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Bildung als soziale Frage

Im Wortlaut von Nele Hirsch,

Kommenden Donnerstag setzt Bundespräsident Horst Köhler die von seinen Vorgängern begonnene Tradition der »Berliner Reden« mit einer Rede zur Bildungspolitik fort. Die Wahl dieses Themas zeigt dessen wachsende Bedeutung. Die Linke sollte sich jedoch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass sich das von Köhler und Co. propagierte Bildungsverständnis von progressiven Ansätzen grundlegend unterscheidet.

Dazu zwei Beispiele: Erstens ist im neoliberalen Bildungsdiskurs immer wieder von Bildung als der »wichtigsten sozialen Frage des 21. Jahrhunderts« die Rede. Auch die Linke weist zu Recht darauf hin, dass der Bildungszugang heutzutage mehr denn je über die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt entscheidet. Doch um den Abbau sozialer Ungleichheit geht es anderen Parteien offensichtlich nicht. Indem sie Bildungspolitik aufwerten, legitimieren sie gleichzeitig die Einschränkung von sozialen Leistungen. In der Kita und in der Schule sollen alle eine »erste Chance« bekommen - und fortan selbst dafür verantwortlich sein, das Beste daraus zu machen. Von dieser Betrachtung muss sich die Linke abgrenzen. Schließlich zeigen nicht zuletzt die Hartz-Gesetze, dass aus solch einer falsch verstandenen Eigenverantwortung wachsende Ungleichheit und Ausgrenzung folgen.

Das zweite Beispiel ist die an sich richtige und unterstützenswerte Forderung nach höheren Bildungsausgaben. Falsch wäre es jedoch, in diesem Zusammenhang ein reines Investitionsverständnis von Bildung mit zu unterstützen. Schließlich würde damit der zunehmenden ökonomischen Verwertbarkeitslogik Tür und Tor geöffnet. Für die Linke dagegen geht es nicht darum, dass Bildung sich auszahlen muss. Stattdessen fordert sie eine kritische Praxisorientierung. Nur dann können die im Bildungssystem erworbenen Qualifikationen ein Instrument zur Veränderung der Gesellschaft sein.

Unsere Autorin ist bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Neues Deutschland, 15. September 2006