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Bundesregierung antwortet mit substanzlosen Werbebotschaften

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Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE »Soziale, ökologische, ökonomische und politische Effekte des EU-USA Freihandelsabkommens«

 

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Vorbemerkung der Bundesregierung (S. 2 – 5)

Hier ist viel von Chancen die Rede, obwohl in den gesamten 125 Antworten die konkreten Vorteile des TTIP gar nicht benannt werden können. Selbst die von der EU-Kommission angeführten, ohnehin geringen positiven Arbeitsplatz- und Wachstumseffekte ergeben sich nur aus spezifischen Modellannahmen der Auftragsstudien (Frage 10/11). Sie haben – wie die Bundesregierung (BR) selbst sagt – keinen großen Erkenntniswert und sind substanzlose Werbebotschaften.

Die Bundesregierung legt einen besonderen Schwerpunkt auf die „Öffnung der Beschaffungsmärkte in den USA für europäische Unternehmen“ und wird damit scheitern. Warum? Die USA haben von Beginn an klar gemacht, dass hierüber nicht in der von der EU gewünschten Breite verhandelt werden kann. Die hierfür notwendigen Eingriffe in die Gesetzgebung der Bundesstaaten sind durch die Verfassung nicht möglich beziehungsweise es werden keine Mehrheiten gefunden werden. Bestenfalls wird dieses Beharren zum Bumerang für Europa und Deutschland. Denn hier könnten über das TTIP die Ausschreibungen für öffentliche Aufträge auf US-amerikanische Anbieter erweitert und damit die Vergabegesetzgebung signifikant zu Lasten klein- und mittelständischer europäischer Unternehmen verändert werden.

Die Behauptung, das „Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA [würde] enorme Chancen bieten, um stärker als bisher zu beginnen, einer globalisierten Wirtschaft Spielregeln zu geben“, ist vermessen und anmaßend. Nur eine multilaterale, demokratische Organisation wäre sinnvoll. Die Welthandelsorganisation (WTO) ist in Fragen des Handels und der Investitionen dazu aktuell nicht in der Lage und blockiert, da USA und EU nicht bereit sind zu akzeptieren, dass viele Entwicklungs- und Schwellenländer eigene und zwar andere Vorstellungen von „Spielregeln“ haben. Wenn es solche globalen Regeln also (noch) nicht ausreichend gibt, dann unter anderem weil die USA und EU auf falsche oder zumindest einseitige Regeln zu ihrem Vorteil setzen.

 

Öffentlichkeit, demokratische Entscheidungsfindung und Mitbestimmung

Frage 1

Augenwischerei: Die aufgelisteten Konsultationen und die beschriebene Transparenz-Offensive von EU-Kommission und Bundesregierung sind meist PR-Veranstaltungen. Hier werden nur die ohnehin bekannten offiziellen Positionen vertreten, wie sie auch in den Antworten der Großen Anmfrage zum Ausdruck kommen.

Konkrete Antworten auf die inhaltliche Kritik gibt es nicht. So haben NGOs immer wieder die Frage gestellt, welche etwaigen Rechtsschutzdefizite für US-Investoren in der EU und für EU-Investoren in den USA ein Investitionsschutzkapitel erfordern und warum diese Defizite nicht unverzüglich durch die nationalen Gesetzgebungen behoben werden. Eine Antwort darauf gab es nie, auch nicht am 5.Mai bei der zitierten Veranstaltung mit de Gucht, Froman und Gabriel.

Konsultationen und kritische Begleitungen der Positionsfindung bei den Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Dabei ist schon allein die quantitative Überlegenheit von Lobbygruppen aus dem Unternehmensbereich erdrückend und steht in keinem Verhältnis zu den Möglichkeiten von Verbraucherschutzgruppen, Umweltverbänden, Gewerkschaften und unzähligen Nichtregierungsorganisationen (vgl. Corporate Europe Observatory 2014). Die Behauptung, man könne seine Positionen über solche „Konsultationen“ einbringen, ist letztlich aber auch inhaltlich absurd. Denn die Öffentlichkeit erfährt nicht wer was wann einbringen kann, weil die Verhandlungspapiere geheim sind.

Frage 2

Augenwischerei: Der am 21. Mai eingerichtete TTIP-Beirat beim BMWE hat keinen großen inhaltlichen Spielraum und wird die Positionsfindung der Bundesregierung kaum prägen können. Die Beiratsmitglieder dürfen nicht einmal eigene Experten mitbringen. Ein ernsthafter Dialog auf Augenhöhe über komplexe Fragen von Handel und Investitionen wird so nicht möglich. Allenfalls werden wichtige Funktionäre eng eingebunden und Transparenz suggeriert, um öffentliche Kritik zu minimieren.

Frage 3

Unglaubwürdig und unlogisch: Dass mit dem TTIP kein Abbau des Schutzniveaus in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Verbraucherschutz, Arbeit, Umwelt und kulturelle Vielfalt verbunden ist, wird stets wiederholt und bleibt unglaubwürdig. Wenn man Standards/Regeln/Normen angleichen möchte und durch mehr regulatorische Kooperation nicht-tarifäre Handelshemmnisse abbauen will, verändert man logischerweise die geltenden Standards/Regeln/Normen. Ansonsten gibt es keine Angleichung. Wer also behauptet, das bisherige deutsche/europäische Schutzniveau werde erhalten, setzt implizit voraus, die USA würden in weiten Teilen unsere Standards/Regeln/Normen übernehmen.

Solch eine Aussage ist Unsinn und wird durch die klare Positionierung der US-Seite bei den Verhandlungen zu den jeweiligen Bereichen auch umfangreich dokumentiert. Ansonsten wären die Verhandlungen auch völlig sinnfrei. Man könnte schlicht übereinkommen, die jeweils höchsten Standards/Normen/Regeln wechselseitig zu übernehmen. Man müsste eben „nur“ inhaltlich klären, was die besten Standards/Normen/Regeln sind, die das höchste Schutzniveau garantieren. Aber genau darum geht es in den TTIP Verhandlungen an keiner Stelle.

Frage 6

Unzureichend: Da der Vertrag nicht vorliegt, wie die BR stets betont, ist die Aussage aktuell wenig haltbar. Da zudem die gemeinsame Handels- und Investitionspolitik durch die Verträge von Lissabon auf die EU-Kommission übergegangen ist, kann der Verweis darauf, dass viele Teile des TTIP vergleichbaren Freihandelsabkommen entsprechen, nicht überzeugen. Mit TTIP und CETA (Abkommen EU-Kanada) wird außerdem so weit in die Entscheidungshoheit der europäischen Mitgliedsstaaten eingegriffen, dass Änderungen des Grundgesetzes notwendig werden könnten.

Frage 8

Falsch: Länder und Kommunen sind nicht in den Verhandlungsprozess intensiv eingebunden und haben auch keine signifikante Möglichkeit, auf Folgen des Abkommens hinzuweisen und negative Folgen abzuwenden. Die Bundesländer kennen weder die konkreten Deals zwischen den Verhandlungspartnern noch die konkreten Verhandlungspapiere – diejenigen der US-Seite kennt ja nicht einmal nach eigener Aussage die Bundesregierung. Wer diese Informationen im Detail nicht hat, kann logischerweise auch nicht „intensiv eingebunden“ sein. Zudem ignoriert die BR seit Monaten entsprechende Bundesratsbeschlüsse zur Geheimhaltung, Einbindung, zu roten Linien und inhaltlicher Kritik an den TTIP-Verhandlungen. Beispielsweise haben die Bundesländer (Entschließung vom Juni 2013) eine weitere Dienstleistungsliberalisierung kritisch beurteilt und abgelehnt. Die BR setzt sich jedoch für weitere Dienstleistungsliberalisierung auch im TTIP ein.

Frage10/11

Richtig, aber inkonsequent: Die BR verweist zu Recht auf die spezifischen Modellannahmen mit geringer Validität, die den Prognosen zu den positiven Arbeitsplatzeffekten und zum Wirtschaftswachstum unterliegen. Entsprechend sind die in Antwort 11 aufgeführten Aussagen der offiziellen Auftragsstudie der EU-KOM zum Thema ebenso kaum valide und logischerweise auch weitgehend untauglich zur Beschreibung der tatsächlich möglichen Effekte. Entsprechend ist ab jetzt mehr Zurückhaltung von der BR zu erwarten, wenn es um die steilen Thesen zu den positiven ökonomischen Effekten des TTIP geht.

Frage 12

Unzureichend: Die BR vermeidet eine klare Aussage bei der Frage, ob das TTIP ein „living agreement“ wird oder werden soll. Die BR „unterstützt die Bestrebungen, durch den Dialog über geplante technische Regeln das Entstehen neuer Handelshemmnisse zu vermeiden, wo dies ohne Abstriche beim Schutzniveau möglich ist.“ Es reicht demnach, wenn der geplante Regulatorische Kooperationsrat behauptet, es gebe keine Abstriche beim Schutzniveau, und so könnten an den Parlamenten vorbei neue Rechtsgrundlagen geschaffen werden. Man könnte z.B. einfach behaupten, das Schutzniveau der USA sei in vielen Bereichen dem der EU gleichwertig, womit sich die unterschiedliche Standard-/Normsetzung und die politische Regulierung erübrigt (siehe Frage 3).

Frage 13

Falsch: Die BR täuscht sich mit ihrer Aussage, dass es sich bei dem Mechanismus der regulatorischen Kooperation „um die Kooperation nationaler Regulierungsbehörden und nicht um eine mit Entscheidungsbefugnis ausgestattet Behörde [handelt].“ Ebenso ist keine Beteiligung nationaler Parlamente oder von Vertretern der Zivilgesellschaft außerhalb von Wirtschaftslobbys vorgesehen.

Das Gegenteil ist der Fall wie sich beispielsweise in dem bereits geleakten Positionspapier der EU-Kommission zum TTIP ablesen lässt (Cross-cutting disciplines and Institutional provisions - Position paper – Chapter on Regulatory Coherence)

Frage 14-16

Widersprüchlich: Bezieht sich inhaltlich auf Frage 13 und damit wird klar, dass die BR widersprüchlich oder unwissend argumentiert. Die regulatorische Kooperation ist also durchaus angedacht. Aber wie und was genau konkret gemacht werden sollte, ist der BR unklar?
In solch einem wichtigen strategischen Feld der künftigen Regelsetzung unbestimmt zu agieren, ist mehr als bedenklich. Schließlich wird bei einer Etablierung eines solchen Gremiums und selbst bei einer veränderten, besseren regulatorischen Zusammenarbeit die künftige Regelsetzung in entscheidenden Politikfeldern vorausbestimmt. Inwieweit künftig die Politik in weiten Teilen gebunden wäre, ist überhaupt nicht abzusehen und ist hoch sensibel. Zumal der erwähnte Prüfmechanismus auch ausgelagert werden könnte – in bilaterale Gremien, die aus EU- und US-Vertretern bestehen. Aktuell plant die EU-Kommission im Rahmen des REFIT-Initiative (Pressemitteilung IP/14/682 vom 18. Juni 2014) eine solche Generalüberprüfung künftiger Regulation auf „Wettbewerbsfähigkeitsfragen“. Da wäre dann die Kompatibilität mit TTIP eine der Fragen, die abgeprüft würden. Die effektive Beteiligung von Parlamenten und er Zivilgesellschaft ist auch hier nicht vorgesehen.

Frage 17

Falsch: Steht im Kontext zu den Fragen 13-16 und ist im Zusammenhang mit der REFIT-Initiative der Kommission zu sehen, die nach US Vorbild das Ziel hat, Regulierung zu erschweren und ihre Inhalte mit Vertretern der Wirtschaft vorab zu verhandeln.
Einen Vorgeschmack auf das angestrebte Verfahren bietet die jüngst beschlossene Regelung zu nationalen Anbauverboten für Gentechnik, bei der Mitgliedsstaaten diese nur verhängen können, wenn sie vorher mit der Gentechnik-Industrie darüber verhandelt haben. Schleichend werden hier Industriekonzernen Rechte gegenüber den gewählten Verfassungsorganen eingeräumt, die mit den hergebrachten Grundsätzen demokratischer Rechtsstaaten kaum vereinbar sind. Insbesondere unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist dies extrem problematisch, weil allen Interessengruppen, die einen Strukturwandel zu mehr Nachhaltigkeit verlangsamen oder verhindern wollen, mit einer solchen »neuen« Regulierungsphilosophie zahlreiche Verzögerungs-Mechanismen an die Hand gegeben werden. Die US-Seite scheint im Grundsatz ähnliche Vorstellungen zu haben. Hat man diese Regulierungsphilosophie einmal in einem völkerrechtlichen Vertrag verankert, ist sie kaum noch zu ändern. Im Verhandlungsbericht der EU-KOM über die 5.Runde zum TTIP heisst es: »Both sides agree that a solid institutional mechanism is needed to make TTIP deliver the expected outcomes« - das ist wohl mit einem Regulatory Cooperation Council gemeint (vgl. BT-Drucksache 18/238; S. 13)

 

Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, soziale, ökologische Standards und Normen

Frage 18-19

Richtig, aber inkonsistent: BR verweist auf die Notwendigkeit von Investitionsschutzklauseln und Schiedsgerichtsbarkeit mit Ländern, bei denen Rechtsunsicherheit besteht oder bei denen Investoren nicht mit dem Recht des jeweiligen Staates vertraut sind. Ungeachtet dieser Definition gilt all dies nicht für die EU, die USA und/oder Kanada (CETA-Abkommen). Entsprechend hinfällig ist die Aufnahme von Investitionsschutzklauseln und Schiedsgerichtsverfahren(ISDS) im TTIP/CETA.

Frage 20

Falsch: BR verweist darauf, dass den TTIP-Verhandlungen keine belastbare Legaldefinition von nicht-tarifären Handelshemmnissen unterliegt. Das heißt zugespitzt: Sobald ISDS Verfahren enthalten sind, lassen sich im Prinzip unzählige Aspekte von Unternehmen als nicht-tarifäres Handelshemmnis angreifen. Der nachgeschobene Absatz, die BR würde sicherstellen, dass erreichte Schutzniveaus nicht gefährdet werden, trägt nicht. Dies erfordert klare Vertragsklauseln und Bestimmungen, die einen umfangreichen Schutz von Regeln/Normen und Standards gewähren müssen. Allerdings wird gerade dies nicht mit dem TTIP versucht.

Frage 21

Fragwürdig: Da in der Antwort auf Frage 20 explizit formuliert wurde, dass es keine belastbare Definition von nicht-tarifären Handelshemmnissen gibt, ist nicht klar, ob Arbeitsschutzvorschriften und Arbeitnehmerschutzrechte als solches gelten würden. Was die BR meint, spielt eine nachgeordnete Rolle. Es wird im Kern auf die ISDS-Klagen und die IDSD-Schiedssprüche ankommen.

Frage 22-23

Falsch: Was die Bundesregierung erwartet, ist eine Sache. Die Realität sieht leider anders aus. Investor-Staat-Schiedsrichter haben kürzlich Ägypten zur Zahlung von Schadensersatz an Veolia verurteilt, weil in Ägypten u.a. der Mindestlohn im Geschäftsfeld von Veolia angehoben wurde. Es mag sein, dass die Bundesregierung nicht erwartet, dass Deutschland wegen solcher Gesetze verklagt werden kann. Aber sie hat auch nicht erwartet, dass Vattenfall sie wegen des Atomausstiegs verklagt.

Frage 27-28

Falsch: Es gibt leider eine lange Liste von ISDS-Urteilen, die die Behauptung widerlegen, „Negative Auswirkungen einer Gesetzesänderung oder administrativen Maßnahme auf eine bereits getätigte Investition z. B. zum Abbau von Bodenschätzen reichen grundsätzlich nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch im Rahmen eines solchen Verfahrens zu begründen.“ (vgl. UNCTAD zu ISDS-Verfahren)

Frage 30:

Ignorant: Wenn die BR tatsächlich keine Schlussfolgerungen aus 20 Jahren Erfahrung mit dem NAFTA-Abkommen zieht, dann ist sie schlicht nicht hinreichend qualifiziert, sich überhaupt mit Fragen des Handels, mit ISDS-Verfahren und Investitionsregimen zu befassen und sich zu TTIP und zu CETA zu äußern. Richtig ist, dass das TTIP einen anderen Charakter hat. Allerdings sind Kernbestandteile identisch, und auch die offiziellen NAFTA-Prognosen haben sich als nichtig erwiesen.

Aus den NAFTA-Erfahrungen zieht Kanada die Schlussfolgerung, den Anwendungsbereich von ISDS in CETA einschränken zu wollen. Allerdings stößt die kanadische Seite damit auf harten Widerstand der EU-Kommission. Auch die BR interveniert hier nicht und hat letztlich keinen konsistenten Standpunkt. Denn bei CETA kritisiert sie nicht, dass eine Investitionsschutzklausel und ISDS-Verfahren gar nicht benötigt werden. Dabei liegt auch hier kein sachlicher Grund vor (siehe Frage 18-19).

Frage 31

Falsch: Genau diese enge Definition wird von der EU-Kommission weder bei TTIP noch bei CETA geplant. Im Gegenteil wird hier auf eine möglichst weite Definition bestanden, wobei die Mitgliedsstaaten der EU diesen Ansatz sogar noch stützen. Auch hier ist die die „Kritik“ der BR eher nachrangig, zumal sie sich nicht konsequent für die Streichung entsprechender Klauseln einsetzt.

Frage 32

Unbeantwortet: Abgehakt durch den Verweis auf einen völlig hypothetischen Fall. Eine solche Übereinkunft mit den USA ist überhaupt nicht in Sicht.

Frage 34

Unzureichend: Die EU-Kommission ist offenbar ganz anderer Auffassung, wie unter anderem der Generaldirektor Wettbewerb am 1. Juli 2014 auf einer Konferenz (Challenges for Transatlantic Business under New European Leadership) hervorhob. TTIP ist letztlich ein Instrument, das ungeliebte REACH (Chemikalienverordnung der EU) auszuhebeln oder abzuschwächen indem etwa die Gleichwertigkeit mit den laxeren US-Standards behauptet wird. Soviel auch zur Frage der Beibehaltung des Vorsorgeprinzips und keine Absenkung von Schutzniveaus (siehe Frage 3)

Frage 37

Unzureichend: Selbstverständlich kann durch eine enge Definition des Begriffs „enteignungsgleich“ die Souveränität des Gesetzgebers gesichert werden. Aber genau diese klare Definition ist nicht in Sicht, da der Ansatz im TTIP völlig anders ist!

Frage 38

Falsch und ignorant: Angestrebt werden ganz klar weitere Dienstleistungsliberalisierungen, die über das GATS und die EU-Dienstleistungsrichtlinie hinausgehen. Kein Bundestag, kein Bundesrat, kein Landtag hat das je gefordert. Der Bundesrat hat im Juni 2013 in seiner TTIP-Entschließung sogar festgestellt, es sei bei Dienstleistungen schon genug liberalisiert worden. Gutes Beispiel dafür, wie die BR brachial eine Agenda durchpaukt, die keine Mehrheit in der Gesellschaft hat.

Darüber hinaus sind die bisherigen Klauseln zum Schutz bestimmter Standards und von öffentlichen Dienstleistungen unzureichend. Ein Privatisierungsschub ist absehbar. Wie die EU-Kommission selbst feststellt, sind Ausnahmeklauseln (wie im GATS für hoheitliche Dienste) völlig ungeeignet, um den „Schutz“ öffentlicher Dienstleistungen zu gewährleisten. Genau deshalb mussten bereits bestehende Verträge unter dem GATS Regime auch „nachverhandelt“ werden (vgl. Commission Proposal for the Modernisation of the Treatment of Public Servieces in EU Trade Agreements; EU-KOM 26. Oktober 2011). Klare, juristisch belastbare Formulierungen sind zwingend notwendig, um überhaupt bestimmte Ausnahmen vom „Liberalisierungszwang“ zu erhalten. Die bisherigen TTIP-Verhandlungen sind durch solche klaren Positionierungen aber bisher nicht bestimmt worden.

Frage 39

Falsch: In den laufenden Verhandlungen wird bereits in Frage gestellt, ob der Rundfunk eigentlich ein „audiovisuelles Medium“ ist und nicht stattdessen unter „Telekommunikation“ eingruppiert werden könnte. So wird die ohnehin geringe Einschränkung zu den audiovisuellen Diensten faktisch heute bereits unterlaufen. Ähnliches gilt für weite Bereiche der Kultur, worauf zu Recht der Deutsche Kulturrat seit Monaten dezidiert hinweist.

Frage 40-42

Unzureichend: Die Hoffnung der BR zählt nicht, sondern nur deren Einsatz bei der EU-Kommission und den übrigen EU-Mitgliedsstaaten, solche Ausnahmen für soziale Dienste klar zu kodifizieren. Zur Zeit stehen alle Dienstleistungen auf der Verhandlungsagenda, entsprechend auch „alle“ sozialen Dienstleistungen Es ist nicht einmal klar, ob ein Positiv- oder Negativlisten-Ansatz gewählt wird.

Frage 44

Unzureichend: Ein separates Nachhaltigkeitskapitel nützt im Hinblick auf den Schutz von Arbeitnehmerrechten wenig, was die Erfahrungen der letzten Dekaden mit diesen Kapiteln gezeigt haben. Auch deshalb, weil sie keine Sanktionsinstrumente beinhalten. In einem Unterkapitel den Schutz für Arbeitnehmer zu formulieren, bringt auch deshalb nicht viel, da in den übrigen Klauseln zumeist ganz andere Interessen dominieren. Entweder werden ökologische und soziale Aspekte Grundbeststandteil solcher Verträge oder sie haben eher deklaratorischen Charakter. Es ist schon schwer, Arbeitsschutz und Arbeitnehmerrechte national oder europäisch zu gewährleisten. Ungleich schwerer wird dies bei internationalen Verträgen mit schwammigen Klauseln.

Frage 45

Beschämend: Nicht einmal die Nicht-Anerkennung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) durch die USA ist eine rote Linie für die BR bei der Unterzeichnung des TTIP. Käme es zu einer Abwägung eines komplett ausverhandelten Vertragswerks, wäre auch die „besondere Bedeutung“ der ILO-Normen hinfällig. Ähnlich würde es allen anderen „Schutzniveaus“ und Standards wohl ergehen.

Frage 47

Beschämend und ignorant: Die UN-Leitprinzipien sind allesamt unverbindliche Absichtserklärungen, die Arbeitnehmern und ihren Vertretern keine Rechtssicherheit bieten. Also wird es mit Blick auf diese Prinzipien und dem ebenfalls unzureichenden Nachhaltigkeitskapitel (siehe Frage 44) auch keinen wirksamen Interessenausgleich und auch keinen effektiven Mechanismus zur Durchsetzung von Schutzstandards im TTIP geben können.

Frage 48

Unlogisch und heuchlerisch: Auch wenn Gutachten aufgrund spezifischer Modellannahmen irreale ökonomische Effekte versprechen, werden sie zur PR ständig genutzt. Negative Effekte für Entwicklungs- und Schwellenländer, auf die alternative Gutachten mit realistischeren Annahmen hinweisen, werden dagegen kaum ernst genommen. Die WTO kommt seit den Verhandlungen in Doha deshalb nicht voran, weil die Liberalisierungs- und Deregulierungs-Agenda der EU und der USA  nicht mehrheitsfähig ist. Diese Agenda mithilfe von TTIP durchdrücken zu wollen, ist im Kern reine Machtpolitik und kommt einer Erpressung gleich.

Frage 49-52

Zynisch: Die möglichen Effekte des TTIP auf Drittstaaten sind scheinbar egal. Ohne Begründung wird erwartet, dass sich die Chancen und Möglichkeiten auch für Länder einstellen, die ohnehin im Welthandel marginalisiert sind. Soviel zur deutschen/europäischen Verantwortung in der „Globalisierung“.

 

Investitionsschutz und Investor-Staat Schiedsverfahren

Frage 59-71

Unzureichend und Augenwischerei: Wiederholt wird die Position, dass die BR gegen die Aufnahme einer Investitionsschutzklausel im TTIP ist. Es wird aber nicht erklärt, weshalb sie inhaltlich dagegen ist. Dann müsste unter anderem eingestanden werden, dass man mit den alten Klauseln und dem alten ISDS-Ansatz zufrieden ist und man eine zaghafte Reform (im Unterschied zur EU-Kommission und den USA) eher ablehnt.
Darüber hinaus wird nicht erklärt, warum die BR bei TTIP gegen ein entsprechendes Kapitel ist, aber bei CETA kein Problem damit hat. Eine unlogische Position, zumal amerikanische Firmen über ihre Tochtergesellschaften dann über die entsprechenden Klauseln in CETA ohnehin auch gegen europäische Staaten vorgehen könnten.

Der Hinweis auf die laufenden Konsultationen zum ISDS der EU-Kommission ist zwar richtig. Allerdings war diese Phase erstens von Anbeginn aufgrund der unterschiedlichen Positionen der Regierungen vorgesehen. Zudem war zweitens diese Phase bewusst vor die Europawahl gelegt worden, um den öffentlichen Druck zu minderen. Schließlich war drittens diese Konsultation nie auf die Frage ausgerichtet, ob im TTIP ein Investitionsschutzkapitel und Schiedsverfahren enthalten sein sollten oder nicht. Es ging nur darum, wie dieses Kapitel zu gestalten sei. Schon der Fragenkatalog der EU-Kommission hat sich darauf konzentriert. Die grundsätzliche Entscheidung ist im Verhandlungsmandat der EU-Kommission längst getroffen worden. Eine Revision gab es bisher nicht. Die Protokollnotiz und die Absichtserklärungen der BR haben daran bis heute nichts geändert. Auch ist dies keine rote Linie für die BR.

Frage 72

Falsch und ignorant: Die BR hat offenbar nicht zur Kenntnis genommen, dass Philip Morris Australien und Uruguay verklagt hat wegen Regeln zum stärkeren Verbraucherschutz und schärferen Bestimmungen bei der Werbung für Tabakwaren. Die BR ignoriert offensichtlich auch völlig, dass die EU-Kommission versucht, europäischen Pharmakonzernen in den Verhandlungen zu CETA das gleiche Klage-Recht wie US-Pharmakonzernen im Rahmen von NAFTA einzuräumen und damit dann geltende kanadische Patentrestriktionen anzugreifen, etwa bei Generika, um die Medikamente dann preisgünstiger anzubieten.

Frage 74

Falsch: Offensichtlich kennt die BR nicht die bisherigen über 500 ISDS-Verfahren (UNCTAD/WTO-Regime) und die entsprechenden Schiedssprüche. Diese Schiedssprüche zeigen, dass negative Auswirkungen einer Gesetzesänderung auf bereits getätigte Investitionen ausreichen, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Die einschlägigen Verfahren sind sowohl auf der Website der UNCATD als auch bei der WTO gelistet. Wie viele weitere Verfahren entschieden wurden, ist unklar.

Die Formulierung, ein Staat könne „lediglich zur Zahlung von Schadenersatz“ verklagt werden, ist mit der Frage gar nicht bestritten worden. Aber schon dies ist bereits eine Frechheit. Denn bei Streitfällen steht allen Unternehmen zumindest in den Industrienationen der normale Rechtsweg offen. Alles andere ist nicht notwendig und ist zudem eine Diskriminierung derjenigen inländischen Unternehmen, die auf das Instrument der Schiedsgerichtsbarkeit gar nicht zurückgreifen können – also der überwältigenden Mehrheit aller Unternehmen.

 

Verbraucherschutz

Frage 76

Falsch: Selbstverständlich steht die Absenkung von Standards/Normen/Regeln und damit auch das Schutzniveau in vielen Bereichen zur Disposition (siehe Frage 17; vgl. BT-Drucksache 18 (23)8)

Frage 79

Falsch: Die Regulierung der Finanzmärkte soll zurückgeführt werden. Zumindest ist dies das implizite Ziel, wie ein geleaktes Dokument eindeutig zeigt. Finanzmarktregulierungen würden für beide Seiten schwieriger werden. So hat jede neue oder auch bestehende Vorschrift „vernünftig und notwendig“ zu sein. Dies klingt harmlos, stellt aber jede Vorschrift zunächst generell infrage. Jede Finanzmarktregulierung würde von dem einzurichtenden „Gemeinsamen EU/US Regulierungs-Forum“ geprüft werden müssen (siehe Frage 13). Darüber hinaus könnte sich die bisherige Regulierung der Finanzakteure signifikant ändern.

Frage 80-86

Unzureichend und unlogisch: Da es keine klare Definition von nicht-tarifären Handelshemmnissen bei den Verhandlungen gibt (siehe Frage 3/11/20/76), dürfte es schwer zu bestimmen sein, welche dann nach Ansicht beider Verhandlungspartner ohne Abstriche beim Schutzniveau abgebaut werden können. Man hat eben unterschiedliche Vorstellungen von „Schutzniveaus“. Genau deshalb kann die BR nicht davon ausgehen, erwarten, hoffen und/oder behaupten, das Schutzniveau in Deutschland/Europa würde nicht sinken.

Welche Zulassungs- und Testverfahren angeglichen werden müssten, würde sich laut BR „im weiteren Verlauf der Verhandlung erst ergeben“. Diese Aussage belegt die wenig qualifizierte Beantwortung der Fragen zum Schutzniveau. Zulassungs- und Testverfahren nach bestimmten Prinzipien (hier u.a Vorsorgeprinzip) sind die Basis für ein bestimmtes „Schutzniveau“. Werden diese Verfahren verändert, kann das Niveau eben sinken. Oder es wäre festzuschreiben, dass nur solche Verfahren genutzt werden, die ein höheres Niveau erreichen. Aber dies ist nicht der Ansatz bei den TTIP-Verhandlungen.

Frage 91

Richtig, aber inkonsequent: „Bestehen unterschiedliche Schutzniveaus, ist somit aus Sicht der BR eine gegenseitige Anerkennung ausgeschlossen“. Diese Unterschiedlichkeit ist zwischen den USA und der EU in vielen Bereichen gegeben, die auch in der Großen Anfrage abgefragt wurden. Damit hätte sich das TTIP aber in weiten Teilen schlicht erledigt. Also geht es um die Anpassung und Angleichung auf gemeinsamem, also niedrigerem Niveau.

Frage 92

Unzureichend: Was „vergleichbar“ ist, sehen Kommission und US-Regierung völlig unterschiedlich, zumal viele der europäischen Schutzstandards oft sogar gegen den Widerstand der EU-Kommission auf ihr heutiges Niveau gebracht werden mussten.

Frage 96

Unzureichend: „Nach Auffassung der Bundesregierung dürften von einem solchen Gremium jedenfalls keine bindenden Entscheidungen für den Gesetzgeber getroffen werden.“ Das ist formaljuristisch korrekt. Wenn aber der Gesetzgeber per Abkommen dem Gremium Fragen zur Klärung überträgt, liegt hier ein Kernproblem (siehe Frage 13-16).

Frage 98

Falsch: Beispielhaft der Fall der Desinfektion von Fleisch mit Milchsäure und die Zulassung von genmodifiziertem Saatgut.

 

Kultur, Medien, geistiges Eigentum, Bildung und Datenschutz

Frage 101-103

Unzureichend und unverbindlich: Richtig ist, dass auf Druck von Frankreich „audiovisuelle Dienstleistungen“ im EU-Verhandlungsmandat zum TTIP zunächst ausgeklammert sind – gegen den Widerstand der Regierungen aus Deutschland, Großbritannien und der EU-Kommission! Die US-Seite will über audiovisuelle Dienste verhandeln (vgl. Schriftliche Antwort des US-Handelsbeauftragten M. Froman an das Committee on Ways and Means zur handelspol. Agenda des US-Präsidenten, 18. Juli 2013). Die EU-Kommission hat bereits im Juni 2013 angekündigt, zum späteren Zeitpunkt die Verhandlungen über audiovisuelle Dienste aufzunehmen und sich die Zustimmung der Mitgliedsstaaten geben zu lassen. Hier wäre also konkretes Agieren der Bundesregierung gefordert.

Entgegen der Aussagen der BR lässt sich „kulturelle und sprachliche Vielfalt“ nicht allgemein schützen. Das geht nur über Förderstrukturen, Schutzrechte und politische Vorgaben/Regulierungen. Genau diese stehen selbstverständlich zur Disposition, da sehr abweichende Vorstellungen über Kultur und deren Erbringung bestehen und über TTIP eine Anpassung/Angleichung erfolgen soll.

Ohnehin ist die klare Trennung schwierig, da etwa über den Bereich E-Commerce und E-Education implizit über Kernaspekte audiovisueller Dienste und von Kultur verhandelt wird. Inwieweit hier zwischen Kultur und Software/Technologie unterschieden werden kann, ist weitgehend ungeklärt, auch ob sie dann unter das Medien- oder Telekommunikationsrecht fallen und welche Aspekte des Urheberrechts, des Datenschutzes und der Wettbewerbsbestimmungen gelten (siehe Frage 35).

Frage 104

Unzureichend: Ob nach Ansicht der BR dies keine nicht-tarifären Handelshemmnisse sind, ist sekundär. Erstens gibt es keine belastbare Definition bei den Verhandlungen, wie die BR einräumt (Frage 20). Zweitens hat die EU-Kommission bereits im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen eine „Überprüfung bestehender Mehrwertsteuer-Rechtsvorschriften zu öffentlichen Einrichtungen und Steuerbefreiungen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ initiiert, wozu der Kulturbereich zählt. Drittens muss es bei den Verhandlungen nicht direkt um die Abschaffung bestimmter Regeln (hier Buchpreisbindung, reduzierter MwSt. etc.) gehen. Es reicht beispielsweise wenn diese Subventionen nach Abschluss der Verhandlungen bei einem Streitschlichtungsverfahren als Handelshemmnis „definiert“ werden und eine Kompensation gezahlt werden muss. Oder wenn allen privaten Anbietern über den späteren Vertragstext gleiche Subventionen und Förderungen zufallen. Um dies auszuschließen wären klare, eindeutige Klauseln im Dienstleistungskapitel des TTIP zu formulieren und weite Bereiche (Kultur, soziale Dienste etc.) von Liberalisierungsverpflichtungen auszuschließen respektive wenige Teilbereiche auf eine Positivliste zu setzen. Insgesamt bezieht die BR bislang keine klare Position, ob sie andernfalls den Vertragstext nicht ratifizieren würde.

Frage 106-109

Unverbindlich: Der Verweis auf die UNESCO-Konvention hilft nicht weiter, wenn kulturelle Bereiche in die Rubrik kommerzielle Dienstleistungen einsortiert werden (Frage 103). Ebenso wenig zieht dann der Verweis auf Art. 6 der Konvention, da sie dann gar nicht darunter fallen würden (beispielsweise E-Commerce, E-Learning, E-Education).

Frage 111-113

Unvollständig und einseitig: Das EU-Verhandlungsmandat legt einen besonderen Wert auf den Schutz des geistigen Eigentums etwa von Herkunftsbezeichnungen, wie z.B. Parmaschinken oder Allgäuer Emmentaler. Das Mandat gibt außerdem grünes Licht, auch alle anderen Fragen von Rechten geistigen Eigentums zu verhandeln. Ausgenommen sind allein strafrechtliche Zwangsmaßnahmen. Allerdings birgt dies konkret die Gefahr, dass die ohnehin schon sehr rigiden Systeme des Schutzes geistigen Eigentums weiter zu Gunsten der Unternehmen verschärft werden. Die Industrielobby drängt auf striktere Regeln, und die Forderungen werden in den Verhandlungen aufgegriffen. Positive Entwicklungen in der EU wie die Diskussionen über die Offenlegung von klinischen Testdaten sind in Gefahr. Schon jetzt ist etwa mit dem Verweis auf den „Schutz des geistigen Eigentums“ die Veröffentlichung von Medikamententestdaten in der EU verhindert worden.

Um lediglich bessere Herkunftsbezeichnungen für europäische Produkte in den USA zu erhalten, wäre der Aufwand für das TTIP unverhältnismäßig hoch. Es wird vielmehr um eine strikte Anwendung des Begriffs „geistiges Eigentum“ gehen, womit in der Regel die Schutzrechte für Unternehmen gemeint sind (siehe Frage 72). Im Umkehrschluss werden etwa die Urheberechtsbestimmungen und der Schutz des geistigen Eigentums kreativer Menschen weniger stark gewichtet. Zumal genau hier unter anderem im Kontext der Verwertung, der kommerziellen und öffentlichen Datensammlung und -verarbeitung große Unterschiede bei den Regeln/Normen/Standards zwischen den Verhandlungspartnern bestehen. Auch hier ist weitgehend unklar, wie ein „hohes“ europäisches Schutzniveau gehalten werden soll.

Frage 117

An der Sache vorbei: Da die „geistigen Eigentumsrechte“ dem Investitionsbegriff unterliegen (Frage 111) kann mit Aufnahme eines Investitionsschutzkapitels mit entsprechender Schiedsgerichtsbarkeit genau diese im Fragetext gemeinte „überstaatliche Gerichtsbarkeit“ auch über Urheberrechtsschutz, Patenstreitigkeiten und ähnliches entscheiden. Um dies auszuschließen, wäre erstens der gesamte Bereich des „geistigen Eigentums“ in einem fairen Interessenausgleich – nicht nur zwischen Unternehmen – zu regeln und zweitens die Möglichkeit der außergerichtlichen Schiedsverfahren nicht zu gewähren.  Ansonsten wird in den TTIP Verhandlungen weiter versucht, Teilaspekte des in der EU gescheiterten ACTA Abkommens zur Durchsetzung von Urheberrechtsschutz und Patenten zu formulieren (Frage 111-113). Dies würde jedoch eine Innovationspolitik verhindern, die auf Wissensaustausch, Flexibilität und dem Teilen von Informationen aufbaut und ein System exklusiver Rechte von Unternehmen und kapitalstarker Gruppen zementieren.

Frage 118-120

Unzureichend, unlogisch und weltfremd: Alle Verhandlungen über Handel und Investitionen mit Produkten und Dienstleistungen beinhalten implizit Aspekte von Datenschutz und Datensicherheit. Insbesondere wenn es um die Bereiche E-Commerce, E-Learning, Urheberecht, Patent- und Markenschutz geht, ist eine Trennung unmöglich. Sicherlich sind generelle Bestimmungen zum Datenschutz zwischen der EU und den USA auch außerhalb des TTIP zu verhandeln. Angesichts des NSA-Skandals und der unbegrenzten Datensammlung und Datenverarbeitung durch private Unternehmen sind solche Verhandlungen und Abkommen mehr als überfällig.

Allerdings ist es eine weltfremde Vorstellung, dass über unzählige Detailabsprachen und entsprechende Klauseln im TTIP nicht signifikante Aspekte der Datensicherheit und des Datenschutzes berührt und damit auch geprägt würden. Bereits in der jüngsten Vergangenheit hat die EU-Kommission zur „Erreichung“ regulatorischer Kohärenz unter TTIP bis dato geltende EU regeln zum Datenschutz verwässert. So wurden etwa wichtige Schutzbestimmungen gegen das Ausspionieren der EU-BürgerInnen durch die US-Geheimdienste beseitigt (vgl. Washington pushed EU to dillute data protection; Financial Times, 12. Juni 2013). Grundbedingung aller Verhandlungen wären es erstens, Kernaspekte des Datenschutzes und der Datensicherheit zwischen den Partnern auf eine neue Grundlage zu stellen. Denn offensichtlich besteht zwischen den USA und den EU ein grundsätzlich anderes Verständnis in der Sache und der Handhabung von Regeln/Normen/Standards zum Umgang mit Daten. Erst dann könnte zweitens überhaupt über Handel und Investitionen unter Wahrung der Datenschutzbestimmungen ernsthaft diskutiert werden. Alles andere unterminiert fast zwangsläufig den ohnehin bereits erodierten europäischen Datenschutz. Das von der BR behauptete hohe Schutzniveau ist sowohl durch kommerzielle Dienstleister/Unternehmen (Google, Facebook, Amazone etc.) als auch durch die Arbeit der Geheimdienste in Europa und den USA weitgehend Makulatur.

In dieser Hinsicht ist auch die an verschiedener Stelle der GA formulierte generelle Haltung der BR zur Notwendigkeit der Geheimhaltung der TTIP-Verhandlung ein Treppenwitz: Fast alle Dokumente, die dem Bundestag und den Abgeordneten vorgelegt werden, sind als Vertraulich/geheim (VS-NfD) eingestuft und können ohne Rechtsverstoß nicht unmittelbar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zahlreiche Dokumente werden zudem nach Aussagen der BR weder der Regierung noch den gewählten Parlamentariern vorgelegt beziehungsweise werden durch die EU-Kommission noch stärker als geheim klassifiziert, um deren „Verhandlungsstrategie“ nicht zu gefährden. Dabei ist im Zuge des NSA Skandals bereits hinlänglich bekannt geworden, dass die US-Regierung Büros der EU in New York, Washington und Brüssel verwanzt und ihre Computernetzwerke infiltriert. Sie hat damit Zugang zu internen E-Mails und unzähligen Dokumenten. Durch die ansatzlose und massenhafte Abschöpfung des europäischen Datenverkehrs sind wahrscheinlich auch alle als VS-NfD eingestuften Dokumente zum TTIP der US-Seite längst bekannt. Die einzigen, für die ein solchermaßen implodierter Datenschutz und die Geheimhaltung scheinbar weiter unbeschränkt gelten sollen, sind die Bürgerinnen und Bürger Europas und deren gewählte Abgeordnete.