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»Den Betroffenen ist hoher Schaden entstanden«

Interview der Woche von Diana Golze,

Diana Golze, Mitglied des Vorstandes und Leiterin des Arbeitskreises Arbeit und soziale Sicherung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, hofft, dass Abgeordnete von SPD und Grünen der Aufforderung folgen, gemeinsam ein Normenkontrollverfahren einzuleiten.

Jetzt haben sich die Koalitionsparteien doch noch mit der SPD auf einen Kompromiss in Sachen Hartz IV geeinigt. Wird, was lange währt, endlich gut?

Diana Golze: Man kann wohl nur von einem faulen Kompromiss reden. Bei der Regelsatzhöhe gleichen fünf Euro zusätzlich nicht einmal den Kaufkraftverlust aus. Und in allen anderen Bereichen muss man erst sehen, wie viel von den Protokollerklärungen nach der Behandlung im Kabinett überhaupt noch übrig bleibt. Wirklich Verbindliches ist ja leider zum Beispiel im Bereich Mindestlohn nicht beschlossen worden. Verloren haben aber vor allem die Kinder. Denn beim Bildungs- und Teilhabepaket wurde nur an den Zuständigkeiten, nicht aber in der Sache etwas verändert.

Die Erhöhung des Regelsatzes gilt rückwirkend. Den Betroffenen ist dann doch eigentlich kein Schaden entstanden, oder?

Wenn man es genau nimmt, hat weder für die Erwachsenen noch für die Kinder eine wirkliche Erhöhung der Regelsätze zur Diskussion gestanden. Nein. Die Neuberechnung der Regelsätze enthält Betroffenen das vor, was ihnen grundgesetzlich zusteht: eine menschwürdige, Existenz sichernde Grundsicherung. Ich finde sehr wohl, dass man hier davon sprechen kann, dass den Betroffenen hoher Schaden entstanden ist. Sie wurden und werden um ihnen zustehendes Geld betrogen und in unwürdiger Weise zu Verhandlungsmasse gemacht.
 
DIE LINKE betont, dass Kinder die Leidtragenden aller Aspekte von Hartz IV sind. Können Sie das genauer beschreiben?

Wir betrachten besonders bei den Regelsätzen für die Kinder die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 9. Februar 2010 als nicht umgesetzt. Hier wurde klar und deutlich formuliert, dass die Regelsätze sowohl das physische als auch das soziokulturelle Existenzminimum sichern und sich vor allem an den realen Bedarfen von Kindern ausrichten sollen. In der Höhe des Regelsatzes hat sich die Bundesregierung nicht einen Millimeter bewegt. Und von dem konnte man schon 2009 kein Kind gesund ernähren, kleiden oder seinem Alter entsprechend fördern und wird es 2011 erst recht nicht können.
 
Aber es gibt doch jetzt das Bildungspaket. Davon haben die Kinder etwas ganz Konkretes, ein warmes Mittagessen zum Beispiel.

Genau bei der Frage des Mittagessens wird klar, dass es die Kinder sind, die von der Verschleppungstaktik der verhandelnden Parteien besonders hart betroffen sind. Das warme Mittagessen an Schulen und Kitas, eine Zahlung, die ohnehin eine Mogelpackung ist, weil es nur an einem Drittel der Einrichtungen eine Essenversorgung für die Kinder gibt und zudem nur ein Zuschuss von zwei Euro ist, kann nun mal schlecht rückwirkend für die letzten zwei Monate ausgezahlt werden.

Es hieß, man wolle über dieses Paket, das über ein Gutscheinsystem funktionieren soll, sicherstellen, dass das Geld für Bildung und Teilhabe auch bei den Kindern ankommt.
 
Von diesem Ziel ist man auch nach wochenlangen Verhandlungen meilenweit entfernt. Leistungen in Höhe von 626 Millionen Euro stehen allein 136 Millionen Euro Verwaltungskosten bei den Kommunen entgegen. Stattdessen ist und bleibt die angestrebte Gutscheinlösung stigmatisierend und begünstigt lediglich die Privatisierung der Leistungserbringung. Diese Leistungen gehören für jedes Kind und in ausreichender Höhe in den Regelsatz.

Was wird DIE LINKE jetzt tun? Verfassungsklage in Karlsruhe einreichen?

Wir haben uns mit der Aufforderung, gemeinsam ein Normenkontrollverfahren einzuleiten, an die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gewandt. Wir hoffen, dass es in diesen Fraktionen genügend Abgeordnete gibt, die es einer oder einem Betroffenen ersparen wollen, den Gang durch die gerichtlichen Instanzen machen zu müssen. Denn für dieses Verfahren brauchen wir die Unterschriften von 25 Prozent der Mitglieder des Bundestages. Ich kann nur hoffen, dass die Kolleginnen und Kollegen diesen Schritt mit uns gehen.

linksfraktion.de, 1. März 2011