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Den Irrsinn in Syrien beenden

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,



Von Wolfgang Gehrcke, Leiter des Arbeitskreises Außenpolitik und Internationale Beziehungen und stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Seit  fast fünf Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien. Was mit dem berechtigten Kampf um Demokratie und soziale Gerechtigkeit begonnen hatte, verwandelte sich rasch mit ausländischer Einflussnahme in einen regionalen Stellvertreterkrieg, für den die Menschen in Syrien unermesslichem Leid ausgesetzt sind.  Die aktuellen Schätzungen belaufen sich auf weit mehr als 250.000 Tote. 12,2 Millionen Syrerinnen und Syrer sind auf der Flucht. Sie fliehen vor dem Krieg und islamistischem Terror. Alle syrischen Flüchtlinge, ob in den Anrainerstaaten oder in Syrien selbst, leben unter erbärmlichen Umständen. Nun droht den Flüchtlingen aufgrund der Unterfinanzierung des UNHCR durch das Ausbleiben versprochener Finanzmittel aus den Geberländern eine Halbierung ihrer Essensration.  Das Gesundheits- und Bildungswesen ist in Syrien fast vollständig zusammengebrochen. Der UN-Sonderbeauftrage für Syrien, Staffan de Mistura, nennt den Bürgerkrieg in Syrien die größte Menschheitskatastrophe seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Enorme Gefahren

Die Fortsetzung des Bürgerkrieges in Syrien birgt auch enorme Gefahren für die internationale Stabilität. Die Informationen über ein stärkeres russisches Engagement veranlassten die US-Regierung, eine scharfe Erklärung abzugeben, die vor einer möglichen militärischen Konfrontation mit der westlichen Anti-ISIS Koalition warnt, sollte es zu einem russischen Eingreifen kommen. Russland ist der Überzeugung, dass unter den gegenwärtigen Umständen ein Sturz Assads nicht Demokratie, sondern den Islamismus entweder in seiner Hardcore-Variante des IS oder in der saudisch-türkisch-katarischen Variante an die Macht brächte. Russland sowie der Iran können zur Lösung der syrischen Krise beitragen.

Die einzige Lösung für Syrien sind Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition. Verhandlungen werden nur stattfinden, wenn der Westen sie auch will. Bisher wollte der Westen sie nicht ernsthaft und auch Deutschland, wenn auch nicht Scharfmacher unter den Nationen, schwenkte auf die Linie ein, man müsse durch den anhaltenden Bürgerkrieg Assad zerreiben, mürbe machen und ihn dadurch zur Kapitulation bewegen. Neben der Aufrüstung sogenannter gemäßigter „Rebellen“ – was ein Hohn ist, weil ja auch die sogenannte „Freie Syrische Armee“ von islamistischen Kräften bestimmt ist – lässt man trotz des gegen IS erklärten Krieges diesen gewähren, solange die Angriffe sich gegen Assad richten.

Trotz dieser unfassbaren Situation gibt es seit Anfang dieses Jahres wieder hoffnungsvolle Zeichen, dass dieser Irrsinn beendet werden kann. Dazu gehört die UN-Initiative, die den Plan des Syrien-Sonderbeauftragten Staffan die Mistura angenommen hat. Dieser Plan sieht vor, am Ende eines Prozesses diverser Beratungen in vier Arbeitsgruppen zwischen Regierung und Opposition eine neue Konferenz im Format von Genf „Genf III“ einzuberufen. Daher sollte die deutsche Außenpolitik den Vorschlag des UN-Sonderbeauftragten für Syrien ebenso aufgreifen, der dazu aufrief, eine regionale Konferenz einzuberufen nach dem Vorbild der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Gleichzeitig rief er den Iran und Saudi-Arabien zu direkten Gesprächen miteinander auf.

Jede Chance muss genutzt werden

Jede Chance für eine Beendigung des Bürgerkrieges muss genutzt werden und die deutsche Bundesregierung muss aktiv zur Beilegung des Konfliktes beitragen. Um dieser Rolle gerecht zu werden,  muss sie vor allem die Parteilichkeit aufgeben, die die gescheiterte deutsche Syrien-Politik bisher kennzeichnet und muss Kontakte in alle Richtungen und mit allen politischen Kräften Syriens aufnehmen. Deutschland muss die einseitige Unterstützung der Nationalen Koalition, einer vorwiegend von den Moslembrüdern und von der Türkei und Katar beherrschten Gruppierung aufgeben und sollte zu allen friedlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen Syriens Beziehungen entwickeln; gleichwohl müssen die diplomatischen Kanäle zur syrischen Regierung wiederhergestellt werden. Einen weiteren Lichtschimmer am Horizont stellen auch die Einigungsbemühungen der gewaltfreien syrischen Opposition dar. Am 8. und 9. Juni dieses Jahres fand in Kairo unter Anwesenheit des ägyptischen Außenministers Sameh Shukri und des Vorsitzenden der Arabischen Liga, Nabil al Arabi, eine Konferenz der zivilgesellschaftlichen demokratischen Opposition statt.  Mit weit über 200 Vertretern aus dem demokratischen und zivilgesellschaftlichen Spektrum Syriens war dies, nach Einschätzung der ägyptischen Tageszeitung „al Ahram“ die wichtigste Konferenz der syrischen Opposition. Auch die syrischen Kurden nahmen mit einer umfangreichen Delegation an der Kairoer Konferenz vom 8. und 9. Juni  teil. Insbesondere das Spektrum der Democratic Union Party (PYD) und der Volksverteidigungskräfte sowie die zehn Parteien, die die „Nationalen Union der Kräfte für den demokratischen Wandel“ bilden, entsandten Vertreter und Vertreterinnen. Die Tagung führte zur Gründung einer neuen oppositionellen Sammlungsbewegung, die sich als demokratische und patriotische Opposition definiert. An ihrer Spitze stehen der arabische Bürgerrechtler Haytham Manna und der frühere Vorsitzende der Nationalen Koalition Ahmad Jabar, der diese wegen der Dominanz der Moslembrüder sowie der Einflussnahme aus der Türkei und Katar verließ. Das Credo dieser neuen Opposition ist „Syrien darf nicht zu einer Bananenrepublik und zum Spielball ausländischer Interessen werden“.

Im fünften Jahr des Bürgerkrieges ist die Gesellschaft Syriens politisch tief gespalten. Ohne Verhandlungen mit der syrischen Regierung wird es keine politische Lösung des syrischen Dramas geben. Diese Erkenntnis findet mittlerweile auch Eingang in die Debatte europäischer Regierungen. Sowohl die Regierungen Spaniens und Österreichs fordern eine Einbindung Assads zur Beendigung des syrischen Bürgerkrieges und im Kampf gegen den IS-Terror. Frankreichs Außenminister Fabius sagte gegenüber RTL-Radio am gleichen Tage: „Frankreich ist der Überzeugung, dass der Sturz Assads keine Lösung bringen wird“. Wenn also diese Erkenntnis erreicht ist, muss man doch alles tun, andere Lösungen zur Erringung des Friedens zu finden!

linksfraktion.de, 11. September 2015