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BfV-Präsident Maaßen in Erklärungsnot

Nachricht,

Von Gerd Wiegel

 

Im Wochenrhythmus kommen die neuesten „Pannen“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) im Zusammenhang mit dem NSU ans Licht. Nachdem vor drei Wochen bekannt wurde, dass sich im Bundesamt ein weiteres Handy des 2014 gestorbenen zentralen V-Mannes des BfV in der rechten Szene, „Corelli“, fand, wurde am 31. Mai 2016 bekannt, dass nun auch die dazugehörige SIM-Karte (und vier weitere) gefunden wurden. Die Panzerschränke im BfV müssen riesig sein, denn immer wieder mal lassen sich dort Dinge finden, von denen das BfV zuvor behauptet hatte, es habe sie nicht. Das BfV hätte Sonderermittler Jerzy Montag, der nach dem merkwürdigen Tod des V-Mannes vor einem Jahr vom Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) eingesetzt worden war, alle Kommunikationsmittel von „Corelli“ präsentieren müssen. Das hat das Amt versäumt, wie jetzt offenbar wurde. Natürlich gebe es keinerlei NSU-Bezug auf dem Handy, wie BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen dem Untersuchungsausschuss in der Sitzung am 2. Juni 2016 sofort und noch vor Ende der Untersuchung des BKA verkündete. Überhaupt habe „Corelli“, und damit auch das BfV, keinerlei NSU-Bezug gehabt. Da kann schon mal unter den Tisch fallen, dass der Klarname und die Telefonnummer von „Corelli“ auf der Telefonliste von Uwe Mundlos 1998 in der Garage in Jena zu finden waren. Oder dass „Corelli“ die Seite des Nazifanzines „Der weiße Wolf“ hostete, wo sich 2002 der Eintrag „Dank an den NSU“ fand. Oder, dass von „Corelli“ eine CD an das BfV übergeben wurde, auf der sich ein Verzeichnis mit dem Titel „NSDAP/NSU“ fand – die beim BfV erst einmal für acht Jahre verschwand (wahrscheinlich in einem der unübersichtlichen Panzerschränke). Alles kein NSU-Bezug für den BfV-Präsidenten.

Immerhin, selbst Maaßen sprach von „Schlamperei“ und das Innenministerium sah sich genötigt, die Dienstaufsicht ins BfV zu schicken. Aber das Amt scheint sakrosankt zu sein.

Komplex Marschner

Die Rolle des V-Manns Ralf Marschner bildet den nächsten Komplex, mit dem sich der Untersuchungsausschuss bis zur Sommerpause befassen wird. Marschner, unter dem Decknamen „Primus“ von 1992 bis 2002 für das BfV im Einsatz, war eine zentrale Figur der Naziszene im Zwickauer Umfeld des NSU-Trios. Als sich vor einigen Wochen durch eine Fernsehdokumentation der Verdacht erhärtete, dass Uwe Mundlos möglicherweise in Marschners Baufirma gearbeitet habe und dass auch Beate Zschäpe häufig in einem von Marschners Läden gesehen wurde, nahm die Brisanz des Themas weiter an Fahrt auf.

Als Zeugen im Untersuchungsausschuss waren vier Polizeibeamte geladen, die für das BKA oder die Polizei in Sachsen zu Marschner und seinem Umfeld ermittelt haben. Vor allen Dingen die dreistündige Vernehmung des BKA-Ermittlers Lehmann verdeutlichte die Rolle Marschners in der Zwickauer Szene. Dass Marschner in all den Jahren von 2001 bis 2007, als er aus Zwickau weggezogen war, niemals dem Trio begegnet sein will, stellte sich als höchst unwahrscheinlich heraus. Nach 2011 gab es einen Zeugen, der Marschner bereits 1998 in Begleitung von Böhnhardt und Mundlos bei einem Fußballturnier gesehen haben will und in diesem Zusammenhang von Marschner auf Waffen angesprochen worden sei. Ein anderer Zeuge gab an, Beate Zschäpe häufig in einem der Läden von Marschner gesehen zu haben, sodass er zunächst davon ausging, sie habe dort gearbeitet. Beide Zeugenaussagen wurden in ihrem Wahrheitsgehalt angezweifelt und nie richtig ausermittelt. Schließlich wurde erst vor wenigen Wochen durch Journalistenrecherche ein Zeuge aus Marschners ehemaliger Baufirma präsentiert, der bezeugen kann, dort mit Uwe Mundlos zusammengearbeitet zu haben. Aber auch hier wird die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel gezogen, zumal alle anderen Mitarbeiter_innen der Baufirma die Aussage nicht bestätigen. Allerdings wurde in der Vernehmung und aus der Aktenlage deutlich, dass die Firma ihr Personal vor allem aus der aktiven Naziszene rekrutierte.

Zwei Autoanmietungen durch Marschners Baufirma decken sich mit Tattagen der NSU-Morde, für die es keine belegten Autoanmietungen durch das Trio gibt. Einer der damals eingetragenen Fahrer für Marschner wohnte in der Polenzstraße in Zwickau, direkt gegenüber von der Wohnung, in der das Trio fünf Jahre lang gewohnt hatte. Das Trio will er jedoch niemals gesehen haben und die Vernehmungen der Polizei gehen an dieser  Stelle auch nicht weiter darauf ein.

Schließlich wurde durch die gut präparierten Abgeordneten herausgearbeitet, dass Marschner enge Kontakte zu den wichtigsten Leuten aus dem Umfeld des Trios hatte. Starke, Werner und Burkhardt kannte er nachweislich, mit Susann Eminger war er zusammen an einer Schlägerei in einer Diskothek beteiligt. Deutlich zeigte sich in der Sitzung des Untersuchungsausschusses, dass sich eine (frühere) Quelle des BfV im engsten Umfeld des Trios bewegte. Dass sich nach dem 4. November 2011 auf einem von Marschners Rechnern die in dem Bekennervideo des NSU verwendete Pink Panther-Melodie fand, unterstreicht den naheliegenden Verdacht nur noch einmal.

Die nächsten Woche versprechen spannende Sitzungen, denn es wird immer offensichtlicher, dass die Aussage von BfV-Präsident Maaßen, kein V-Mann des BfV habe eine Nähe zum NSU gehabt, nicht haltbar ist.

Die nächste Sitzung des NSU- Untersuchungsausschusses mit vier weiteren Zeugen zum Komplex Marschner findet am 9. Juni 2016 ab 11 Uhr öffentlich statt. Weitere Infos dazu finden Sie auf der Website des Bundestags

linksfraktion.de, 06. Juni 2016