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Dietmar Bartsch © Marc DarchingerFoto: Marc Darchinger

»Bei den Grünen sehe ich manches mit Sorge«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, MOZ,

Herr Bartsch, Ihr Parteichef Riexinger steht heftig in der Kritik. Auf einer Strategiekonferenz sagte eine Teilnehmerin sinngemäß, man werde das Klimaproblem auch noch haben, wenn man die Reichsten erschossen habe. Riexinger feixte, man werde sie nicht erschießen, sondern für nützliche Arbeit einsetzen. Kein Grund für einen Rücktritt?

Dietmar Bartsch: Bernd Riexinger hat sich für seine falsche Reaktion entschuldigt. Auf der Strategiekonferenz der Partei sind allerdings Äußerungen gemacht worden, die für mich inakzeptabel sind. Für Gewaltphantasien und eine Verächtlichmachung des Deutschen Bundestages habe ich keinerlei Verständnis. Diese Konferenz hat uns geschadet. Wie damit umzugehen ist, müssen zunächst die beiden Parteivorsitzenden erklären.

Seit dem Eklat in Thüringen gibt es in den meisten Umfragen im Bund eine Mehrheit für Grün-Rot-Rot. Ist das Ihr Ziel?

Auf jeden Fall freut es mich, und selbstverständlich strebe ich ein Mitte-Links-Bündnis an. Aber vorerst ist wichtiger, was wir als Partei dafür in die Waagschale zu legen haben. Mein Ziel ist, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl zweistellig werden.

Müssten Sie in einer Koalition mit Grünen und SPD nicht viele außenpolitischen Positionen, wie die Haltung zur Nato, überdenken?

Für uns wird immer entscheidend sein, ob sich für die Mehrheit der Menschen etwas in ihrem Leben zum Besseren verändert. Je stärker wir werden, desto mehr können wir unsere Vorstellungen in einer Koalition durchsetzen – von einer Renten- und Arbeitsmarktreform über die Kindergrundsicherung bis hin zu einer großen Steuerreform, die kleine und mittlere Einkommen entlastet. Aber so weit sind wir noch nicht.

Noch einmal: Die außenpolitischen Positionen der Linken werden von SPD und Grünen immer wieder als Hindernis für ein Bündnis benannt. Stichwort: Auslandseinsätze der Bundeswehr. Sind Sie kompromissbereit?

Wir werden immer antimilitaristisch bleiben. Gleichzeitig haben wir auf Landesebene bewiesen: An uns ist ein Mitte-Links-Bündnis noch nie gescheitert. SPD und Grüne haben in außenpolitischen Punkten sehr wohl Übereinstimmungen mit uns. Auch dort gibt es viele Gegner von Auslandseinsätzen und Rüstungsexporten.

Sie sind sicher, dass die SPD im Bund an Bord wäre?

Davon bin ich überzeugt. Wenn es rechnerisch möglich ist, wird sich die SPD dieses Mal politisch nicht verweigern.

Dafür scheinen die Grünen eher einer Koalition mit der Union zuzuneigen.

Bei den Grünen sehe ich manches mit Sorge.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel gibt es im Südwesten einen grünen Ministerpräsidenten, der nun wirklich keine linke Politik macht. In den Ländern ist der häufigste Koalitionspartner der Grünen die CDU. Jedenfalls ist ein Mitte-Links-Bündnis alles andere als ein Selbstläufer. SPD und Linke sollten so stark werden, dass es für Schwarz-Grün nicht reicht.

Was ist denn mit dem Verhältnis der Linken zur CDU? Werden Sie künftig öfter um der Macht willen mit dem Gegner paktieren?

Nein. Aber es muss einen Konsens in Grundfragen der Demokratie geben. Darüber hinaus ist es wichtig, die grundsätzlichen Unterschiede deutlich zu machen. Die Menschen mögen es nicht, wenn die Parteien zum Verwechseln ähnlich sind.

In Thüringen hat Rot-Rot-Grün 22 gemeinsame Projekte mit der CDU ausgearbeitet.

Das ist auch in Ordnung, weil es gut für das Land ist. Aber Thüringen ist ein Sonderfall, der dem Wahlergebnis geschuldet ist.

CDU-Politiker betonen, dass sie AfD und Linke nicht gleichsetzen wollen, werfen Ihrer Partei aber einige Punkte vor, die eine Unvereinbarkeit weiter begründen. Zum Beispiel die unbewältigte Vergangenheit.

Keine Partei hat sich so sehr mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt wie meine. Im Gegensatz übrigens zu den ehemaligen DDR-Blockparteien CDU und FDP. Wir müssen uns allerdings ­damit abfinden, dass das von einigen ­bewusst nicht zur Kenntnis genommen wird. Um unser selbst Willen dürfen wir die DDR-Vergangenheit nicht ad acta ­legen.

Sie sind mit 19 in die SED eingetreten. Hadern Sie heute damit?

Wenn ich mit dem jungen Dietmar Bartsch von damals reden könnte, würden wir heute erhebliche Differenzen haben. Damals war ich fest davon überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen. Ich meinte, dass die DDR der bessere deutsche Staat war. Und ich war überzeugt davon, Veränderungen im Land nur aus der SED heraus erreichen zu können.

Den Linken wird auch ein ungeklärtes Verhältnis zum Linksradikalismus vorgeworfen.

Das haben wir definitiv nicht. Deshalb ist es auch für uns nicht hinnehmbar, wenn das Auto des AfD-Vorsitzenden Chrupalla abgefackelt wird. Da waren Kindersitze drin! Man kann nicht diejenigen, die ein politisches Klima schaffen, das Gewalt begünstigt, mit Gewalt bekämpfen.

Aber das System wollen Sie schon ändern, oder?

Na klar. Was wären wir denn sonst für Linke? Die kapitalistische Wirtschaftsweise produziert nicht nur ständig neue soziale Ungerechtigkeiten, sondern zerstört den Planeten. Aber das wollen wir demokratisch ändern, nicht mit einer neuen Oktoberrevolution.

Wie hat sich das Klima in Ihrer Fraktion entwickelt, seit sich Sahra Wagenknecht zurückgezogen hat und Amira Mohammed Ali Ihre Ko-Vorsitzende ist?

Positiv. Wir hatten eine angespannte Situation vor allem mit der Parteiführung. Das hat sich gebessert. Oft hieß es über uns: Eigentlich ist der Laden tot. Heute kann ich sagen: Die Geschichte unserer Partei von Anfang der 90er Jahre bis heute ist eine Erfolgsgeschichte. Und die größten Erfolge stehen noch bevor.

Im Juni wählt die Linke eine neue Parteispitze. Finden Sie es gut, dass die Satzung eine Amtszeitbegrenzung auf acht Jahre vorsieht?

Ich selbst habe ein Amt noch nie länger innegehabt. Es muss aber auch Ausnahmen geben wie bei Gregor Gysi, der länger als acht Jahre Fraktionschef war. Die jetzigen Vorsitzenden, Katja Kipping und Bernd Riexinger, werden sich im März äußern. Da bin ich jetzt mal diszipliniertes Parteimitglied und warte das ab.

Sollte sich kein ernstzunehmender männlicher Kandidat finden: Stünden Sie bereit?

Ich warte ab, was die beiden sagen – und dann werden alle weiteren Diskussionen geführt.

Eine mögliche Kandidatin für den Parteivorsitz ist Janine Wissler, Fraktionschefin in Hessen. Sie zählt in der Linken zur trotzkistischen Gruppe Marx 21. Für Sie kein Problem?

Nein. Janine Wissler gehört zu den herausragenden Politikerinnen der Linken. Die Rolle der diversen Strömungen in der Partei wird überschätzt. Wenn man alle Mitglieder zusammenzählt, die sich Strömungen zurechnen, ist das nicht einmal ein Drittel.

Lassen Sie uns noch kurz über eine andere Partei sprechen, die AfD.

Ungern.

Warum ungern?

Die AfD darf nicht der zentrale Bezugspunkt der Politik sein. Es ist viel wichtiger, dass alle anderen Parteien versuchen, mit ihrer Politik zu überzeugen, statt sich an Nazis wie Herrn Höcke abzuarbeiten.

Dennoch: In Ostdeutschland gibt es eine sehr starke Wählerwanderung von der Linkspartei zur AfD. Ist das so, weil beide Parteien auf Ihre Art zum Populismus neigen?

Nein. Eine der Ursachen ist, dass unsere Ergebnisse im Osten entsprechend hoch waren. Von den Grünen, die hier gerade mal auf fünf Prozent kamen, können nicht allzu viele zur AfD abwandern. Man muss das schon prozentual sehen, und da haben in den vergangenen Jahren alle Parteien etwa gleich viel an die AfD verloren. Allerdings gab es unter den Linken-Wählern früher einige, die ihre Wahl danach getroffen haben: Worüber ärgern sich die in Berlin und Brüssel am meisten? Diese Funktion hat heute in Teilen die AfD.

Nach 30 Jahren Mauerfall: Was haben Sie so nicht erwartet? Und was schmerzt Sie?

Was mich schmerzt, ist die fehlende Anerkennung ostdeutscher Biografien und Leistungen. Denn das ist gelebtes, stolzes Leben. Nicht erwartet habe ich dieses Maß an Freiheit. Das ist für mich nach wie vor beeindruckend.

Ihr Fahrer hat einen Instagram-Account: dem_dietmar_sein_fahrer, auf dem er Fotos von Ihnen veröffentlicht. Haben Sie da ein Mitspracherecht?

Wir machen das gemeinsam – und zwar mit viel Freude. Vor der letzten Bundestagswahl war ich nur bei Twitter und Facebook. Andere Spitzenkandidaten hatten schon ein paar tausend Abonnenten, ich hätte bei Null anfangen müssen. Echt blöd. (lacht) Dann haben wir die Idee mit dem_dietmar_sein_fahrer gehabt. Der Account entwickelt sich sehr erfolgreich. Auch weil er einen anderen Blick auf Politik bietet. Inzwischen ist mein Fahrer Thorsten Zopf selbst ein kleiner Star.

Sie werden bald 62. Wie stellen Sie sich Ihr Rentnerdasein vor? Häuschen an der Ostsee, Zigarillo, Weißwein und möglichst alle Sportkanäle?

Klingt nicht schlecht. Aber im Moment ist das noch zu früh. Als Rentner wäre mir das auch zu wenig, so ganz ohne soziales oder gesellschaftliches Engagement.

Ihr größter Traum?

Privat? Neuseeland und Australien ausgiebig bereisen. Und drei Sportereignisse in einem Jahr: Die Eisbären werden Deutscher Meister, Union Berlin wird Deutscher Meister und Hansa Rostock steigt in die 2. Liga auf.

Und Ihr politischer Traum?

Politisch träume ich weiter davon, dass unsere Gesellschaft eine andere wird – eine, die auf der Grundlage von Solidarität und Gerechtigkeit funktioniert. Leider wird das ein Traum bleiben. Aber was ich tun kann, ist, diesen Traum weiterzugeben.

MOZ,