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Das Chaossemester beginnt

Kolumne von Nicole Gohlke,

Von Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


In diesen Tagen beginnt das Wintersemester. So viele wie noch nie wollen ein Studium beginnen. Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Doch die Hochschulen sind überhaupt nicht darauf vorbereitet. 
  Tausende Studienplätze fehlen, viele Interessierte haben eine Absage bekommen. Der Hochschulpakt, in dem Bund und Länder die Aufstockung der Studienplätze geregelt haben, bleibt weit hinter dem tatsächlichen Bedarf zurück. Allein in diesem Jahr fehlen mindestens 50.000 Studienplätze. DIE LINKE fordert, bis zum Jahr 2015 nicht nur 325.000, sondern 500.000 zusätzliche Studienplätze zu schaffen. 
  Sehr viele Studierende wollen nach dem Bachelor einen Master machen, derzeit 78 Prozent, entweder, weil sie ihr Studium vertiefen möchten, oder weil sie wissen, dass man mit dem Bachelor oft nur Praktika oder schlecht bezahlte Jobs angeboten bekommt. Doch die Regierungen wollen, dass die Mehrheit der Studierenden die Hochschule nach dem Bachelor verlässt. Deshalb ist ein Mangel an Master-Plätzen politisch gewollt. DIE LINKE fordert dagegen das Recht auf einen Master.
  Für DIE LINKE ist klar: Die Studierenden haben das Recht, sich ihr Fach- und ihre Hochschule auszuwählen. Oft läuft es umgekehrt: Die Hochschulen suchen sich ihre Studierenden aus.  Es fehlen nicht nur Studienplätze, die Hochschulen sind insgesamt heillos unterfinanziert. Seit Ende der 1970er Jahre werden die Hochschulen auf Verschleiß gefahren. Zum Beispiel kamen Anfang der 1970er Jahre 30 Studierende auf eine/n Professor/in, inzwischen sind es über 50.   Die Bologna-Reformen mit der Einführung von Bachelor und Master sind auch ein Sparprogramm. Nicht nur, weil die Zahl der Masterplätze beschränkt wird, sondern auch, weil das Bachelor-Studium als Kurz-Studium organisiert wird. Starre Studienpläne, Verschulung, Anwesenheitspflichten, ständige Leistungskontrollen und die Beschränkung auf sechs Semester Regelstudienzeit sollen die Kosten pro Studierenden für die Hochschule drücken. Das hat viele Folgen. Wer sich über Nebenjobs laufend finanziert, arbeitet im Schnitt 16 Stunden in der Woche. Diese Studierenden sind in einem Bachelor-Studiengang krass benachteiligt. Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen unter Studierenden nimmt bereits deutlich zu.
  Die Verschulung ändert aber auch den Charakter des Studiums. Für Selbstbestimmung und kritisches Hinterfragen bleibt fast kein Raum mehr. Die große Mehrheit der Lehrenden wird inzwischen unter prekären Bedingungen beschäftigt und hat viel zu wenig Zeit für die Forschung. Das ist nicht nur staatlich organisierte Ausbeutung, es zerstört auch die Verbindung zwischen Studium und Forschung.
  Wir wollen ein gutes wissenschaftliches Studium mit Raum für Eigeninitiative und intensiver Betreuung für alle Studieninteressierten. Dafür brauchen alle Hochschulen mehr Geld, nicht nur ausgewählte "Elite-Unis", und die Studierenden brauchen mehr Unterstützung. Sie finanzieren sich heute in erster Linie über ihre Eltern und über Nebenjobs. Das BAföG deckt nur noch 15 Prozent ihrer Kosten ab. Die BAföG-Sätze müssen dringend um mindestens zehn Prozent erhöht werden. Die Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern, Auszubildenden, Studierenden über 30 und Menschen mit Behinderung im BAföG müssen beseitigt werden. DIE LINKE will, dass Studierende zukünftig elternunabhängig öffentlich unterstützt werden und sich auf ihr Studium konzentrieren können. Es darf auch kein Studium mehr am Geld scheitern. Im Moment geben 77 Prozent der Studienberechtigten, die sich gegen das Studium entscheiden "das Fehlen der nötigen finanziellen Voraussetzungen" als Grund an.   Die Mehrheit der Studierenden ist schon lange keine privilegierte gesellschaftliche Minderheit mehr. Sie bekommen den Abbau öffentlicher Leistungen unmittelbar zu spüren, jobben im Niedriglohnbereich und blicken mit Sorge auf einen zunehmend deregulierten Arbeitsmarkt. Für den 17. November haben sie Bildungsproteste angekündigt. Sie verdienen unsere ganze Solidarität. Auszubildende, Schülerinnen und Schüler und Studierende fordern gute Bildung für alle und mehr Sozialstaat. In Zeiten der Bankenrettungspakete sind solche Proteste nicht nur wichtig für Studierende, sondern für alle, die in einer solidarischen Gesellschaft leben wollen.