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Bürgerschaftliches Engagement darf nicht bestraft werden

Im Wortlaut,

Von Katrin Kunert und Katja Kipping, kommunal- bzw. sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
 

 

 

Bürgerschaftliches Engagement ist eine unverzichtbare Bedingung für die Zukunftsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft. Mehr als 23 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich. Der ehrenamtliche Bürgermeister, die ehrenamtliche Feuerwehrfrau und die Übungsleiterin der Kinderturngruppe, alle leisten wertvolle Arbeit für das Gemeinwesen. Aber die Bundesregierung meint, Bürgermeister ist nicht gleich Bürgermeister, Feuerwehrfrau nicht gleich Feuerwehrfrau und Übungsleiterin nicht gleich Übungsleiterin. Ihr Wirken wird nicht gleichermaßen anerkannt. Die zweckgebundene Aufwandsentschädigung wird bei ALG-II-Beziehenden angerechnet, bei anderen nicht.

Der Ortsteilbürgermeister von Erfurt-Herrenberg in Thüringen übt sein Amt ehrenamtlich aus und erhält eine pauschale Aufwandsentschädigung in Höhe von 475,50 Euro im Monat. Mit diesem Betrag sollen die Kosten, die durch die Wahrnehmung seines Amtes entstehen, ausgeglichen werden. Der Bürgermeister finanziert damit seine Bürgersprechstunde, Fahrten zu Terminen, die er im Rahmen seines Amtes wahrnimmt sowie Telekommunikationsmittel und Arbeitsmaterialien. Als ALG-II-Beziehender bekommt dieser Bürgermeister aber einen Großteil der Aufwandsentschädigung, nämlich 225,00 Euro auf seinen Regelsatz angerechnet. Ihm bleiben also faktisch nur 250,50 Euro pro Monat von seiner Aufwandsentschädigung.

Jetzt kann man dem Bürgermeister natürlich raten, die Belege für sämtliche Telefonate, Fahrten, Büromaterialien usw. zu sammeln und beim Jobcenter einzureichen und damit nachzuweisen, dass die Aufwendungen für sein Amt über den 250,50 Euro pro Monat gelegen haben. Wer wie ich die Tätigkeit als ehrenamtliche Amts- oder Mandatsträgerin kennt, weiß aber, dass derartige Ratschläge an den Bedingungen im realen Leben vorbeigehen. Wenn man versuchen würde, bei jeder Gesprächsminute am Telefon, bei jedem gefahrenen Kilometer, jedem verbrauchten Block, jedem Bleistift usw. durch Belege nachzuweisen, dass diese Dinge im Zusammenhang mit der Amts- bzw. Mandatsausübung benutzt wurden, entstünde ein Verwaltungsaufwand, der unverhältnismäßig und in vielen Fällen praktisch kaum durchführbar wäre. Zudem ist nicht einzusehen, dass jemand im ALG-II-Bezug, der sich ehrenamtlich engagiert, diesen Verwaltungsaufwand betreiben muss, während andere Ehrenamtliche ihre Aufwandsentschädigung zwar versteuern müssen im Übrigen aber auch ohne die Vorlage entsprechender Belege behalten dürfen.

Das Problem der Anrechnung pauschaler Aufwandsentschädigungen betrifft allerdings nicht nur das bürgerschaftliche Engagement im Bereich der Kommunalpolitik. Es betrifft auch ehrenamtliche Übungsleiter in Sportvereinen und ähnlichen Einrichtungen. Auf Nachfrage unserer Fraktionskollegin Kisten Tackmann hat die Bundesregierung erklärt, dass sich auch ehrenamtlich tätige Feuerwehrausbilderinnen und –ausbilder im SGB II Bezug ihre pauschale Aufwandsentschädigung auf den Regelsatz anrechnen lassen müssen. Eine Feuerwehrfrau aus dem Landkreis Ostprignitz/Ruppin muss nun aufgrund der Auszahlungsweise der Aufwandsentschädigung sogar ALG-II-Bezüge zurückzahlen. Das ist ungerecht und für niemanden nachvollziehbar.

Die Beispiele zeigen, es gibt bürgerschaftlich Engagierte 1. und 2. Klasse. Das will DIE LINKE ändern. Sie fordert: keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für ALG-II-Beziehende und hat dazu zwei Anträge in den Bundestag eingebracht.

linksfraktion.de, 26. April 2012