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Aus anderer Perspektive

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

Gedenktafel für den 1995 ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin in Tel Aviv

 

Von Stefan Liebich, für DIE LINKE Obmann im Auswärtigen Ausschuss

In der vergangenen Woche bereiste ich Israel mit dem festen Vorhaben, die Lebenswirklichkeit des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger nicht zuerst aus der Perspektive des Konflikts mit den Palästinenserinnen und Palästinensern zu betrachten. Gleich zu Beginn habe ich mich mit der Oppositionspolitikerin Stav Shaffir von der Arbeitspartei getroffen. Die 29-jährige ist inzwischen Mitglied der Knesset und war vor zwei Jahren eines der bekanntesten Gesichter jener Protestbewegung, die auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv und anderswo Zeltlager errichteten, um für bezahlbares Wohnen zu demonstrieren. Die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu konnte die Hunderttausende von Menschen auf Israels Straßen nicht ignorieren und richtete eine Kommission ein. Es wurde lange beraten, dann ein neues Parlament gewählt, doch herausgekommen ist so gut wie nichts. „Bullshit-Kommission“ nennt Shaffir das Ergebnis, heute kämpft sie im Parlament weiter.

Das tut auch Mohammad Barakeh, er ist Vorsitzender von Chadasch, einer Listenverbindung linker und arabischer Parteien. Im Gespräch mit ihm spielten die alltäglichen Diskriminierungen, denen sich die palästinensischen Bürgerinnen und Bürger Israels ausgesetzt sehen, eine wichtige Rolle. Im Parlament hat es Chadasch schwer. Es gäbe einen Konsens, dass wichtige Entscheidungen nicht getroffen würden, wenn sie von „arabischen“ Stimmen abhingen, berichtete er. Ein einziges Mal wurde eine Ausnahme gemacht, als Chadasch die Regierung von Jitzchak Rabin unterstützte, ohne jedoch offiziell Teil der Regierungskoalition zu sein. Rabins Politik der Entspannung, sein Wunsch nach einem nachhaltigen Frieden mit den Nachbarn Israels ist bis heute beispielgebend. An der Stelle, an der ihn 1995 ein Rechtsextremist erschoss, befindet sich ein Denkmal und man denkt an diesem Ort unwillkürlich darüber nach, was aus der Region geworden wäre, wenn Rabin seine Politik hätte fortsetzen können. Spätestens hier wurde deutlich, dass sich der israelische Alltag nicht von „dem Konflikt“ trennen lässt.

In der Nacht bevor ich die Partnerstadt meines Berliner Wahlkreises Pankow, Ashkelon, besuchte, wurde diese von Raketen aus dem nur wenige Kilometer entfernt liegenden Gaza-Streifen beschossen. Es war bereits der fünfte Beschuss in diesem Jahr. Im Ergebnis des westlichen Militäreinsatzes in Libyen konnten sich die mit der Hamas verbundenen Gruppen in Gaza mit neuen Waffen aus dem von Chaos geprägten Wüstenstaat versorgen. In Ashkelon wurde diesmal zum Glück niemand verletzt. In ständiger Angst zu leben und nach dem Ertönen der Sirenen nur 30 Sekunden Zeit zu haben, um in einem Bunker Schutz zu finden, erscheint für mich unvorstellbar. Für die Menschen in Ashkelon ist das jedoch seit Jahren Alltag.

Parallel zu meinem Besuch wurden im von Israel annektierten Westjordanland die Schüler Eyal Yifrah, Gil-Ad Shahar und Naftali Frenkel entführt. Bisher hat sich niemand zu diesem Verbrechen bekannt. Das Kidnapping unschuldiger Schüler ist jedoch in jedem Fall durch nichts zu entschuldigen und zu relativieren.

Die Regierung Netanjahu leistet ihrerseits nur wenig für Entspannung und Annäherung. Die Siedlungspolitik wird nahezu uneingeschränkt fortgesetzt, Einsätze der israelischen Armee in den besetzten Gebieten mit Verletzten und Toten sind anhaltende Realität.

Hinzu kommt eine zunehmend instabile Lage in den Nachbarstaaten. In meinem Gespräch mit Mansour Abu Rachid, dem ehemaligen Geheimdienst-Chef von Jordanien, und Dani Jatom, ehemaliger Chef des Geheimdienstes Mossad, spielten der Bürgerkrieg in Syrien, der Vormarsch der ISIS und daraus resultierende Konsequenzen eine zentrale Rolle. Meines Erachtens ist eine militärische Grenzsicherung in Jordanien, Israel und anderen Staaten der Region zur Begegnung der Konflikte kurzfristig nachvollziehbar, schafft langfristig aber keine nachhaltige Lösung. Ein Interessenausgleich der Akteure auf dem Verhandlungsweg und die Sicherung von wirtschaftlichen Perspektiven vor allem für die Jugend würden hingegen den Fundamentalisten wirkungsvoll den Boden entziehen. Und noch eines ist klar, so lange der Nachschub an Waffen nicht endet, wird das Töten weiter gehen. Für die deutsche Politik wird daher ein Stopp von Waffenexporten in die gesamte Region zur Pflicht.
 

linksfraktion.de, 25. Juni 2014