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Denk-Tag

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,

Sechs Soldaten der US-Armee und Sechs Rotarmisten umarmen sich am 27. April 1945 in Torgau. Foto: Bundesarchiv

 

Von Gesine Lötzsch

Richard Weizsäckers Rede zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus wurde von vielen Politikerinnen und Politikern anlässlich seines Todes noch einmal als herausragend bewertet. Das sehe ich auch so. Doch was folgte daraus? Wir haben immer wieder im Bundestag gefordert, den 8. Mai – den Tag der Befreiung - zum gesetzlichen Gedenktag zu erheben. Unsere Anträge wurden immer mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt, egal welche Parteien-Konstellation gerade regierte. Das zeigt, dass die politische Elite unseres Landes Weizsäckers Erbe ausgeschlagen hat.

Wir befinden uns wieder im Kalten Krieg. Die Dramatik ist nicht zu unterschätzen. Die gegenwärtige ideologische und militärische Aufrüstung hätten viele Menschen 1989 nicht für möglich gehalten. Damals wurde euphorisch über eine Friedens-Dividende diskutiert. Jetzt geht es wieder um die Dividenden von Rüstungskonzernen. Alte Feindbilder werden aufgewärmt. Die Kanzlerin versucht zwar den Eindruck zu erwecken, einen Kalten Krieg noch abwenden zu wollen, doch das täuscht. Dass die Kanzlerin die Einladung zum Tag des Sieges nach Moskau ausgeschlagen hat, ist eine Beleidigung der Menschen, die für die Befreiung unseres Landes auf grausame Weise ihr Leben gelassen haben. So darf man nicht mit einem Volk umgehen, dass die Hauptlast des Zweiten Weltkrieges getragen hat.

Wir haben in diesem Jahr wieder den Antrag gestellt, den 8. Mai zum gesetzlichen Gedenktag zu erklären. Auch wenn unser Antrag wieder durch CDU/CSU und SPD  abgelehnt werden sollte, werden wir diesen Tag feierlich begehen. Zum 7. Mai haben wir in den Deutschen Bundestag zu einer Gedenkveranstaltung zum Tag der Befreiung eingeladen. Über 700 Menschen haben sich angemeldet. Das ist ein starkes Signal an die Bundesregierung, ihre Haltung zu ändern. Doch nicht nur unsere Gäste haben ein Bedürfnis, über den Tag der Befreiung nachzudenken. Die große Mehrheit der Deutschen ist einer Umfrage zufolge der Meinung, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war. 89 Prozent stimmen dieser Aussage zu, wie eine veröffentlichte Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Körber-Stiftung ergab. Neun Prozent werten das Kriegsende demnach als Niederlage. Auch die Bereitschaft, über Kriegserlebnisse zu sprechen, ist der aktuellen Umfrage zufolge gestiegen. Demnach sind die leidvollen Erfahrungen aus Krieg und Nachkriegszeit für fast drei Viertel (73 Prozent) der Bevölkerung kein Tabuthema mehr. Knapp ein Drittel (27 Prozent) der Befragten hat laut Umfrage noch nie in der eigenen Familie über persönliches Leid gesprochen.

Diese Zahlen bestärken uns in der Forderung nach einem gesetzlichen Gedenktag. Wir wollen, dass sich die Menschen mindestens an einem Tag im Jahr die Zeit nehmen, um über die Ursachen des Zweiten Weltkrieges zu diskutieren und der über 50 Millionen Opfer zu gedenken. Dabei wollen wir immer wieder diese Kriegserfahrungen in die Diskussion einbringen, wenn es um die Lösung von internationalen Konflikten geht. Die Geschichte hat gezeigt, dass man mit Krieg keine Probleme lösen kann. Gerade Deutschland muss sich verpflichten, Vorreiter bei der Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln zu sein.

Auch wenn die Bundesregierung keine eigene Veranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung durchführt - was ich beschämend finde -, freue ich mich, dass es so viele Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern gibt, die der Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus gedenken.