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Das militarisiert das öffentliche Leben

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,



Gesine Lötzsch im Interview mit der jungen Welt über die Nachwuchswerbung der Bundeswehr

Sie haben jüngst in Erfahrung gebracht, dass die Kosten für die aktuelle Bundeswehr-Kampagne, die unter dem Motto „Mach, was wirklich zählt“ um Nachwuchs wirbt, alleine in diesem Jahr rund 12,5 Millionen Euro gekostet hat. Ist dieses Geld sinnvoll investiert?

Wenn ich durch die Stadt laufe, sehe ich überall diese Kampagne. Die Bundeswehr ist plötzlich überall im Straßenbild präsent. Sie militarisiert das öffentliche Leben. Verbunden mit dem vom Bundestag beschlossenen Kriegseinsatz in Syrien, bekommt die Kampagne eine bedrohliche Wirkung. Es geht nicht um nette Sandkastenspiele oder um das Kräftemessen unter pubertierenden Jungs. Es geht um Leben und Tod. Das macht vielen Menschen Angst. Besonders den Menschen, die selbst schon Kriege erlebt haben. In dem Sinne ist es eine Angst-Kampagne. Und wer Angst hat, wehrt sich nicht.

Rechnen Sie damit, dass es der Bundeswehr verstärkt gelingen kann, junge Menschen mittels moderner PR-Kampagnen für den Soldatenberuf zu ködern?

In erster Linie sehe ich diese Kampagne als Versuch der Bundeswehr, stärker in das öffentliche Bewusstsein vorzudringen. Sicherlich wird diese PR-Aktion Jugendliche erreichen, die das Gefühl haben, dass sie in dieser Gesellschaft nicht  gebraucht werden. Jugendliche, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind, könnte diese Kampagne gefallen. Sie ist verführerisch. Eigentlich fehlt auf den Werbeplakaten der übliche Satz über die Risiken und Nebenwirkungen. Denn die sind beachtlich, wenn man bedenkt, wie viele deutsche Soldaten in Afghanistan ihr Leben für einen sinnlosen Krieg gelassen haben.
Ich würde die Bundesregierung unterstützen, wenn sie eine vergleichbare Kampagne machen würde: „Mach, was wirklich zählt – werde Pfleger oder Krankenschwester.“ Warum werden solche Berufe nicht von der Bundesregierung gleichwertig beworben? Zum Thema Pflege gab nur eine Mini-Kampagne von 1,2 Mio. Euro. In unserem Land fehlen 70.000 Pflegerinnen und Pfleger. Es herrscht in vielen Pflegeheimen Personalnotstand.
Ich habe die Bundesregierung auch gefragt, ob sie eine Willkommens-Kampagne für Flüchtlinge starten wird. Es wäre doch gut, wenn die Bundesregierung darüber informieren würde, dass der Satz im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ auch für Flüchtlinge gilt und dass  das Anzünden von Flüchtlingsheimen eine Straftat ist, die mit allen Mittel des Rechtsstaats verfolgt wird. Sie können sich die Antwort denken. Eine solche Kampagne ist nicht geplant. Das finde ich ausgesprochen bedauerlich.

Ihre Partei lehnt Kriegseinsätze der Bundeswehr ab und spricht sich auch allgemein gegen Waffenexporte und Aufrüstung aus. Welche Konsequenzen hätten Ihre Forderungen bezüglich der finanziellen Ausstattung des Verteidigungsministeriums?

Wir haben in den Beratungen zum Bundeshaushalt 2016 weitgehende Vorschläge zur Abrüstung eingebracht, die allerdings von CDU/CSU und SPD abgelehnt wurden.
3,2 Mrd. Euro wollten wir im Verteidigungsministerium einsparen. Insbesondere Rüstungsprojekte, die die Bundeswehr befähigen soll, weltweit militärisch aktiv zu werden, wollten wir beenden. Natürlich wollten wir auch Projekten den Geldhahn zudrehen, die nicht mehr Sicherheit bringen, sondern nur noch existieren, weil die Rüstungsindustrie davon profitiert.

Allein die Feierlichkeiten zu ihrem 60jährigen Bestehen haben sich die Bundeswehr über eine Million Euro kosten lassen. Wie hätte das Geld sinnvoller angelegt werden können?

Da fallen mir sehr viele Projekte ein. Auffällig ist doch, dass wenn es um Hartz-IV, Kindergeld, Flüchtlinge und Alleinerziehende geht, der Finanzminister zum Pfennigfuchser wird. Wenn es um die Bundeswehr geht, dann kennt Schäubles Großzügigkeit keine Grenzen. Da werden schon einmal beide Augen zugedrückt.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Nehmen wir die Sprachkurse für Flüchtlinge. Der Finanzminister meint, dass die Flüchtlinge nicht nur 1,39 Euro pro Monat für die Sprachkurse zahlen sollen, sondern 36 Euro pro Monat. Die zynische Begründung des Finanzministeriums lautete: Der Spracherwerb schafft erst "die elementare Voraussetzung dafür (...) im späteren Verlauf auch andere Angebote in Anspruch zu nehmen." Gleichzeitig hat der Finanzminister aber kein Problem, als bekannt wurde, dass sich das Verteidigungsministerium bei großen Rüstungsprojekten um 2 Mrd. Euro verrechnet hatte. Das ist erst auf meine Anfrage hin herausgekommen.

junge Welt, 15. Dezmeber 2015