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Breite Allianz gegen geplanten Verfassungsbruch

Kolumne von Katja Kipping,

Von Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales

Offensichtlich ist bei Schwarz-Gelb immer noch nicht angekommen, dass es sich bei dem sozio-kulturellen Existenzminimum um ein Grundrecht handelt, welches sich laut Urteil des Verfassungsgerichtes aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot ableitet. So meinte erst vor wenigen Tagen der FDP-Generalsekretär Christian Lindner verlautbaren zu müssen, dass die Neuberechnung der Regelsätze "aufkommensneutral" vonstatten zu gehen habe. Für die FDP sei es - so Lindner - "wichtig, dass die Reform nicht zu Mehrkosten führt." Als ob man ein Grundrecht nach Kassenlage und nach Gutdünken von Schwarz-Gelb vergeben könne. Herrn Lindner und Co. von der FDP sei gesagt: Das Grundrecht auf Teilhabe ist kein Fall für den schwarz-gelben Basar.

Zum Hintergrund: Im Februar 2010 hatte das Verfassungsgericht die Hartz IV-Sätze als verfassungswidrig eingestuft und den Gesetzgeber beauftragt, die Grundsicherung verfassungskonform auszugestalten. Dazu gehört, die Regelsätze nachvollziehbar und transparent neu zu berechnen.  Eine zentrale Kritik des Gerichts lautete, dass die bisherige Berechnung einer Punktlandung bei einer politisch gewollten Zahl glich. Insofern wäre es richtig gewesen, zuerst die Berechnungsmethode festzulegen und danach auf Grundlage der Daten den Betrag zu ermitteln.

Doch nicht so das Agieren von Frau von der Leyen. Inzwischen wurde bekannt, dass das Ergebnis längst vorlag, es aber der CDU nicht in den Kram passt. Im Sozialministerium lautete die interne Ansage, solange zu rechnen, bis der Regelsatz unter 400 Euro liegt. Dazu wurde u.a. im Ministerium erwogen, zur Berechnung des Regelsatzes nur noch stichprobenhaft Ausgaben von Haushalten der ärmsten 15 Prozent der Bevölkerung zu Grunde zu legen. Dieser Manipulationsversuch wurde durch die LINKE und kritische Journalistinnen und Journalisten öffentlich und heftig kritisiert. Daraufhin vermeldete das Sozialministerium, es würde mit den untersten 20 Prozent die Regelleistungen bestimmen. Seit dem 27. September liegen nun die konkreten Zahlen zur Neuberechnung der Regelsätze vor. Die dreiste Manipulation wurde entgegen dem Dementi aus dem Ministerium doch vorgenommen - die Grundlage bei den Ein-Personen-Haushalten sind die untersten 15 Prozent.    
 
Doch selbst ohne diese Manipulation bei der Referenzgruppe sind die Pläne der Bundesregierung weit entfernt von einer konsequenten Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils. So ignoriert Schwarz-Gelb unter anderem folgende Aussagen des Urteils: "Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt." Und: "Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist." Ergo ist ein Sozialsystem verfassungswidrig, das Sanktionen zulässt und das auf Leistungen von Partnerinnen und Partnern oder Stiefeltern verweist, auf die gar kein Rechtsanspruch besteht.

Hinzu kommt, dass die Regierung ihr Gesetz in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durchbringen will: Dem Sozialministerium zufolge soll die öffentliche Anhörung im Ausschuss nur drei Tage vor der abschließenden Lesung im Bundestag liegen. Unter solchem Zeitdruck haben es kritische Stimmen schwer, Gehör zu finden. Als Vorsitzende des Fachausschusses kann ich diese Verletzung parlamentarisch-demokratischer Grundsätze nicht hinnehmen. Bei solch einem Vorgehen ist die nächste Klage vorprogrammiert. Jetzt bedarf es einer breiten Allianz gegen diesen geplanten Verfassungsbruch, beispielsweise durch eine gemeinsame Normenkontrollklage der Abgeordneten der LINKEN, der SPD und der Grünen.