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»Bundespolitischen Durchmarsch von Schwarz-Gelb stoppen«

Interview der Woche von Petra Pau,

Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages und Mitglied der Vorstandes der Fraktion DIE LINKE, erläutert, warum die Menschen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai auch über die Mehrheitsverhältnisse im Bund entscheiden und dass es eine \\"klare Alternative zu den Kriegs- und Hartz IV-Parteien\\" gibt.

Die Fraktion DIE LINKE geht in Klausur. Wo brennt es?

Klausuren sind etwas ganz Normales, zumal der Bundestags-Alltag für tiefer gehende Debatten wenig Zeit lässt.

Wird es auch um das neue Grundsatzprogramm der Partei gehen?

Nein, dass ist Sache der Partei. Was natürlich nicht ausschließt, dass die Fraktionsmitglieder zum vorgelegten Entwurf eine eigene Meinung haben.

Wie ist Ihre Meinung zum Entwurf?

Ich formuliere es mal vorsichtig: Der Entwurf ist höchst diskussionswürdig. So, wie er jetzt ist, würde ich ihm jedenfalls nicht zustimmen.

Die Klausur findet in Nordrhein-Westfalen statt, wo am 9. Mai ein neues Landesparlament gewählt wird. Zufall?

Eher praktisch. Viele von uns sind ohnehin in NRW unterwegs.

Welche Bedeutung messen Sie den NRW-Wahlen bei?

Eine dreifache: NRW ist das bevölkerungsreichste Bundesland. Rund 14 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind wahlberechtigt. Es geht um ihre Zukunft und um einen Wechsel in der Landespolitik. Dafür wirbt DIE LINKE. Zweitens haben es die Wählerinnen und Wähler in der Hand, die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu ändern. Sie können dadurch den bundespolitischen Durchmarsch von Schwarz-Gelb stoppen. Allein das lohnt alle Mühen. Und schließlich geht es nicht mehr nur um das kleinere oder um das größere Übel. Mit der Linkspartei gibt es erstmals eine klare Alternative zu den Kriegs- und Hartz IV-Parteien.

Sie mögen Schwarz-Gelb nicht, oder?

Es wird ja gern geschrieben, die Merkel-Westerwelle-Regierung habe den Start verpennt. Ich sehe das ganz anders. Schwarz-Gelb hat ein Schwachsinnsbeschleunigungsgesetz beschlossen, mit dem die Länder und Kommunen verarmt werden. Schwarz-Gelb will zurück in die Atomkraftära - ein Kniefall vor den Energie-Riesen. Und Schwarz-Gelb strebt die Kopfpauschale an - also ein Gesundheitssystem ohne Solidarität. Wenn das alles Schlafwagen-Politik ist, dann wehe uns, wenn Schwarz-Gelb erst in Fahrt kommt.

DIE LINKE ist im Bundestag strikt auf Gegenkurs zu Schwarz-Gelb …

… Ich finde, Schwarz-Gelb ist auf Gegenkurs zur Mehrheit der Bevölkerung. Neuerdings drohen sie sogar mit einer Autobahn-Maut für Pkw.

Was DIE LINKE als Abzocke geißelt?

Als Innenpolitikerin habe ich noch etwas ganz anderes im Blick. Das deutsche Mautsystem, also Tollcollect, hat das Zeug zur totalen Verkehrsüberwachung. Unterm Strich würden die Autofahrer und -fahrerin ihre eigene Überwachung auch noch bezahlen - tolle Collecte.

NRW-Ministerpräsident Rüttgers (CDU) gilt als widerborstiger Arbeiterführer.

Er ist ein Wolf im Schafspelz. Fakt ist: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer zahlreicher, auch in NRW. Ich kenne keine Rütli-Rüttgers-Bewegung, die wirklich dagegen rebelliert. Aber man kann ihn ja selber fragen. Denn soweit ich lese, bietet seine CDU Audienzen mit dem Landesvater gegen ein angemessenes Entgelt an.

DIE LINKE muss in NRW mit der 5-Prozenthürde kämpfen …

… Und sie kann das endlich auch erfolgreich tun, dank Gerhard Schröder.

Was hat der Ex-SPD-Kanzler damit zu tun?

Schon vergessen? Erst hatten die SPD und die Grünen ihre Agenda 2010 nebst Hartz IV beschlossen. Das führte zu bundesweiten Massenprotesten. Heraus kam damals eine neue Partei - die WASG. Dann hatte Gerhard Schröder vorgezogene Bundestagswahlen gefordert, übrigens am Abend der letzten NRW-Wahl. Heraus kamen 2005 die Fraktion DIE LINKE und seit 2007 die Partei DIE LINKE. Die SPD hat uns also wohlverdient.

Die SPD hält DIE LINKE weder für regierungsfähig, noch für regierungswillig.

Frau Kraft spricht kraftvoll. Das gehört zu ihrem Image. So viel ich politisch wahrnehme, versucht sie sich allerdings nicht als soziale Alternative zu Agenda 2010 ihrer eigenen Partei, sondern als Aphrodite einer spätdekadenten SPD.

Zur Sache, bitte!

Erstens gilt noch immer: Eine gute Opposition ist wichtig, allemal von links. Und was schlechte Regierungen anrichten können, hat die SPD zur Genüge demonstriert. Zweitens: In keinem Bundesland ist ein Politikwechsel bisher an der Linkspartei gescheitert, wohl aber an der SPD. In Hessen und Thüringen hat die SPD erst jüngst der CDU alle Ämter gerettet. Und drittens: Letztlich entscheiden politische Inhalte. Und da wackelt die SPD wie ein Pudding, während die Grünen ins Schwarze schielen.

Trotzdem, das klingt zaghaft, um nicht zu sagen: defensiv.

DIE LINKE muss sagen, was sie im Lande vor allem will. Mögliche Partner müssen ebenso sagen, was sie für NRW bewegen wollen. Geht das zusammen, dann ist Regieren immer eine ernste Option, alles andere wäre hasenfüßig.

Rot-Rot gilt für manche Linke als rotes Tuch. Was sagen Sie als Berlinerin dazu?

Mit Rot-Rot kam im Land Berlin die politische Wende. Die vorher forcierte Privatisierung von Landeseigentum wurde gestoppt. Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor bringt inzwischen tausende Erwerbslose in würdige Arbeit. Und neue Gemeinschaftsschulen sind eine Alternative zur üblichen Auslesebildung. Das und noch mehr sind Referenzprojekte der Berliner Linkspartei. DIE LINKE wirkt in der Tat.

Eines Ihrer Themen ist der Kampf gegen Rechtsextremismus. Was fällt Ihnen dabei mit Blick auf die Nordrhein-Westfalen-Wahl ein?

Es gab in Nordrhein-Westfalen immer Hochburgen alter und neuer Nazis. Mit „Pro Köln“ und „Pro NRW“ sind zwei rechtspopulistische Initiativen hinzugekommen. Sie geben sich bürgernah und sozial, aber sie sind menschen- und kulturfeindlich. Nationalismus, Deutschtümelei und Überheblichkeit waren geistige Wurzeln des Hitler-Regimes. Von der Herrschaft dieses Macht- und Rassenwahns wurde Deutschland vor 65 Jahren, an einem 8. Mai befreit. Man sollte seinen Nachäffern am 9. Mai keine neue Tür öffnen.

Das mag historisch korrekt sein. Aber der Alltag ist keine Studierstube und Wahlen sind keine Abiturprüfung.

Übersichtliche Antwort: Es bleibt ein fundamentaler Unterschied, ob von rechts „Ausländer raus“ und „Arbeit für Deutsche“ oder ob von links eine sozial-orientierte EU und Mindestlöhne für alle gefordert werden. Es ist ein Unterschied, ob Linke „Krieg als Fortsetzung der Politik“ grundsätzlich ablehnen oder ob Rechte „kein deutsches Blut für US-Öl“ fordern. Es ist ebenso das Gegenteil, wenn Rechte ein vermeintliches Privileg „ordentlicher Deutscher“ fordern oder wenn Linke für die unantastbare Würde aller kämpfen.

Nun sind wir aber doch von der NRW-Wahl abgedriftet, oder?

Mitnichten: 1998 gab es eine gesellschaftliche Bewegung gegen die damalige schwarz-gelbe Regierung, sprich: Helmut Kohl. Gewerkschaften opponierten und selbst die Kirchen mischten sich damals mit einem „Sozialwort“ ein. Sie alle verstummten, sie fügten sich, sie ergaben sich. SPD und Grüne begruben danach alle sozialen Hoffnungen. Von da an ging es endgültig bergab. Wer, wenn nicht die Wählerinnen und Wähler in NRW, sollten nunmehr darauf engagierter reagieren: sozial, gerecht und friedliebend?!

Fragen: Rainer Brandt

linksfraktion.de, 12. April 2010