Zum Hauptinhalt springen
Menschenmassen auf der Hauptfußgängerzone in der Nanjing Straße in Shanghai © REUTERS/Aly SongFoto: REUTERS/Aly Song

Austausch und Kooperation statt Blockkonfrontation

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Die China-Reise von Bundeskanzler Scholz ist richtig und sinnvoll. Angesichts der verheerenden Folgen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland für die Wirtschaft und Bevölkerung in Deutschland braucht es dringend ein Zeichen für eine gute Zusammenarbeit mit Deutschlands größtem Handelspartner und einem der wichtigsten Rohstofflieferanten. Bundeskanzler Scholz wäre daher gut beraten, den Rufen seiner Koalitionspartner nach Konfrontation mit der Volksrepublik nicht nachzugeben. Die Ampel-Regierung darf diese Handelsbeziehungen nicht auch noch ruinieren und Millionen von Arbeitsplätzen gefährden, habe ich im Interview mit dem MDR bekräftigt.

Was bei dem aktuellen Überbietungswettbewerb im China-Bashing aus dem Blick gerät: An Austausch und Verständigung führt in der internationalen Politik kein Weg vorbei. Das gilt insbesondere auch für China, das in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Entwicklung hingelegt hat. Von einem der ärmsten Länder ist China zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt geworden. Laut Weltbank wurden in China in den letzten vier Jahrzehnten 850 Millionen Menschen aus der absoluten Armut geholt. Schon lange ist China nicht mehr nur die verlängerte Werkbank des Westens, sondern einer der wichtigsten Innovations- und Technologietreiber weltweit.

Die deutsche Wirtschaft ist eng mit der chinesischen verflochten: China ist mit einem Anteil von knapp 10 Prozent und einem Außenhandelsumsatz von 245,4 Milliarden Euro Deutschlands wichtigster Handelspartner. Laut ifo Instituts ist fast jedes zweite Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland auf wichtige Vorleistungen aus China angewiesen. Sowohl als Zulieferer als auch als Absatzmarkt kommt China für die deutsche Wirtschaft eine herausragende Rolle zu. Insbesondere bei der Produktion von Schlüsseltechnologien wie Elektromotoren, Windturbinen oder Photovoltaik-Technologien sind die Länder der Europäischen Union auf chinesische Rohstoffe angewiesen.

Indes nehmen die Folgen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland dramatische Ausmaße an: Energiepreise explodieren, die Inflation erreicht Rekordhöhen von über 10 Prozent. Jedes vierte Unternehmen will Stellen streichen, Deutschland droht eine Deindustrialisierung, da Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern oder Pleite gehen. Vor diesem Hintergrund wäre es schlicht und ergreifend töricht, jetzt auch noch die Handelsbeziehungen zu China zu ruinieren und damit Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland zu gefährden. Deutschland darf sich um keinen Preis in die von den USA angestrebte Blockkonfrontation mit China hineinziehen lassen. Eine Beteiligung an dem Wirtschaftskrieg der USA gegen China wäre angesichts der engen Verflechtungen mit China und der enormen Bedeutung chinesischer Rohstofflieferungen für die deutsche Industrie selbstmörderisch. Für die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland hätte dies katastrophale Folgen, auf die die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland vermutlich nur ein Vorgeschmack wären.

Konfrontation und eine konstruierte „systemische Rivalität“, wie es Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer neuen „China-Strategie“ plant, sind der falsche Weg. Stattdessen sollte die Bundesregierung Austausch und Kooperation mit China stärken. Bei aller berechtigten Kritik an der Menschenrechtssituation in China: Wer meint, Bundeskanzler Scholz müsste sich in Peking wie ein Kolonialherr aufführen und versuchen, China Vorschriften hinsichtlich seiner Politik zu machen, zieht die völlig falschen Lehren aus der Vergangenheit und unterschätzt in eklatanter Weise die weltpolitische Rolle Chinas. Kaum ein anderes Land wurde über Jahrhunderte von westlichen Mächten so ausgebeutet und geplündert wie China. Auch vor diesem Hintergrund wird eine Isolierung Chinas durch den Westen nicht zu einem Wandel der chinesischen Politik führen – im Gegenteil.

Anstatt die eigene vermeintliche moralische Überheblichkeit zur Schau zu stellen, sollte der Westen die Menschenrechte besser durch das eigene Beispiel hochhalten und das Messen mit zweierlei Maß beenden. Was der Westen sofort tun könnte: Die Rüstungsexporte, mit denen weltweit Autokratien hochgerüstet werden, stoppen und die Verfolgung von Dissidenten wie Julian Assange oder Edward Snowden einstellen. Wenig glaubwürdig aber ist jemand wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die im Hinblick auf China unter Instrumentalisierung der Menschenrechte de facto auf eine Entkopplung hinarbeitet, aber zugleich die Waffenlieferungen an die Kopf-Ab-Diktatur Saudi-Arabien rechtfertigt. Wir sollten der Realität ins Auge sehen: Globale Herausforderungen wie der Klimawandel machen den Dialog mit China unumgänglich. Die Alternative zur Diplomatie sind Krieg und Konfrontation.