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Cum/Ex: »Produktion von Steuerbescheinigungen« seit Langem bekannt

Im Wortlaut von Richard Pitterle,



Von Richard Pitterle, steuerpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Bei der letzten Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung der Cum/Ex-Geschäfte waren wieder Zeugen aus dem Umfeld des Bankenverbandes geladen. Diese Geschäfte hatten bis 2012 durch unberechtigte Kapitalertragsteuererstattungen einen Schaden von zwölf Milliarden Euro auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verursacht. Möglich war dies aufgrund der mehrfachen Bescheinigung einer nur einmal tatsächlich gezahlten Steuer – die Halter der Bescheinigungen konnten sich jeweils die Steuer erstatten oder anrechnen lassen.

Bankenverband ging es vor allem um Haftungsrisiko für die deutschen Banken

Gefragt wurden die Zeugen vor allem nach der Genese eines Schreibens von 2002, in welchem der Bankenverband das Bundesfinanzministerium auf die die Cum/Ex-Geschäfte ermöglichende Lücke im Gesetz hinwies, um sogleich einen eigenen Regelungsvorschlag zu präsentieren. Wie sich schon bei der vorausgegangenen Zeugenvernehmung abzeichnete, ging es dem Bankenverband dabei weniger um die Abwendung eines Schadens für den Fiskus, als vielmehr um den Ausschluss eigener Haftungsrisiken. Man verhinderte durch die vorgeschlagene und später von der Bundesregierung umgesetzte Regelung nämlich nur Cum/Ex-Geschäfte über inländische Banken – diese konnten fortab nur noch Steuerbescheinigungen ausstellen, für die auch wirklich eine Kapitalertragsteuer abgeführt worden war.

Wer jedoch den Umweg über eine ausländische Bank nahm, konnte sich immer noch Geld aus dem Staatssäckle in die eigene Tasche stecken. Das konnte den hiesigen Banken jedoch gleich sein, denn das Problem der Haftung für unrechtmäßige Steuerbescheinigungen war für sie gelöst. Indes, was hätte man vom Lobbyverband der deutschen Geldhäuser anderes erwarten sollen?

»Lücke« im Gesetz seit Langem bekannt

Bei der Zeugenbefragung stellte sich zudem wiederholt heraus, dass die "Lücke“ im Gesetz, die die Cum/Ex-Geschäfte möglich machte, seit Langem bekannt war. Bereits in den 1990er Jahren erschienen Artikel über das Problem der "Produktion von Steuerbescheinigungen" in der Fachpresse. Man sollte meinen, dass diese Fachpresse auch von der Finanzverwaltung hin und wieder gesichtet wird.

Die eigentliche Frage bei der Aufarbeitung des Skandals um die Cum/Ex-Geschäfte ist deshalb nach wie vor folgende: Wieso hat die Finanzverwaltung und vor allem das Bundesfinanzministerium jahrelang nichts gegen die Geschäfte unternommen? Wollte man am Ende wieder einmal nur den "Kapitalmarktstandort" Deutschland schonen und den Wettbewerb keinesfalls beeinträchtigen, auch wenn das Risiken für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beinhaltete?

Ansatzpunkte, die Cum/Ex-Geschäfte zu unterbinden, hätte es gegeben – zum Beispiel hätte man die für die Geschäfte wichtigen Leerverkäufe zumindest im Inland sofort verbieten können. Dieser Vorschlag scheint bei der Finanzverwaltung auch schon 2002 tatsächlich auf dem Tisch gelegen zu haben. Der Bankenverband sah sich jedenfalls genötigt, dem schnellstmöglich zuvorzukommen.

Ursprünglicher »Systemfehler« viel zu spät beseitigt

Das wiederum tat er mit Bravour, denn nicht nur wurde die Idee des Leerverkaufsverbots offenbar fallengelassen, auch hat das Bundesfinanzministerium die vom Bankenverband geforderten Regelungen fast wörtlich in das Jahressteuergesetz 2007 übernommen. Dabei fiel insbesondere die Gesetzesbegründung ins Auge, in der auf die scheinbar nicht zu schließende Lücke, Cum/Ex-Geschäfte über das Ausland zu vollziehen, auch noch hingewiesen wurde. Einer der Zeugen beschrieb treffend, dass man damit aus der Lücke ein Scheunentor gemacht hatte, dass sich fortan reger Nutzung erfreute.

Es ist letztlich auch nicht nachvollziehbar, wieso man sich bis 2012 Zeit ließ, den ursprünglichen "Systemfehler" anzugehen. Cum/Ex-Geschäfte waren nämlich nur möglich, weil die Stelle, die die Kapitalertragsteuer an den Fiskus abführte und die Stelle, die die Bescheinigung dafür ausstellte, nicht identisch waren. Das ist so, als würde man Quittungen auf Vertrauensbasis ausstellen ohne zu wissen, ob je eine Zahlung stattgefunden hat. Mit der Vertrauensbasis ist das in der Finanzwelt jedoch so eine Sache.

linksfraktion.de, 7. Juni2016