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Das 300-Milliarden-Euro-Steuerloch

Nachricht,

Anhörung des Haushaltsausschusses des Bundestages am 6. Juni 2012 zum Nachtragshaushalt, der die Zahlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beinhaltet

Die Ursachen für die gegenwärtige Finanzkrise sind in der seit über dreißig Jahren weltweit betriebenen neoliberalen Wirtschaftspolitik zu suchen. Das hat der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup, Professor an der Westfälischen Hochschule,  am Mittwoch vor dem Haushaltsausschuss deutlich gemacht. Neoliberale Wirtschaftspolitik habe das Ziel verfolgt, die arbeitsteilig generierten Wertschöpfungen von den Lohn- zu den Besitzeinkommen (Gewinne, Zinsen, Mieten und Pachten) umzuverteilen, um sich immer mehr zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit zu bereichern.
 

Allein die Steuerreformen seit 1998 haben laut Bontrup in den letzten zehn Jahren in Deutschland zu rechnerischen Steuerausfällen in Höhe von kumuliert 300 Milliarden Euro geführt. Die Steuerreformen seien mit der Notwendigkeit begründet worden, die Wirtschaft zu entlasten, was zu mehr Wachstum und in Folge zu höheren Steuereinnahmen führen sollte. Tatsächlich ist das Wachstum weiter zurückgegangen und höhere Schulden wurden notwendig, um die Steuersenkungen zu kompensieren und notwendige Ausgaben finanzieren zu können, konstatierte Bontrup, der mit viel Verve vor dem Ausschuss auftrat. Vor allen Dingen seien hier auf der staatlichen Ausgabenseite die enorm hohen fiskalischen Kosten für die seit Mitte der 1970er Jahre in Deutschland bestehende Massenarbeitslosigkeit zu nennen.
  Bontrup, der auf Einladung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag an der Anhörung des Ausschusses teilnahm, stellte fest, dass in fast allen Ländern die Brutto- und Nettolohnquoten zugunsten der Gewinnquoten verfielen. Dies führte über Ersparnisse, die noch zusätzlich durch eine immer mehr private kapitalgedeckte Altersvorsorge angeheizt wurden, zu einer weiter ansteigenden Konzentration der Vermögensbestände und durch die neoliberal umgesetzte Umverteilung von unten nach oben zu einem Nachfrageausfall beim Konsum und Investitionen. Dadurch war das Wirtschaftswachstum schwach und die Arbeitslosigkeit hoch.   In der Folge, so der 59-Jährige, sei es immer mehr zu einer Disproportion zwischen Produktion (Bruttosozialprodukt) und Finanzvermögen gekommen. Zwischen 1980 und 2007, dem Jahr des weltweiten Krisenausbruchs mit dem Platzen der gewaltigen Immobilienblase in den USA, ist laut Bontrop das nominale Sozialprodukt der Welt von 10 auf 55,7 Billionen US-Dollar, also auf das Fünfeinhalbfache, angewachsen. Das liquide Finanzvermögen dagegen stieg von 12 auf 202 Billionen US-Dollar, auf fast das Siebzehnfache. Der Bestand an Finanzvermögen, deren Eigentümer den Anspruch auf eine hohe Rendite erheben, war also im Jahr 2007 gut dreieinhalb Mal so hoch wie die jährliche Produktion, aus der diese Ansprüche befriedigt werden müssen. Im Jahr 1980 waren beide Größen mit zehn beziehungsweise zwölf Billionen US-Dollar noch annähernd gleich groß gewesen. 
  Die Ursache der Krise, schlussfolgerte Bontrup, wird mit den bisherigen Maßnahmen "in keinster Weise" bekämpft. Durch den Fiskalvertrag in Verbindung mit dem ESM-Vertrag werde sich die Krise noch verschärfen.
DIE LINKE fühlt sich bestärkt
 
  • die Ratifizierung des ESM- und des Fiskalvertrags nicht weiter zu verfolgen;
  • ein Ende der krisenverschärfenden Kürzungspolitik, eine einmalige EU-weite Vermögensabgabe zur Krisenfinanzierung, in Deutschland die Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder einzuführen;
  • einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde – dies trägt dazu bei, die Inlandsnachfrage zu erhöhen und Leistungsbilanzungleichgewichte abzubauen;
  • ein Investitionsprogramm insbesondere für Südeuropa, das den sozial-ökologischen Umbau befördert und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit abbauen hilft;
  • die Abschirmung der öffentlichen Haushalte der Eurozone von den Finanzmärkten, indem eine zu gründende Europäische Bank für öffentliche Anleihen ohne Umweg über private Banken und ohne Zinsaufschlag den Staaten Kredit einräumt und sich bei der EZB refinanziert;
  • strenge Regulierung der Finanzmärkte, Großbanken vergesellschaften und diese Banken auf die Kernfunktionen Zahlungsverkehr, Ersparnisbildung und Finanzierung zurückführen;
  • insbesondere in der Gruppe der Euro-Länder auf eine zügige Vereinbarung zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer hinzuwirken, parallel dazu in Deutschland eine Finanztransaktionssteuer auf alle Wertpapierumsätze, Derivate- und Devisenumsätze.