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»Burnout wird zur neuen Volkskrankheit«

Nachricht,

Auswertung der Antwort der Bundesregierung vom 26. April 2012 auf die Kleine Anfrage "Psychische Belastungen in der Arbeitswelt" (Drs. 17/9287)

Psychische Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Dies zeigt sich sowohl an einer erheblichen Zunahme von Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund  psychischer Erkrankungen als auch an einem deutlichen Anstieg von Rentenzugängen in eine Erwerbsminderungsrente aus diesem Grund. Eine Folge ist die  Zunahme hoher gesamtgesellschaftlicher Kosten (Behandlung, Prävention, Rehabilitation, Pflegemaßnahmen, Verlust an Erwerbsjahren, Invalidität, entgangene Wertschöpfung, Verlust Arbeitseinkommen). Der Anstieg der psychischen Erkrankungen geht einher mit einem Anstieg von psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. Immer mehr Stress bei der Arbeit ist für die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer  bittere Realität. Ursachen hierfür sind u.a. zunehmende Arbeitsverdichtung, Entgrenzung von Arbeit, berufliche Unsicherheit infolge von Leiharbeit oder befristeten Verträgen.

"Arbeitsstress macht die Beschäftigten krank. Burnout wird zur neuen Volkskrankheit. Die Bundesregierung ist aufgefordert, schnellstmöglich tätig zu werden. Zum einen muss Stress bei der Arbeit wirksam reduziert werden. Wir unterstützen daher die IG Metall bei ihren Bemühungen um die Einführung einer Anti-Stress-Verordnung. Darüber hinaus müssen aber auch endlich prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit und befristete Arbeit eingedämmt werden", schlussfolgert Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeits- und Mitbestimmungspolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.

Zentrale Ergebnisse im Einzelnen:

  • Die Arbeitsunfähigkeitstage in Mio. für psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen sind von 33,6 im Jahr 2001 auf 53,5 im Jahr 2010 angestiegen. Der prozentuale Anteil an den gesamten Arbeitsunfähigkeitstagen ist von 6,6 % auf 13,1 % gestiegen. Die durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer und Verhaltensstörungen sind bei Frauen deutlich höher als bei Männern und bei älteren Erwerbstätigen ab 45 Jahren deutlich höher als bei Jüngeren (siehe Antwort auf Frage 4, Seite 7).
  • Die Zahl der Rentenzugänge in eine Erwerbsminderungsrente aufgrund psychischer Erkrankung ist bei Männern von 19.087 im Jahr 2000 auf 31.698 im Jahr 2010 angestiegen. Das ist eine Erhöhung um 66 Prozent. Bei den Frauen sind die Zahlen von 19.950 auf 39.248 angestiegen. Das entspricht einem Anstieg um knapp 97 Prozent, die Zahl hat sich also nahezu verdoppelt (siehe Antwort auf Frage 7, Seiten 9-10).
  • Nach der Krankheitskostenrechnung des statistischen Bundesamtes lagen im Jahr 2008 die direkten Kosten (Krankheitsbehandlung, Prävention, Rehabilitation, Pflegemaßnahmen, Verwaltungskosten) für psychische und Verhaltensstörungen bei 28,6 Milliarden Euro (11,3 Prozent der Gesamtkosten, dritter Rang). Zu den indirekten Kosten: Auf psychische und Verhaltensstörungen ließen sich im Jahr 2008 18% aller verlorenen Erwerbsjahre, ein Produktionsausfall von 26 Mrd. Euro und ein Ausfall an Bruttowertschöpfung von 45 Mrd. Euro (1,8 % des Bruttoinlandprodukts) zurückführen. Die Bundesregierung verweist zudem auf eine Schätzung von Bödecker und Friedrichs aus dem Jahr 2011, der zufolge der Anteil der Krankheitskosten, die auf die Arbeit zurückzuführen sind, jährlich bei etwa 44 Mrd. Euro liegt. Auf psychische und Verhaltensstörungen entfielen nach dieser Schätzung 6,3 Milliarden Euro (siehe Antwort auf Frage 12, Seiten 14-15).
  • Die Bundesregierung verweist darauf, dass ein wichtiges Instrument zur Reduzierung von psychischen Belastungen die Gefährdungsbeurteilung sei. Diese wird allerdings laut einer Betriebsrätebefragung des WSI nur in 56 Prozent der mitbestimmten Betriebe durchgeführt. Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung psychischer Belastungen bestätigten sogar nur 20 % der befragten Betriebsräte. Genaue statistische Daten liegen nicht vor, da es weder eine entsprechen Meldepflicht zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen gibt noch die Kontrollen der Aufsichtsdienste der Länder und Unfallversicherungsträger flächendeckend oder regelmäßig in bestimmten Zeitabständen stattfinden würden (siehe Antwort auf Frage 13, Seite 15).
  • Psychische Belastungen nehmen aus Sicht der Bundesregierung mit dem Wandel der Arbeitswelt zu: fortlaufende Beschleunigung, zunehmende geistige Arbeit und steigende Anforderungen an Qualifikation, neue Technologien, permanente Erreichbarkeit, erhöhte Eigenverantwortung, diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse, berufliche Unsicherheit, wachsende Konkurrenz (siehe Antwort auf Frage 17,  Seite 18).
  • Leiharbeiter arbeiten unter Rahmenbedingungen, die die Gesundheit negativ beeinflussen (Qualifizierung, Unzufriedenheit mit Arbeitssituation, schlechtere Arbeitsbedingungen, höhere Arbeitsplatzunsicherheit, schlechteren Zugang zu Gesundheitsförderungsmaßnahmen) (siehe Antwort auf Frage 20, Seite 20).
  • Laut einer Befragung des BKK-Bundesverbandes waren im Jahr 2010 84 % der Berufstätigen außerhalb der regulären Arbeitszeit erreichbar. 51 Prozent waren jederzeit erreichbar, 5 Prozent in bestimmten Zeiten und 27 Prozent in Ausnahmefällen (siehe Antwort auf Frage 22, Seite 21).
  • Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit für rechtsetzende Schritte, da es bereits verschiedene Rechtsvorschriften gebe und der Wissens- und Erkenntnisstand erst verbreitert werden müsste. Am Ende eines gemeinsamen Prozesses mit Arbeitgebern und Gewerkschaften soll dann entschieden werden, ob rechtssetzende Schritte notwendig sind. Stattdessen setzt die Bundesregierung auf die Maßnahmen im Rahmen der GDA (Gemeinsame deutsche Arbeitsschutzstrategie), zu deren Zielen ab 2013 die Vermeidung psychischer Belastungen zählt. Hier geht es insbesondere um Information, Sensibilisierung, Qualifizierung, Verbreiterung guter Praxisbeispiele (also keine verpflichtenden Vorgaben für die Unternehmen). (siehe Antworten auf die Fragen 26 und 27, Seiten 25 und 26).