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Bundesregierung durchlöchert soziale Rechte

Nachricht von Andrej Hunko,

Die AfD will sie abschaffen, die Regierungskoalition akzeptiert sie nur zähneknirschend und mit Ausnahmen: die europäische Sozialcharta des Europarates, kurz ESC.  Die Fraktion DIE LINKE hingegen ist überzeugt, dass die Charta einer der wichtigsten Schutzmechanismen sozialer Rechte in Deutschland und Europa ist und umfassend umgesetzt werden muss. Diese Woche hat der Bundestag über die Ratifizierung entschieden.

Meilenstein für soziale Rechte in Europa

Die Sozialcharta ist eine Konvention des Europarates, nicht der Europäischen Union. 1961 trat sie in Kraft und war ein Meilenstein für soziale Rechte in Europa. Die Mitgliedsstaaten konnten sich durch eine Unterzeichnung und Ratifizierung völkerrechtlich dazu verpflichten, die in der Charta definierten Rechte zu garantieren. Dazu gehören beispielsweise das Recht auf Arbeit, das Recht auf Kollektivverhandlungen (zum Beispiel Tarifverhandlungen) und das Recht auf soziale Sicherheit. Deutschland ratifizierte die Sozialcharta 1965 und akzeptierte dabei 67 der 72 Verpflichtungen. Zu den Ausnahmen gehören Kündigungsfristen, Mindestalter für Beschäftigung, Schutzvorschriften für Schwangere, Sonderkündigungsschutz, Nachtarbeit und Anregung beruflicher Ausbildung. Andere Länder wie Frankreich oder Italien machten hingegen keine Ausnahmen.

Bundesregierung verzögert Ratifizierung

1999 trat nach langen Verhandlungen eine überarbeitete Fassung der Sozialcharta in Kraft, die sogenannte „Revidierte“ Sozialcharta. Darin sind zwölf neue Artikel enthalten. Sie behandeln unter anderem das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung, das Recht auf Wohnung oder Kündigungsschutz. Auch die Rechte auf Arbeitslosenunterstützung, auf Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind darin enthalten. Deutschland unterzeichnete diese neue Version acht Jahre später. Es dauerte jedoch weitere 13 Jahre, bis die Regierungskoalition sie nun endlich dem Bundestag zur Ratifizierung vorlegt, wie es die Fraktion DIE LINKE seit Jahren fordert. Diese Woche hat der Bundestag endlich dem Ratifizierungsgesetz zugestimmt.

Auch jetzt noch: Wichtige Rechte werden nicht anerkannt, andere abgeschwächt

Doch die Sache hat einen Haken: Die Bundesregierung hat viele Artikel der Revidierten Sozialcharta ausgeklammert. Einerseits werden die bereits gegenüber der ursprünglichen Sozialcharta bestehenden Vorbehalte aufrechterhalten. Darüber hinaus werden wichtige neue Rechte der Revidierten Sozialcharta nicht anerkannt. Hierzu gehören unter anderem die Rechte auf Kündigungsschutz, auf Schutz gegen Armut und auf Wohnung. Zudem sieht der Gesetzentwurf mehrere sogenannte „Auslegungserklärungen“ vor, die die Wirksamkeit abschwächen.

Bundesregierung stellt soziale Rechte aufs Abstellgleis

Das positive Signal, das von der Ratifizierung der Revidierten Sozialcharta für die Stärkung sozialer Rechte ausgeht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung also leider als Versuch, sie auf ein Abstellgleis zu setzen. Denn durch die diversen Einschränkungen wird der Beitritt kaum Fortschritt für die Menschen in Deutschland bringen. Es werden lediglich die Rechte akzeptiert, die ohnehin schon durch die deutsche Gesetzgebung garantiert sind. Die Debatte um die Rechte der Charta wird aber durch diese „Ratifizierung à la carte“ beendet.

Fraktion DIE LINKE fordert volle Anerkennung

Die Fraktion DIE LINKE hat deshalb zwei eigene Anträge eingebracht. Der eine fordert die Ratifizierung ohne Ausnahmen. Dadurch müssten in Deutschland einige Gesetze zugunsten von Beschäftigten geändert werden. Sie würden dadurch gestärkt.

Soziale Rechte durchsetzbar machen

Außerdem fordert die Fraktion, dass auch das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden unterzeichnet wird. Denn es gibt im Rahmen der Sozialcharta keine unmittelbaren gerichtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten wie bei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Deren Rechte können vor dem zuständigen Gerichtshof (EGMR) eingeklagt werden. Bei der Sozialcharta hingegen ist der Europäische Sozialausschuss des Europarates zuständig. Das Problem ist, dass er die Einhaltung der Charta nur alle vier Jahre prüft. Durch das Zusatzprotokoll könnten Gewerkschaften und Verbände konkrete Einzelfälle direkt vor diesen Ausschuss bringen und Verstöße gegen die Charta feststellen lassen. Das wäre ein großer Fortschritt. Doch die Bundesregierung blockiert weiter.

AfD fordert komplette Aufkündigung der ESC

Bezeichnend ist auch die Rolle der AfD. Sie lehnt nicht nur die Ratifizierung der neuen Fassung ab, sondern beantragt gar, dass Deutschland die Sozialcharta komplett aufkündigt. Einmal mehr entlarvt sie sich damit als anti-soziale Partei, die die Interessen der Reichen und nicht der Beschäftigten vertritt.

Europa braucht soziale Rechte

Für die Fraktion DIE LINKE ist hingegen klar, dass das System der Konventionen des Europarates einzigartig und von großer Bedeutung ist. Eine unserer Kritiken an den EU-Verträgen ist das weitgehende Fehlen sozialer Rechte. Hier stellt die Revidierte Europäische Sozialcharta ein positives Gegenbeispiel dar, das dringend gestärkt werden muss – ausnahmslos und konsequent.