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Das Generationenprojekt Altersteilzeit

Periodika,

Die Debatte um die Verlängerung der Altersteilzeit.

Klaus Schröder ist 51 Jahre alt. Lange Jahre war er Schichtarbeiter in der Fertigung der »Svenska Kullagerfabriken« (SKF) in Schweinfurt. 4300 Beschäftigte arbeiteten Ende 2007 in Schweinfurt beim weltweit größten Wälzlagerhersteller SKF. Klaus Schröder arbeitete mal von 6 Uhr morgens bis 14 Uhr, dann von 14 bis 22 Uhr und an anderen Tagen von 22 bis 6 Uhr in der Frühe. »Vor allem diese Nachtschichten laugen einen völlig aus«, sagt er, »und dazu kommt noch der Akkord!«
Angst um den Arbeitsplatz haben sie bei SKF nicht. »Wir haben Arbeit ohne Ende«, meint Schröder. Die Werksleitung setzte in den vergangenen Jahren verstärkt auf die Windkraft. »Wir bauen die Getriebe von Windrädern«, erzählt Schröder nicht ohne Stolz, »unsere Aufträge haben manchmal eine Wartezeit von eineinhalb Jahren. Und unsere Kunden sind bereit zu warten.«

Warnstreiks für Verlängerung der
Altersteilzeitregelung

Klaus Schröder hat eine Frau und drei Kinder. Er ist IG-Metall-Betriebsrat bei SKF. Und als solcher hat er im Juni mit dafür gesorgt, dass allein in Schweinfurt 6000 Menschen ihre Arbeit niederlegten, um für die Verlängerung der Altersteilzeitregelung in den Warnstreik zu gehen. Bundesweit waren es über 360000. Denn das »Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand« von 1996 ist bis Ende 2009 befristet. Verlängert werden soll es nicht, da waren sich die Sozialdemokraten mit der CDU lange Zeit einig. Erst im Sommer kam die SPD auf den Gedanken, dass dies vielleicht doch keine so gute Idee sein könnte und Wählerstimmen kosten wird. Seither will die Partei die staatlich geförderte Altersteilzeit bis zum Jahr 2015 verlängern, allerdings mit vielen Abstrichen.
Das Verhalten der Sozialdemokraten ist für Klaus Ernst, den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion DIE LINKE, pures Rumgeeiere: »Das ist ungefähr so, als wenn jemand ein Haus anzündet und dann dafür gelobt werden will, wenn er die Feuerwehr holt.« Im Übrigen hatte DIE LINKE bereits Anfang Mai 2008 dem Bundestag einen Antrag zur Weiterführung der Altersteilzeit vorgelegt - ohne Abstriche von der heute geltenden Regelung. Doch der Bundestag lehnte diesen Antrag im Juni reflexartig ab - und zwar mit den Stimmen der SPD. Altersteilzeit, wie sie bisher existiert, ermöglicht Beschäftigten einen gleitenden Übergang in die Rente oder einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben ohne hohe finanzielle Einbußen, wenn sie das 55. Lebensjahr vollendet haben. Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt 20 Prozent der Lohnkosten für diesen Berufsausstieg auf Raten, wenn der frei gewordene Arbeitsplatz durch einen Erwerbslosen oder einen Auszubildenden erneut besetzt wird. Manche Arbeitgeber, etwa in der Metall- und Elektroindustrie, steuern noch zwölf Prozent des Lohnes bei, sodass ein Beschäftigter in Altersteilzeit 82 Prozent seines letzten Nettogehalts bekommt.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hatte entsprechende Tarifregelungen vorsorglich gekündigt. Seither kämpfte die IG Metall für einen Pilotabschluss über ein neues Altersteilzeitmodell in der Metall- und Elektroindustrie. Nachdem die Gespräche Ende Juni vorerst ergebnislos abgebrochen worden waren, kam es Anfang September doch zu einer Kompromisslösung. Einen Anspruch auf Altersteilzeit sollen demnach ab 2010 höchstens vier Prozent der Belegschaft eines Betriebes bekommen. Das Einstiegsalter wird auf 61 Jahre angehoben - nur für Beschäftigte in Schichtarbeit oder unter besonders starken Umwelteinflüssen bleibt es beim Anspruch auf Altersteilzeit ab 57 Jahren. Zudem muss der Arbeitnehmer mindestens zwölf Jahre im Betrieb beschäftigt gewesen sein. Die Aufstockungsbeträge der Arbeitgeber werden deutlich erhöht, so dass zwischen 85 und 89 Prozent des bisherigen Nettoentgelts abgesichert sind.

Fertig nach 30 Jahren Schichtarbeit

Klaus Schröder hat sich besonders über die Forderungen der Arbeitgeber geärgert. Die wollten - genauso wie die Sozialdemokraten -, dass künftig nur noch diejenigen in Altersteilzeit gehen dürfen, die durch ihre Arbeit »besonders stark belastet« sind. »Warum denn diese Einschränkung?«, fragt sich Schröder. Außerdem seien Arbeitgeber doch verpflichtet, Arbeitsplätze so zu gestalten, dass sie nicht die Gesundheit ihrer Beschäftigten beeinträchtigen. »Dort, wo jemand durch seine Arbeit ganz offiziell besonders stark belastet ist«, meint der SKF-Betriebsrat, »wird doch gegen Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen.«
Klaus Schröder möchte selbst mit 58 in die Altersteilzeit gehen. Vierzig Jahre Arbeit sind genug, findet er. Und er versteht die Kollegen und Kolleginnen, die das auch wollen: »Nach dreißig Jahren Schichtarbeit bist du einfach fertig.« Dass die Sozialdemokraten innerhalb der Regierungskoalition maßgeblich dazu beigetragen haben, die Rente ab 67 einzuführen, ist für Schröder »eine bodenlose Unverschämtheit«. Altersteilzeit und dazu die Rente ab 67, »da beißt sich doch die Katze in den Schwanz«. Arbeiten bis zum Umfallen, scheint die neue Devise. »Manch einer bei uns ist mit 55 so knallfertig«, meint der SKF-Mann, »da ist es schier unvorstellbar, dass er noch zwölf Jahre weiterarbeiten soll.«
»Angesichts der Vielfalt der Arbeitswelt und angesichts völlig unterschiedlicher körperlicher und seelischer Belastungen wird eine starre Altersgrenze bei der Rente den Lebensleistungen älterer Arbeitnehmer nicht gerecht«, findet auch Volker Schneider, rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Denn nicht nur Metaller und Metallerinnen profitieren vom gleitenden Übergang in die Rente. »Auch auf dem Bau hält kaum einer bis zum 60. Lebensjahr durch«, weiß Schneider. Und auch die psychischen Belastungen von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen sind nicht zu unterschätzen.
Profitieren konnten bisher von der Altersteilzeit aber auch jüngere Arbeitnehmer. Das belegen die Daten der Bundesagentur für Arbeit. Während in den ersten fünf Monaten nach Inkrafttreten der Altersteilzeitregelung weniger als 2000 Versicherte eine Altersteilzeitarbeit vereinbarten, waren es allein 2005 schon mehr als 500000 Versicherte.
In 380000 Fällen wurde die Altersteilzeit von der Bundesagentur für Arbeit gefördert. 380000 Erwerbslose oder jüngere Beschäftigte fanden also über das Ausscheiden eines älteren Beschäftigten eine Festanstellung. Nach einer Untersuchung des ifo-Instituts wird Altersteilzeit bisher von 90 Prozent aller Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten genutzt - und immerhin auch von jedem zweiten kleineren Betrieb. Die Altersteilzeitregelung hat außerdem nicht dazu geführt, dass immer mehr Menschen immer früher in Rente gehen: Waren Ende 1997 knapp 47 Prozent der 60-jährigen Rentner, sank 2003 die Zahl auf 31 Prozent. Heute sind lediglich 28 Prozent der 60-Jährigen schon in Rente.

Chancen der Altersteilzeit

Zahlen, die überzeugen sollten. Doch die Bundesregierung ficht das nicht an. »Die Unternehmen profitieren massiv von der unsozialen Rentenpolitik der Regierung, die nur auf niedrigere Beiträge für die Arbeitgeber ausgerichtet ist«, konstatiert Klaus Ernst. »Die Beschäftigten finden sich da auf der Verliererseite wieder, weil ihre Rentenansprüche sinken, weil sie selber privat vorsorgen sollen und weil sie wegen der Rente ab 67 mit höheren Rentenabschlägen rechnen müssen.«
Betriebsrat Klaus Schröder wird weiter für flexible Übergänge in die Rente kämpfen.Altersteilzeit, das ist für ihn ein Generationenprojekt. »Mein Ältester hat bei uns gelernt«, erzählt er. Weil ein Kollege über Altersteilzeit ausgeschieden ist, wurde der Sohn bei SKF eingestellt und arbeitet dort jetzt als Schleifer. Die Altersteilzeitregelung bei SKF greift: »Seit 2001 sind bei uns alle 580 Kollegen, die über Altersteilzeit ausgeschieden sind, wieder ersetzt worden«, erzählt Schröder. Und die Auszubildenden, die im Februar 2009 auslernen, wissen schon heute, dass sie übernommen werden - »und zwar unbefristet«.