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Dietmar Bartsch © Britta Pedersen/dpaFoto: Britta Pedersen/dpa

Das Land braucht einen Politikwechsel

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, Frankfurter Rundschau,

Mitte-Links sollte das Land regieren. Dafür müssen vor allem SPD und die Linkspartei ihre Hausaufgaben machen. Gastbeitrag von Dietmar Bartsch in der Frankfurter Rundschau

 

Nicht nur das Erscheinungsbild der aktuellen Bundesregierung ist "grottenschlecht". Deren Halbzeitbilanz ist viel Schönfärberei. Das Land wird faktisch von einer Minderheitsregierung regiert, ihre Mehrheit in der Bevölkerung hat sie längst verspielt. Vor allem die Angst vor Neuwahlen hält die Koalitionäre zusammen. Viele Menschen haben diese Mut- und Tatenlosigkeit satt. Diese Koalition lähmt das Land, verspielt die Zukunft unserer Kinder und Enkel, treibt die soziale Spaltung voran und trägt ihre Konflikte jetzt sogar auf internationaler Bühne aus.

Mitte-Links sollte dieses Land regieren. Wir als LINKE werden uns als Hoffnungsträger für eine Mitte-Links-Regierung aufstellen. Die Wahl in Thüringen hat gezeigt, dass DIE LINKE viele Menschen mobilisieren kann, wenn sie erleben, dass pragmatische und erfolgreiche linke Politik in Regierungsverantwortung ihr Leben verbessert. Die kommende Bundestagswahl ist vielleicht für lange Zeit die letzte Chance, eine Mehrheit für ein Mitte-Links-Bündnis zu erreichen. Die Union ist angeschlagen und politisch in einer ihrer schwierigsten Phasen überhaupt. Die Post-Merkel-Ära hinterlässt ein strategisches wie programmatisches Führungsvakuum in der Partei. Selbst der reine Machterhalt scheint die Union nicht mehr zu disziplinieren. Für die Parteien links von ihr öffnet sich ein Fenster, das größer ist als viele meinen, um die CDU aus dem Kanzleramt zu werfen. Für das Land wäre es heilsam, wenn die Union im Oppositionsbecken abklingt.

Das ist nur möglich, wenn LINKE und SPD ihre Hausaufgaben machen. Ich gebe meine Hoffnung auf eine Kurskorrektur in der SPD nicht auf. Die SPD muss sich aus der Umklammerung der Union befreien. Wir als LINKE stehen vor nicht kleineren Herausforderungen. Aus Wahlniederlagen, Wahlerfolgen und einem historischen Wahlsieg in Thüringen in diesem Jahr gilt es, Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn wir bei der kommenden Bundestagswahl erfolgreich sein wollen, müssen Strategie, Programm und Kommunikation auf den Prüfstand. Ausgangspunkt unserer Debatten sollte dabei eine selbstkritische Kommunikation sein. Nicht Wählerinnen und Wähler, sondern wir machen etwas falsch, wenn wir verlieren.

Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend gewandelt. Wir erleben nicht nur eine sich vertiefende soziale Spaltung, sondern sich verstärkende Spaltungslinien zwischen Stadt und Land und neue kulturelle Gräben. Der gesellschaftliche Zusammenhalt erodiert, weil unterschiedliche Klassen, Gruppen und Milieus sich immer weniger zu sagen haben und nahezu in Parallelwelten leben. Wir müssen diese neuen sozial-kulturellen Konfliktlinien analysieren, weil sie quer durch unsere potenzielle Wählerschaft verlaufen.

Bei der kommenden Bundestagswahl müssen wir stärker bei denjenigen gewinnen, für die wir gegründet wurden. Dazu gehört, Vertrauen bei Leuten aus einfachen Verhältnissen zurückzugewinnen, indem wir für Hoffnung auf Verbesserung stehen. Bei Menschen, die sozial abgestiegen sind oder Angst davor haben, die jenseits großer Städte wohnen, deren Infrastruktur weggebrochen ist und die sich auch kulturell abgehängt sehen, müssen wir wieder zulegen. Das sollte unsere Zielsetzung sein, nicht nur um Stimmen zu maximieren, sondern weil unsere Identität als eine linke Partei in Gefahr gerät, wenn Arbeiter, Arbeitslose, Alleinerziehende, Rentner und Menschen im ländlichen Raum uns weniger wählen. Dafür müssen wir an deren Lebenswelt wieder näher heranrücken. So geht es nicht nur uns. Alle Parteien haben sich von der Lebenswelt eines Teils der Bevölkerung in den vergangenen Jahren entkoppelt. Trotz gestiegener Wahlbeteiligung ist der Vertrauensverlust von demokratischer Politik so groß wie lange nicht.

Gleichzeitig gibt es - das zeigen alle Umfragen - ein großes Bedürfnis in der Bevölkerung nach sozialer Sicherheit. Bei allen Wahlen 2019 war dies ein Top-Thema, von dem wir nicht profitieren konnten. Den Nerv des durchaus sozialen Zeitgeistes müssen wir wieder treffen. Daher plädiere ich dafür, dass wir uns als die politische Kraft für soziale Sicherheit im Parteienspektrum neupositionieren. Dafür müssen wir wieder mehr polarisieren und zuspitzen in der sozialen Frage und Brücken über die kulturellen Gräben der Gesellschaft bauen. Unser Kanon ist gesellschaftlich mehrheitsfähig, deshalb gehört er ins Schaufenster unserer Kommunikation.

Nur mit einer starken LINKEN gibt es eine soziale und ökologische Bundesregierung. Für einen solchen Politikwechsel können wir zum Hoffnungsträger werden. Eine starke LINKE und ein Mitte-Links-Bündnis sind möglich und unsere Ziele bei der nächsten Bundestagswahl.

 

Frankfurter Rundschau,