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Bei Nazi-V-Leuten kennt der Verfassungsschutz keine Grenzen

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Von Gerd Wiegel

Nach knapp einem Jahr NSU-Untersuchungsausschuss sollte man meinen, dass einen wenig überraschen kann, was die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes und den Umgang des Geheimdienstes mit Nazispitzeln angeht. Doch was dem letzten Zeugen in nichtöffentlicher Sitzung am 28. Februar zu einem V-Mann des Landes Brandenburg vorgehalten wurde, übertrifft in seiner Abgründigkeit das Meiste, was bisher zu diesem Thema im Ausschuss verhandelt wurde.

Über die Quelle des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Brandenburg mit dem Decknamen Piato kam im September 1998 der Hinweis darauf, dass das Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe dabei sei, sich Waffen zu besorgen, weitere Überfälle begehen wolle, um sich danach nach Südafrika abzusetzen. Für die Ermittler wäre diese Meldung äußerst wichtig gewesen, gelangte mit der Begründung Quellenschutz jedoch nie bis zur Polizei. Weitere Meldungen zum Trio kamen über Piato, ohne dass sie der Polizei zur Kenntnis gebracht wurden.

Hinter Piato, der vom LfV Brandenburg zwischen 1994 und 2000 geführt wurde, verbirgt sich der Nazi Carsten Szczepanski und an seiner Person wird deutlich, dass die Ämter beim Thema V-Leute keine Grenzen kennen. Szczepanski wird 1995 wegen versuchten Mordes an Steve Erenhi, der 1992 aus rassistischen Motiven von einer Gruppe Nazis fast todgeprügelt wird, zu acht Jahren Haft verurteilt. Immer wieder ist Szczepanski wegen Gewalttaten und rassistischer Hetze vor Gericht. Aus der Haft heraus bewirbt er sich beim LfV Brandenburg als V-Mann und wird, obwohl als schwerer Nazigewalttäter bekannt, vom Amt in Dienst genommen. Ein Schelm wer vermutet, dass die anschließenden Hafterleichterungen hier ihren Grund haben. Aber was heißt Hafterleichterungen: Offenbar kann Szczepanski auch aus dem Knast heraus ganz im Sinne der Nazis wirken. So stellt er im Knast u.a. das Nazi-Fanzine United Skins her, das großen Anklang in der Szene findet. Kommentar seiner Nazikameraden: „Was der Carsten dort hinter Gittern vollbracht hat, grenzt schon an Zauberei.“ Oder ist die Zauberei doch eher die Hilfe des LfV, dass seinen Quelle natürlich in der Szene platzieren will. Das macht das LfV dann auch ganz aktiv. Als Freigänger hat Szczepanski ab 1999 einen Job im Szeneladen von Antje Probst in Sachsen, eben jener Antje Probst, die Beate Zschäpe ihre Identität lieh. Der V-Mann des LfV sitzt also im Umfeld des Trios und erlangt so seine vorzeitige Haftentlassung, da er ja feste Arbeit hat. Wie zum Hohn heißt es in den Auflagen des Gerichts, Szczepanski müsse sich glaubhaft aus der Szene lösen. Dass er im Gegenteil jetzt mittendrin war, verschweigt das LfV gegenüber dem Gericht, dass natürlich auch im Unklaren darüber gelassen wird, dass es sich um einen Naziversand handelt.

Der im Ausschuss vernommene V-Mannführer von Szczepanski konnte oder wollte zu allen diesen Vorhaltungen mehr oder weniger nichts sagen, war aber ganz offensichtlich von den Fragen und Vorhaltungen der Abgeordneten so mitgenommen, dass die Vernehmung nach knapp zwei Stunden aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden musste. Der heutige Leiter des LfV Sachsen, Herr Mayer-Plath war für zwei Jahre ebenfalls V-Mannführer von Piato, er wird dem Ausschuss in einer der nächsten Sitzungen zu diesen ungeheuren Vorgängen Rede und Antwort stehen müssen.

Plötzlich taucht eine zweite Garagenliste auf

Am folgenden Tag, dem 1. März, kam es im Ausschuss erstmals zu einer Gegenüberstellung zweier Zeugen. Hintergrund waren die völlig konträren Aussagen der Zeugen Dressler (TLKA) und Brümmendorf (BKA) zu den Ermittlungen zur so genannten Garagenliste, einer Telefonliste von Uwe Mundlos, auf der sich wichtige Helfer und Kontaktpersonen des Trios fanden und die von den Ermittlern niemals beachtet wurde, obwohl sie möglicherweise schnell zur Ergreifung des Trios hätte führen können. (vgl. www.linksfraktion.de/nachrichten/luegt/) Einen Tag vor dieser Gegenüberstellung teilte das Innenministerium beiläufig mit, dass es eine zweite, größtenteils identische Telefonliste in den Asservaten gebe, die damals überhaupt nicht beachtet worden sei, die dem BKA jedoch seit ca. einem Jahr bekannt sei. Im BMI hatte man sich nicht bemüßigt gefühlt, den Ausschuss früher über diese zweite Liste zu informieren.

Während eine Woche zuvor von Seiten des BKA-Beamten der Eindruck erweckt wurde, seine Bewertung der Liste – „ für die hiesigen Ermittlungen ohne Bedeutung“ – sei nur eine vorläufige und das Thüringer LKA sei für die letztendliche Bewertung verantwortlich gewesen, relativierte sich dieser Eindruck durch die Gegenüberstellung. Denn für die Ermittlungen zu den ca. 20 überregionalen Nazis auf der Liste, darunter die frühen Helfer des Trios, wäre sehr wohl das BKA prädestiniert gewesen. Eine systematische Überprüfung dieser Kontakte von Mundlos unterblieb jedoch. Sowohl das BKA als auch das LKA Thüringen haben diese zentrale Spur zum Trio nicht verfolgt und damit wohl die beste Chance, die drei Nazis frühzeitig aufzuspüren, verpasst.

Fragt man nach den Gründen für diese nahezu unerklärlichen Fehler, so bietet sich eine Spannbreite der Antworten von Absicht bis Unfähigkeit an. Bemerkenswert ist immerhin, dass auf der Liste von Mundlos neben vielen anderen Namen auch Kai Delek verzeichnet ist, damals ein wichtiger V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz und gleichzeitig eine zentrale Figur der Naziszene. Dass der erfahrene Staatsschützer Brümmendorf, der, wie er im Ausschuss sagte, zum damaligen Zeitpunkt wusste, dass Delek V-Person war, beim Lesen dieses Namens nicht aufgemerkt haben soll, ist schwer vorstellbar. Vielleicht schien es dem BKA-Beamten nicht angezeigt, einen Zuträger der Behörden in die Ermittlungen einzubeziehen, so dass er die Bedeutung der Liste herunterspielte. Vielleicht haben er und seine Kollegen aus Thüringen aber auch dem ganzen Fall keine große Bedeutung zugemessen, handelte es sich doch „nur“ um drei junge Nazis die mit Bombenbauen beschäftigt waren. Vertuschung oder Verharmlosung – schwer zu beantworten, was schwerer wiegt.