausland Frieden bringen würden. Also in mehrfacher Hinsicht, ja, der Abzug aus Afghanistan steht dringend an.   Bundeskanzlerin Merkel hat sich sehr offen über bin Ladens Tod gefreut. Das hat viele Menschen sehr irritiert. Werden die Tötung bin Ladens und die Haltung der Bundesregierung parlamentarisch in Deutschland eine Rolle spielen?   Wir Politiker stehen in einer besonderen Verantwortung und sollten sensibler unsere Wortwahl bedenken. Es darf nicht normal werden, dass wir eine Tötungsaktion triumphierend kommentieren. Man muss nicht um bin Laden trauern. Er war Terrorist und für den Tod tausender Menschen verantwortlich - auch wenn man dies jetzt kaum noch rechtssicher wird feststellen können. Auch für zwei Drittel der Menschen in Deutschland ist der Tod bin Ladens kein Grund zur Freude, so der aktuelle ARD-Deutschlandtrend. Zum Respekt vor der Würde des Menschen gehört es, Freude oder Siegestaumel im Zusammenhang mit einer Tötung - ganz unabhängig von rechtlichen Bewertungen - zu unterlassen. Menschlich nachvollziehen könnte ich das bei Angehörigen von Terroropfern natürlich, nicht jedoch bei der Regierungschefin unseres Landes. Dies werden wir in den Debatten in den Gremien des Bundestages auch so sagen.   linksfraktion.de, 09.05.2011