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Das Pendel schlägt zurück

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Linkspartei-Fraktionschef Oskar Lafontaine (62) im Gepräch mit dem Spiegel über sein Bekenntnis zum Populismus, seine Sonderrolle im Bundestag und die schwierige Vereinigung der früheren PDS mit der WASG.

SPIEGEL: Herr Lafontaine, Ihr Herz schlägt links, aber Ihre Reden klingen zuweilen ziemlich rechts. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Lafontaine: Die Linke spricht die Sprache des Volkes. Wenn Sie das als "rechts" diffamieren wollen, ist das Ihr Problem, nicht meines.

Im rheinland-pfälzischen Landtagswahlkampf haben Sie die Bundestagsabgeordneten als "Plapperfritzen" beschimpft. Das ist der Ton, in dem sich die Nazis über die Weimarer Demokratie lustig gemacht haben.

Ich wundere mich über solche Vergleiche. Das Wort "Plapperfritzen" ist nun wirklich zulässig, insbesondere im Wahlkampf.

Sie haben auch gesagt, man könne "die ganze Bande im Bundestag" in einen Sack stecken und draufhauen, man treffe schon immer den Richtigen ...

... das ist ein Sprachbild aus meiner saarländischen Heimat, das auch in Rheinland-Pfalz gut verstanden wird.

Von einer "Schweinebande" war ebenfalls die Rede.

Ich bin hergezogen über Unternehmer, die trotz exorbitanter Gewinne Leute entlassen. Außerdem habe ich mich darüber mokiert, dass im Bundestag ein sozialer Abbau nach dem anderen beschlossen wird - und gleichzeitig die Steuern der Unternehmen und die Steuern für Wohlhabende gesenkt worden sind. In diesem Zusammenhang sind einige Kraftwörter gefallen.

Im Bundestagswahlkampf haben Sie gesagt, man müsse Verständnis für das iranische Streben nach einer Atombombe haben, weil Israel ja auch Nuklearmacht sei. Für Grünen-Chef Reinhard Bütikofer war das "hart an der Grenze des erklärten Antisemitismus".

Das fand ich einfach albern. Meine These ist: Es wird keine gerechte Weltordnung geben, wenn die, die Atomwaffen haben, sie anderen verbieten wollen.

Das heißt, die Iraner sollen ihre Bombe bekommen?

Nein, im Gegenteil. Es muss atomar abgerüstet werden, und wer, wie zum Beispiel Israel oder die USA, Kernwaffen hat, muss bei sich selbst anfangen, bevor er sie anderen verbietet.

Ärgern Sie sich, wenn man Sie einen Populisten nennt?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt genug dröge Leute, die das Volk langweilen.

Nicht alles, was im Volk geredet wird, taugt für die Politik.

Aber auch in der Politik wird viel geredet, viel Zeugs, das die Menschen nicht verstehen.

Gefährden Sie mit Ihrer Rhetorik nicht den von vielen in Ihrer Fraktion angestrebten Brückenschlag zu anderen politischen Gruppierungen, etwa zu den Linken in der SPD?

Nein. Ich hoffe, die wenigen verbliebenen Linken in meiner früheren Partei können verstehen, dass sich jemand darüber empört, wenn bei exorbitanten Gewinnen der Personalabbau forciert wird.

Im Bundestag gibt es eine Mehrheit links von Union und FDP. Wenn Sie immerzu polarisieren, machen Sie alle Planspiele über eine rot-rot-grüne Perspektive zunichte.

Es gibt in diesem Bundestag keine linke Mehrheit. Außer uns sitzen dort nur Parteien, die Hartz IV, Agenda 2010 und völkerrechtswidrige Kriege befürworten. Mit "links" hat das nun überhaupt nichts zu tun.

Herr Lafontaine, früher haben Sie die Dinge zuweilen gegen den Strich gebürstet. Jetzt sagen Sie nur noch, dass Sie so reden wollen, dass das Volk Sie versteht. Würden Sie akzeptieren, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem alten Lafontaine und dem heutigen?

Auch der alte Lafontaine hat in Wahlkämpfen immer sehr volksnah gesprochen. Und ich bürste heute immer noch kräftig gegen den Strich.

Aber Ihr zunehmender Linksradikalismus ist doch ein wenig überraschend bei einem, der so lange Regierungsverantwortung getragen hat wie Sie.

Was ist Linksradikalismus? Das müssen Sie konkretisieren.

Beim Rosa-Luxemburg-Kongress im Januar haben Sie Ihre Agenda vorgelegt: keine weitere Privatisierung von Staatseigentum, Kampf gegen jede Form von Neoliberalismus. Früher haben Sie selbst zum Beispiel gesagt, die Lohnnebenkosten müssen runter.

Bei den Lohnnebenkosten habe ich seit langem meine Meinung geändert. Kürzung der Lohnnebenkosten ist eins der Unworte des Kapitalismus. Es geht um nichts anderes als die Gewinnmaximierung der Unternehmer.

Dass in Deutschland wöchentlich 2000 sozialversicherungspflichtige Jobs verschwinden, weil sie zu teuer sind, beeindruckt Sie überhaupt nicht?

Sie müssen daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Den Wettbewerb um die niedrigsten Löhne und Sozialleistungen können Sie im internationalen Vergleich nicht gewinnen. Im Übrigen sind wir trotz der angeblich zu hohen Lohnnebenkosten Exportweltmeister.

Herrscht denn in Deutschland wirklich der Neoliberalismus? Seit der Bundestagswahl sind die Akzente doch deutlich sozialdemokratischer geworden. Angela Merkel hat bei der Wahl im September mit einem Programm, das näher bei der FDP lag als bei der SPD, eine krachende Niederlage erlitten.

Die Bundesregierungen haben in den letzten Jahren eine neoliberale Politik gemacht, die durchgreifender war als die aller anderen europäischen Länder. Nirgends ist beispielsweise die Lohnentwicklung so miserabel wie bei uns. Während alle anderen Länder ihren Beschäftigten einen Zuwachs an Wohlstand zugebilligt haben, stagnieren in Deutschland seit zehn Jahren die Löhne. Die Tarifbindung nimmt immer mehr ab. Und das Ergebnis dieser neoliberalen Exzesse: Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordhöhe.

Das heißt auch, Ihre alte Partei, die SPD, ist für Sie keine sozialdemokratische Partei mehr?

Ich würde es lieber bei dem Begriff "links" belassen. Davon hat sich die SPD verabschiedet.

Fühlen Sie sich selbst noch als Sozialdemokrat?

Ich sehe mich nach wie vor als Sozialdemokrat. Ich bin immer noch für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Die SPD steht für völkerrechtswidrigen Krieg und Sozialabbau.

Sind Sie Sozialist?

Was verstehen Sie unter Sozialismus?

Die Partei, in die Sie zuletzt eingetreten sind, hieß bis vor kurzem PDS - Partei des Demokratischen Sozialismus. Dazu fällt Ihnen doch sicher etwas ein.

Das Programm des Sozialisten ist ein radikales Freiheitsprogramm, wobei der Sozialist weiß, dass Freiheit nur realisiert werden kann, wenn die soziale Existenz gesichert ist - das weiß der Neoliberale und der Konservative nicht. Freiheit heißt richtig verstanden auch, dass nicht die Wirtschaft herrscht, sondern das Volk. Dagegen haben wir in einer neoliberalen Welt, in der 500 Konzerne die Hälfte des Weltsozialprodukts steuern und Regierende nur noch zu Marionetten werden, einen Verlust der Demokratie. Ich zitiere einmal für Amerika Fritz Stern, den renommierten Historiker. Er bezeichnet die USA als eine christlich-fundamentalistische Plutokratie. Ich glaube, dass er den Verlust der Demokratie in den Vereinigten Staaten zutreffend beschreibt.

Sehen Sie eine Chance für Ihre Linke, die SPD im Lauf der Legislaturperiode aus der schwarz-roten Koalition zu locken?

Uns geht es um Politikveränderung. Zurzeit ist die Sozialdemokratisierung der Großen Koalition eine Medien-erfindung. Ihre Entscheidungen sind neoliberal bis in die Knochen: Rentenkürzungen, Kürzungen des Arbeitslosengeldes II, Mehrwertsteuererhöhung und Verlängerung der Arbeitszeit. Die ganze deutsche Rentenpolitik ist auf einem absurden Irrweg, der mit Nullrunden und Kürzungen gepflastert ist.

Auf der anderen Seite werden in Ostdeutschland die Zahlungen nach Hartz IV erhöht, und selbst die Kanzlerin denkt über einen Mindestlohn nach.

Ja, die Mindestlohndebatte. Aber wie kläglich! Während in Frankreich der Mindestlohn 8 Euro beträgt und er in Großbritannien bei knapp 7,50 Euro liegt, wird hier noch immer ergebnislos diskutiert.

Haben Sie in den etablierten Parteien trotz allem Gesprächspartner, die auf ähnliche Veränderungen setzen wie Sie?

Ja. Zunächst muss ein Politiker aber seine Gesprächspartner in der Bevölkerung suchen. Da gilt es, das eigentliche Bündnis zustande zu bringen. Unsere Gesprächspartner sind auch die Gewerkschaften, die jetzt mit dem Rücken zur Wand stehen.

Haben Sie SPD-Chef Matthias Platzeck schon einmal kennengelernt?

Er ist mir bekannt. Ich war ja einmal Vorsitzender dieser Partei. Ich verfolge mit Interesse, was er als SPD-Vorsitzender tut.

So, wie Sie Ihre Rolle im Bundestag beschreiben, heißt das, Sie sind politisch vollkommen isoliert.

Wir sehen das nicht als Isolierung. Vielmehr sind wir stolz darauf, dass wir eine Sonderstellung haben - als einzige politische Gruppierung, die sich gegen die Demontage des Sozialstaats und gegen völkerrechtswidrige Kriege stellt.

Nach Ihren Maßstäben müssten Sie massiv den rot-roten Senat in Berlin attackieren. Gemeinsam haben SPD und PDS härter als irgendwo sonst Tarifrechte beschnitten und Gehälter im Öffentlichen Dienst gekürzt.

Diese Debatte haben wir in Berlin nun seit Monaten geführt, und wir haben als neue Linke eine klare Position: keine weiteren Privatisierungen, weil das ein Verlust von Demokratie ist, kein weiterer Abbau im öffentlichen Sektor, weil das nur die Massenarbeitslosigkeit vergrößert. Hätten wir einen öffentlichen Sektor wie in Skandinavien, hätten wir hochgerechnet auf ganz Deutschland fünf Millionen öffentlich Beschäftigte mehr.

In Ihren Worten könnte man sagen: Die PDS hat in Berlin neoliberale Politik gemacht.

Einige Entscheidungen des Senats werden in der Partei, auch von mir, diskutiert und kritisiert. Wir haben vereinbart, in Zukunft so zu verfahren, wie ich das vorgeschlagen und Ihnen gerade dargelegt habe. Aber die Linkspartei hat in Berlin die Privatisierung der Verkehrsbetriebe, der Stadtreinigung und von Krankenhäusern mit verhindert.

Ihre Forderungen sind dieselben wie die, mit denen die Berliner WASG jetzt als separate Partei antreten will - gegen die Linke.PDS.

Ich habe meine Forderungen nie davon abhängig gemacht, was andere sagen.

Wenn man Ihre Thesen ernst nimmt, müsste die Linkspartei in Berlin aus der Koalition mit der SPD aussteigen.

Nicht so schnell. Hartz-IV-Empfänger werden in Berlin anders behandelt als in Baden-Württemberg oder Bayern, ein Verdienst der Linkspartei. Wir werden in Ruhe unser Wahlprogramm erarbeiten. Die Prinzipien, an denen wir uns dabei orientieren, habe ich Ihnen genannt. Mehr nicht.

Was bedeutet die Eigenständigkeit der WASG in Berlin für die bundesweite Fusion von WASG und Linkspartei? Sie sind ja der Erfinder dieses Projekts.

Es gibt zwei Wege. Der eine Weg ist der: Wir bilden eine neue linke Partei, die sich auf ein neues Programm verständigt. Der andere Weg ist: Wir zerlegen uns in verschiedene Splittergruppen. Den halte ich für falsch. Dass sich nun ein paar hundert Leute in Berlin aus dem gemeinsamen Projekt verabschieden, bedeutet noch keine Gefahr für die bundesweite Fusion.

Wie sollte denn die neue Partei heißen?

Ich finde, "Die Linke" ist ein guter Name. Vielleicht gibt es andere Vorstellungen. Aber die Bundestagsfraktion firmiert ja bereits unter "Die Linke". Das bürgert sich immer mehr ein.

Wie viel Marx wird im Parteiprogramm enthalten sein?

Die Analysen von Karl Marx finden heute ihre Bestätigung. Die Machtkonzentration in den Händen einiger weltweit operierender Unternehmen ist sogar noch größer, als er es vorhergesehen hat. Ich zitiere in diesem Zusammenhang gern den amerikanischen Finanzinvestor Warren Buffett, der gesagt hat: "Es herrscht ein Klassenkampf, und meine Klasse gewinnt."

Wir leben in Deutschland, nicht in den USA.

Wenn Sie den Klassenkampf verstehen als Auseinandersetzung um das, was gemeinsam erwirtschaftet wird, dann verlieren Arbeitnehmer und Rentner, und eine Minderheit, nämlich die Selbständigen und die Vermögensbesitzer, gewinnt. Die Fakten sind eindeutig.

Ist es nicht merkwürdig, dass Sie wieder Begriffe des Klassenkampfs in die Linkspartei hineintragen, von denen die PDS schon Stück für Stück abgerückt war?

Die Wörter der Linken kehren wieder. Das Pendel schlägt zurück. Dazu trage ich meinen Teil bei.

Herr Lafontaine, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Der Spiegel, 14. März 2006