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Demokratie jetzt!

Interview der Woche von Lothar Bisky,

Lothar Bisky ist Mitglied des Europaausschusses des Bundestages und führt seit November 2007 die Europäische Linke.

Nachdem das Europaparlament den Vertrag von Lissabon bereits im Februar befürwortet hat, befasst sich in dieser Woche nun der Bundestag mit dem Nachfolger der gescheiterten EU-Verfassung. Indem die Parlamente der einzelnen Mitgliedstaaten den Vertrag ratifizieren, soll er nun recht rasch in Kraft gesetzt werden.

Es ist ein Skandal, wie sich die herrschende politische Klasse in Europa über den Willen der Bürgerinnen und Bürger hinwegsetzt. Nachdem das Nein der Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden die EU-Verfassung zu Fall gebracht hat, wird eine leicht veränderte Neufassung an der Bevölkerung vorbei durch die Parlamente gebracht. So etwas fördert Politikverdrossenheit und die Entfremdung der Menschen von der Idee der Europäischen Union. Die Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag und die Europäische Linke fordern Volksabstimmungen in allen Mitgliedsländern der Union, möglichst am selben Tag.

DIE LINKE will das Grundgesetz ändern und sammelt Unterschriften für einen Volksentscheid über den Vertrag von Lissabon. Wüssten die Bürgerinnen und Bürger überhaupt, worüber sie in einem solchen Referendum abstimmen und mit welchen Auswirkungen?

Das genau ist einer der zentralen Beweggründe für unsere Forderung nach einem Referendum: Die demokratische Mitsprache der in unserem Land lebenden Menschen über ein ihren Lebensalltag zunehmend beeinflussenden politischen Gesetzgebungsakt zu ermöglichen. Und damit vor allem die Politik zu zwingen, die Bürgerinnen und Bürger über die Inhalte des neuen EU Vertrages aufzuklären; zu erläutern, was hinter einzelnen Vertragsbestimmungen steckt, was die Ziele und Werte des Vertrages von Lissabon sind, um so die Menschen in einen offenen Meinungsbildungsprozess über die weitere europäische Einigung mitzunehmen. Dann kann jede und jeder einzelne entscheiden, ob diese Richtung der EU-Entwicklung durch sie oder durch ihn mitgetragen werden kann. „Demokratie jetzt!“, könnte man rufen.

Würde das absehbare Nein einer Volksabstimmung zum jetzt vorliegenden Vertrag die EU nicht in eine Krise stürzen, die sie über Jahre handlungsunfähig machen würde?

Die Frage, in welche Krise stürzte ein Nein die EU, ist rhetorischer Natur: Die EU ist doch seit langem in einer Krise - weil sie sich eben nicht auf die Unterstützung aus der Bevölkerung stützt, sondern als Projekt der Mächtigen in Politik und Wirtschaft und vor allem des Finanzkapitals daherkommt. Es müsste das geschehen, was schon nach der Ablehnung der Verfassung hätte geschehen müssen: Es müsste ein Vertrag erarbeitet werden, der die positiven Elemente des Lissaboner Vertrags bewahrt, die von uns kritisierten neoliberalen und militaristischen Elemente verwirft und darüber hinaus noch mehr demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger und der Parlamente - des Europäischen wie der nationalen Parlamente an der Entscheidungsfindung in der Union festschreibt. Ein solcher Vertrag würde schnell die Zustimmung der Menschen finden. Und das wäre dann ein Mehr an Europa- auch im Vergleich zum bisherigen Nizza-EU-Vertrag und dem gescheiterten EU-Verfassungsvertrag.

Die gesamte Geschichte der Europäischen Union ist ein immer wiederkehrendes Ringen um Kompromisse. Bei welchen ihrer Forderungen kann DIE LINKE Zugeständnisse machen, und wo sind eindeutig Grenzen erreicht?

Kompromisse müssen immer in die Richtung eines sozialen, solidarischen, friedlichen und ökologisch-nachhaltigen Einigungsprozesses weisen. Die Grenzen sind für mich eindeutig da erreicht, wo die ursprünglichen Ziele des Einigungswerkes - einen verlässlichen Beitrag für dauerhaften Frieden auf dem Europäischen Kontinent und darüber hinaus Europas für den Frieden in der Welt zu leisten, durch eine wachsende militärische Ausrichtung des Integrationsraumes die EU in ihr Gegenteil verkehrt werden. Die Grenze ist zum Beispiel auch erreicht, wenn die Abschottung der EU-Außengrenzen und die Abschiebung von Menschen, die menschenunwürdigen Lebensverhältnissen entkommen wollen, weiter zum traurigen Alltag gehören und die EU in eine Festung verwandelt wird. Der solidarische Grundgedanke der europäischen Einigung wird so zur Farce. Die gekenterten Boote auf dem Mittelmeer und die an die Küsten Südeuropas gespülten Leichen sprechen eine bittere Sprache.

Sie betonen immer wieder, dass DIE LINKE proeuropäisch ist.

Das ist sie auch! Wir setzen uns für eine friedliche, demokratische und sozial gerechte Europäische Union ein, nicht für ein Europa der Konzerne. Und wir sagen auch: Europa endet nicht an den Grenzen der Europäischen Union. Auch die Europäische Linke will ja mehr Europa - aber eben nicht nur und vor allem nicht im Interesse einiger weniger, sondern im konstruktiven Mitgestalten eines Europas „zum Wohl aller seiner Bewohner, auch der schwächsten und der Ärmsten, ... offen für Kultur, Wissen und sozialen Fortschritt, das hinwirkt auf Frieden, Demokratie und Solidarität in der Welt“.

Wo sehen Sie die Europäische Union in 10 Jahren?

Ich wünsche mir, dass die Europäische Union dann ein gemeinsames Haus für die Bevölkerung Europas ist, in dem Wohlstand und gute Nachbarschaft Voraussetzungen für das Zusammenleben aller Völker und Völkerschaften, aller Menschen auf dem gesamten europäischen Kontinent sind. Ich hoffe, dass wir dann einem Europa näher sind, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Angelegenheiten selbst und so unmittelbar wie möglich, so gemeinsam wie nötig regeln und sie in allen sie betreffenden Angelegenheiten mitsprechen können. Ich baue darauf, dass in zehn Jahren von einem europäischen Haus, das keine Zwingburg ist und in dem Gäste willkommen sind, bereits die Fundamente stehen und die Bauarbeiten zügig voran gehen.

linksfraktion.de, 11. März 2008