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Jutta Krellmann im Deutschen Bundestag | Foto: © Alexander KlebeFoto: Alexander Klebe

Beendet die Leiharbeit in der Fleischindustrie

Im Wortlaut von Jutta Krellmann, Frankfurter Rundschau,

Angesichts der zahlreichen Corona-Ausbrüche in deutschen Schlachthöfen war die öffentliche Erregung riesengroß. Nachdem die Bundesregierung die unhaltbaren Zustände in der Fleischbranche jahrelang weitgehend ignoriert hatte, sollte nun alles ganz schnell gehen.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte sein Arbeitsschutzkontrollgesetz an. Dieses Gesetz geht in die richtige Richtung. Erstmals sollten verbindliche Kontrollquoten für den Arbeitsschutz festgeschrieben sowie Werkverträge und Leiharbeit im Kernbereich der Fleischindustrie verboten werden. Doch wenige Monate später wurde das Gesetz klammheimlich von der Tagesordnung des Bundestages gestrichen, bevor es beschlossen wurde. Was war passiert?

Der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU hatte sich durchgesetzt und Bedenken angemeldet. Ein vollständiges Verbot von Leiharbeit solle nun doch nicht kommen, so Unions-Fraktionsvize Herrmann Gröhe, weil sonst ein „Schaden für mittelständische Betriebe“ drohe. Leiharbeit solle bei Auftragsspitzen, zum Beispiel in der Grillsaison, zugelassen werden.

Das ist ein typisches Einknicken vor Lobby-Interessen. Denn schon lange werden die meisten Nackensteaks auf Vorrat produziert und landen aufgetaut in der Theke. Nur noch ein kleiner Teil kommt frisch vom Fleischer. Man bekommt den Eindruck, dass es dem Lobby-Arm der CDU/CSU um etwas anderes geht. Es sollen die immensen Profite der Fleischindustrie geschützt werden, die auf einem System aus Niedriglöhnen und Verantwortungslosigkeit aufbauen.

Das Ausmaß dieser Entwicklung ist erschreckend. Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung hat ergeben, dass ein großer Anteil der Beschäftigten in der Fleischindustrie inzwischen in Leiharbeit oder über einen Werkvertrag arbeiten. In der Branche wird über ein Drittel weniger verdient als in der Gesamtwirtschaft und die Löhne steigen viel langsamer an.

Die Fleischbranche zeigt, wohin uns die Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes in den letzten 30 Jahren geführt hat. Wurden früher höchste Tariflöhne bezahlt, regiert heute das Lohndumping. Wir haben es mit der systematischen Ausbeutung von Beschäftigten zu tun: Lohnbetrug, falsche Zeiterfassung, Umgehung der gesetzlichen Regelungen zu Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und zum Urlaub sowie ein ständiges „Hire and Fire“ sind an der Tagesordnung. All dies wird möglich, weil die Verantwortung von der Unternehmensspitze an Subunternehmen verlagert wird.

Aber nicht nur das. Auch ein vernünftiger Arbeitsschutz ist unter solchen Bedingungen nicht möglich. Die Gesundheit der Beschäftigten in den Schlachthöfen ist in Gefahr, wenn das Gesetz nicht bald kommt. Denn sowohl Leiharbeit als auch Werkverträge vernebeln die Zuständigkeit im Arbeitsschutz.

Treten Probleme auf, macht der Großkonzern Subunternehmer A verantwortlich und wechselt zu Subunternehmer B und immer so weiter. Eine Aufsicht wird durch diese Konstruktionen unmöglich gemacht. Deshalb ist es unverantwortlich, dass die CDU/CSU-Fraktion ein wichtiges Schutzgesetz gestoppt hat, obwohl die zweite Corona-Welle mit aller Wucht auf uns zurollt.

Es steht nun in den Sternen, ob das Arbeitsschutzkontrollgesetz, wie von Minister Heil angekündigt, von Januar nächsten Jahres an in Kraft treten kann. Das Gesetz darf auf keinen Fall verwässert werden.

Im Gegenteil, die Gewerkschaft NGG, der DGB und die Links-Partei fordern noch schärfere Regeln. Werkverträge im Kernbereich und Leiharbeit gehören in der Fleischwirtschaft ohne Ausnahme verboten. Werden nur Werkverträge verboten, wird die Fleischindustrie auf Leiharbeit setzen, wie sie es schon früher getan hat. An den Arbeitsbedingungen wird sich nichts ändern.

Zudem brauchen wir zeitnah mehr und bessere Arbeitsschutzkontrollen. Diese erst von 2026 an einzuführen, wie es die Bundesregierung plant, ist viel zu spät. Außerdem muss der Mietwucher bei Unterkünften für die meist osteuropäischen Arbeitskräfte beendet werden.

Klar ist auch: Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischbranche zu verbieten, kann nur ein Anfang sein. Heute gibt es in vielen weiteren Branchen ausbeuterische Arbeitsbedingungen, die reguliert werden müssen. Neben mehr Kontrollen müssen die Tarifbindung und die betriebliche Mitbestimmung gestärkt werden.

Die Politik muss dazu beitragen, dass sich die Beschäftigten besser gewerkschaftlich organisieren können. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie sachgrundlose Befristungen, Minijobs und Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit sind flächendeckend zu verbieten – ohne Ausnahmen.

Frankfurter Rundschau,