Zum Hauptinhalt springen

"Das ist blanker Unsinn"

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Lafontaine kritisiert geplante Unternehmenssteuerreform

Der Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, Oskar Lafontaine, hat die Pläne der Bundesregierung zur Unternehmenssteuerreform kritisiert. Die Unternehmen seien durch die Steuerreform im Jahr 2000 bereits in gewaltigem Umfang entlastet worden, sagte Lafontaine. Zugleich warf er der Regierung vor, eine kontinuierliche Umverteilung von unten nach oben zu betreiben.

Frank Capellan: Um mindestens acht Milliarden Euro will Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die deutschen Unternehmen entlasten. Mit seiner gestern Abend in Berlin vorgestellten Reform will er vor allem an die Körperschaftssteuer ran. Satt 25 Prozent sollen Aktiengesellschaften und GmbHs künftig nur noch die Hälfte an den Staat abdrücken. Das ist irgendwie mutig, denn die Milliarden fehlen dem Sozialdemokraten im Haushalt und es drängt sich die Frage auf, wie denn der Minister das sich auftuende Loch in diesem Haushalt schließen will. Wie er das denn machen würde, diese Frage möchte ich nun an einen ehemaligen Parteifreund Steinbrücks und vor allem an einen Vor-Vorgänger im Amt des Finanzministers weitergeben. Am Telefon ist Oskar Lafontaine, Chef der Linksfraktion im Bundestag. Guten Morgen.

Oskar Lafontaine: Guten Morgen.

Capellan: Herr Lafontaine, ich weiß, Sie hätten niemals eine solche Reform beschlossen, dennoch die Frage, wie würden Sie das Geld, das durch die Entlastung der Unternehmen ausbleiben wird, wieder in den Staatshaushalt reinholen?

Lafontaine: Also, wenn ich mich mal auf das Spiel einlasse, dann würde ich es eben bei den Vermögenden, bei den Unternehmen und bei den Wohlhabenden selbst zurücknehmen, denn wir haben ja in den letzten Jahren über die Steuerpolitik eine große Umverteilung von unten nach oben. Die Vermögenssteuer wurde abgeschafft, die Steuern für Unternehmen wurden kräftig gesenkt, während die Arbeitnehmer und die Rentner immer wieder zur Kasse gebeten wurden. Und diese Politik soll jetzt fortgesetzt werden. Diese Vermögenssteuerreform kann man politisch ja nur bewerten, wenn man gleichzeitig weiß, dass die Bevölkerung wieder über die Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Kasse gebeten wird in der Größenordnung von 25 Milliarden pro Jahr und das reicht ja noch nicht. Es kommen ja dazu Steuerkürzungen ....

Capellan: ... ja auf der anderen Seite hat ja Steinbrück angekündigt, dass er die Reichensteuer zum Beispiel ausweiten will. Dass er die ausweiten möchte auf Freiberufler und Selbstständige. Also da geht man ja doch auch ran an die gut Verdienenden, an die Vermögenden, was Sie gerade gefordert haben.

Lafontaine: Ja, aber dass muss man ja in Relation setzen. Die so genannte Reichensteuer ist ja eigentlich ein Witz. Man sollte davon gar nicht reden. Sie wird im ersten Anlauf nur ein paar hundert Millionen bringen und wird vielleicht dann über eine Milliarde bringen. Aber beim Volk kassiert man ab im ersten Anlauf über 30 Milliarden, insofern ist das wirklich keine seriöse Diskussion und jetzt will er noch die Unternehmen um weitere acht Milliarden entlasten, nachdem die Unternehmen gerade durch die Steuerreform 2000 in gewaltigem Umfang von zig Milliarden entlastet worden sind. Das ist alles nicht mehr normal, man muss das so sagen, eine solche Steuerpolitik ist schlicht verrückt und nicht mehr begründbar.

Capellan: Aber die Unternehmen die sind natürlich entlastet worden. Auf der anderen Seite verschieben sie ja ihre Gewinne zwischen In- und Ausland und zahlen in Deutschland viel zu wenig Steuern, das wird allgemein beklagt. Warum glauben Sie nicht, dass eine Unternehmenssteuerreform das unterbinden kann?

Lafontaine: Sie meinen, wenn die Unternehmen sowieso schon keine Steuern zahlen, dann muss man sie auch nicht mehr zur Kasse bitten. Das ist aber eine Logik, die können wir natürlich nicht anwenden und sie ist auch nicht, wenn man so will, mit der Staatsidee zu begründen, denn das hieße, wir haben einen Teil von Staatsbürgern, der sich schlicht und einfach weigert Steuern zu zahlen, und der Rest, der eben nicht sein Geld ins Ausland bringen kann oder der nicht die Möglichkeiten hat, seinen Wohnsitz zu verlagern oder seinen Firmensitz zu verlagern, der muss dann eben kräftig zur Kasse gebeten werden. Das geht nicht. Nein, hier gibt es einen Staat, der immer in Deutschland als großes Vorbild hingestellt wird, das sind die Vereinigten Staaten, die haben in der Steuerpolitik ein Prinzip, wenn jemand sich ins Ausland absetzt, auch wenn er ein Star ist oder so, dann muss er die Differenz zwischen dem, was er im Ausland bezahlt, und dem, was er in den Vereinigten Staaten zahlen müsste, muss er in Amerika ohnehin verrichten, solange er amerikanischer Staatsbürger ist. Und an solcher Vorgehensweise sollten wir uns orientieren. Also ich bleibe dabei, die Steuerpolitik der letzten Jahre ist verrückt, sie ist auch deshalb nicht rational, weil sie alle ihre Ziele verfehlt. Ich nehme einmal die Steuerreform 2000. Sie wurde begründet, jetzt würde also Deutschland einen kräftigen Beschäftigungsaufschwung haben, jetzt würden die Arbeitsplätze nur so bereitgestellt werden, und was haben die DAX-Unternehmen beispielsweise getan, die also Milliarden-Geschenke bekamen, sie haben Tausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entlassen. Also das Ganze ist nicht mehr normal und nicht mehr nachvollziehbar.

Capellan: Also, die Rechnung von Steinbrück, die geht nicht auf, der ja sagt, am Ende werden wir durch diese Reform mehr Geld einnehmen als wir es heute tun?

Lafontaine: Das ist blanker Unsinn.

Capellan: Und was sagen Sie dazu, dass Steinbrück ja nun auch plant, weitere Steuerschlupflöcher zu schließen. Darüber diskutieren wir ja nun auch schon seit vielen Jahren. Denn die Körperschaftssteuereinnahmen sind ja seit dieser Reform aus dem Jahr 2000, die Sie angesprochen haben, deutlich zurückgegangen, das will man jetzt korrigieren. Was ist falsch daran?

Lafontaine: Steuerschlupflöcher zu schließen ist im Grundsatz nicht falsch. Ich selbst habe als Finanzminister ein Gesetz vorgelegt, in dem über 70 Steuerlöcher geschlossen worden sind. Das ist eigentlich der große Wurf gewesen, was das Schließen von Schlupflöchern angeht. Aber seitdem ist nicht mehr viel geschehen, weil die beiden großen Volksparteien sich nicht mehr einigen konnten. Wenn jetzt das eine oder andere geschieht, dann ist das zu begrüßen, aber die Frage ist immer was, wenn man beispielsweise die Pendlerpauschale als Steuerschlupfloch bezeichnet. Also die Tatsache, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie zum Arbeitsplatz fahren das auch absetzen können, wie es die Unternehmen auch können, dann ist wiederum die Frage der Gleichbehandlung und der Gerechtigkeit aufgeworfen?

Capellan: Wo würden Sie denn rangehen.

Lafontaine: Ich würde nicht so sehr jetzt bei weiteren Steuerschlupflöchern ansetzen, sondern ich würde in erster Linie jetzt eben hier Wohlhabende stärker zur Kasse bitten. Denn das ist ja das große Problem. Wir müssen einmal sehen, dass wir eine Steuernabgabenquote haben, die im europäischen Vergleich nicht mehr zu begründen ist. Wir liegen nach OECD-Statistik bei 34 Prozent, der europäische Durchschnitt ist bei 40 Prozent, das heißt, uns fehlen pro Jahr über 120 Milliarden Euro im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten. Dazu kommt noch, dass wir vier Prozent für die Deutsche Einheit aufwenden, was wiederum weitere 80 Milliarden Euro bedeutet. Man würde also praktisch ein Delta von 200 Milliarden Euro hier feststellen können. Und das heißt, die öffentlichen Haushalte sind in Deutschland seit vielen, vielen Jahren unterfinanziert und das hat schlimme Folgen insbesondere im Bildungsbereich, im Forschungsbereich und im Bereich unserer Infrastruktur. Wenn wir dies weiter machen, also diese Steuersenkungspolitik, dann werden also weitere öffentliche Einrichtungen verfallen, und wir werden im Bildungssystem, beispielsweise zu den nordischen Staaten, die also 16 Punkte mehr Steuern und Abgaben haben im Vergleich zu Deutschland, werden wir also immer weiter zurückfallen.

Capellan: Aber, bleiben wir doch noch mal bei Unternehmenssteuerreform. Es geht ja auch darum, das sagt zumindest die Union, Gewinne, die Unternehmen nicht per se zu entlassen, sondern nur die Gewinne besser zu stellen bei der Steuer. Ist das nicht ein Ansatz, um ein Investieren in den eigenen Betrieb zu fördern, damit ja vielleicht am Ende auch neue Arbeitsplätze entstehen, darum geht es ja doch eigentlich.

Lafontaine: Ja, nur, diese Parole sind wir ja nun schon viele, viele Jahre bei der Hand, wenn es darum geht, irgendwelche Steuersenkungen zu begründen, aber letztendlich ist es nun mal so, dass diese ganze Politik der letzten Jahre doch nichts gebracht hat. Es hieß immer wieder, wenn wir die Unternehmen entlasten, dann werden neue Arbeitsplätze entstehen. Das Gegenteil ist der Fall. Warum? Die Bundesregierung hat eine eigene Analyse erstellt, die ist im Jahreswirtschaftsbericht, die kann jeder nachlesen. Da steht drin, erstens die Arbeitnehmer kriegen in diesem Jahr nichts, zweitens die Rentner auch nicht und drittens, die Bezieher sozialer Leistungen werden eher weniger bekommen. Und viertens, die [...] Unternehmereinkommen und die Vermögenseinkommen werden über sieben Prozent wachsen. Wenn man das liest, dann würde man doch sagen, jetzt helfen wir mal denjenigen, die es weniger gut haben, das sind Arbeitnehmer, Rentner und Bezieher sozialer Leistungen, und das ist das große Problem der deutschen Volkswirtschaft seit vielen Jahren, dass der Binnenmarkt, der rund zwei Drittel unserer Wirtschaft stellt, schwach ist, während eben die Exportwirtschaft immer wieder gepuscht wird. Und es ist wirklich also schlimm, dass eine Bundesregierung eine Analyse vorlegt, die eigentlich zwingend erfordert, das Volk zu entlasten und die Unternehmen nicht weiter zu entlasten und das krasse Gegenteil tut.

Capellan: Herr Lafontaine, wir müssen Schluss machen an der Stelle. Sie werden das wahrscheinlich im Bundestag weiter thematisieren. Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Linksfaktion im Bundestag. Ich danke Ihnen, auf Wiederhören.

Lafontaine: Auf Wiederhören.

Moderation: Frank Capellan

Deutschlandradio Kultur, 20. Juni 2006