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Bürgerentscheide sind ein Gewinn für alle

Im Wortlaut von Halina Wawzyniak,

Stimmen Sie beim Volksentscheid »Neue Energie für Berlin« am 3. November 2013 mit Ja

Foto: Sascha Nolte

 

 

Von Halina Wawzyniak, Abgeordnete aus Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und netzpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Man kann darüber streiten, ob der Begriff „Volksentscheid“ nicht besser durch das Wort „Bürgerentscheid“ ersetzt werden sollte. DIE LINKE vertritt die Ansicht: Wer länger als fünf Jahre in diesem Land lebt, soll mitentscheiden dürfen. Da greift das Wort Volk nur schlecht, stattdessen sollen Bürgerinnen und Bürger zu Sachwaltern ihrer eigenen Angelegenheiten gemacht werden. Unser Grundgesetz geht davon aus, dass die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen vom Volke ausgeübt wird. Die CDU allerdings ist der Meinung, es genüge, wenn gewählt werden darf, der Rest sollte dann den Politikerinnen und Politikern überlassen werden. Eine arrogante und längst nicht mehr zeitgemäße Haltung.

Egal, wie der Volksentscheid Energie in Berlin ausgehen wird. Er ist schon jetzt ein Erfolg. Natürlich wäre es großartig, die Berlinerinnen und Berliner stimmten für eine Rekommunalisierung des Stromnetzes. Wir wollen das und kämpfen dafür. Das konkrete Ziel ist enorm wichtig. Ebenso wichtig aber ist, dass mit Bürgerentscheiden das Verhältnis von direkter und repräsentativer Demokratie zugunsten der direkten Demokratie verändert wird.

Es stimmt, dass es auch Bürgerentscheide geben kann, die ein „Ja“ zu mehr Intoleranz einfordern, sich gegen die Rechte von Minderheiten wenden. Dies ist ein schwieriges Thema, aber kein Argument, zu sagen, dass man dann lieber ganz auf direkte Demokratie verzichten wolle. Stattdessen besteht die Aufgabe der Zivilgesellschaft darin, die Menschen davon zu überzeugen, dass ein Abbau der Demokratie und der Menschenrechte auch dann eine Katastrophe bleibt, wenn er via Bürgerentscheid beschlossen wird.

Deutschland ist in Fragen direkter Demokratie ein Entwicklungsland. Wir verfügen zwar zwar über eine ausreichende und ausreichend entwickelbare technische Möglichkeit für direkte politische Teilhabe, doch es fehlen die Instrumente, solcherart Teilhabe dann auch praktisch zu realisieren.
Aber eine Demokratie, die mehr und mehr ohnmächtige Wut nährt, weil es an Mitteln und Möglichkeiten fehlt, Entscheidungen, die eine oder einen unmittelbar betreffen, zu beeinflussen, ist defizitär. Auch deshalb ist der Volksentscheid Energie wichtig. Er ist ein weiterer Schritt, dieses Defizit zu beseitigen.

Die Fortentwicklung der Demokratie muss aus meiner Sicht damit einhergehen, dass immer mehr Menschen an Entscheidungsprozessen beteiligt werden und über Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, mit abstimmen können. Sie macht sich daran fest, dass keine Gruppe von dieser Teilhabe ausgeschlossen wird – beispielsweise mit der Begründung, Menschen verfügten nicht über die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie leben.  Sie macht sich daran fest, dass die Zahl derer, die mitentscheiden können, größer wird, nicht kleiner. Und sei es „nur“ und beispielsweise durch eine Senkung des Wahlalters. Aber Wahlen allein genügen nicht, um von wirklicher Teilhabe zu sprechen. Sie sind eine Grundvoraussetzung, nicht weniger, aber auch nicht mehr. DIE LINKE hat einen Gesetzentwurf zur „Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung“ vorgelegt, der im Bundestag scheiterte. Doch 87 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sind laut einer Emnid-Umfrage (März 2013) für Volksentscheide. Wenn das keine kluge und qualifizierte Mehrheit ist!
 

linksfraktion.de, 29. Oktober 2013